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Ukraine Alles, was Sie zur Parlamentswahl wissen müssen

Die Krim ist weg und im Osten herrscht Krieg: Mitten in der Krise wählen die Ukrainer ein neues Parlament. Wohin driftet das Land? Welche Kandidaten haben Chancen? Lesen Sie das Wichtigste zur Wahl.
Von Niels Kruse

Nicht ganz ein Jahr nach den Protesten gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf dem Maidan, wählt die Ukraine ein neues Parlament. Das Land hat sich seit der Parlamentswahl 2012 drastisch verändert: Die Halbinsel Krim wurde von Russland annektiert, im Osten wütet ein Konflikt, in dessen Verlauf tausende Menschen ihr Leben verloren. Auch das Parlament ist ein anderes geworden. Nach der Reform vom Februar haben die Abgeordneten wesentlich mehr Gestaltungsmacht als unter dem gestürzten Janukowitsch.

Warum die Ukraine erneut wählt

  • Der im Mai mit 55 Prozent der Stimmen gewählte Staatschef Petro Poroschenko hat die Rada, das ukrainische Parlament, am 25. August im Einklang mit Verfassung aufgelöst. Hierfür genügte die Feststellung, dass über einen Zeitraum von einem Monat keine Parlamentsmehrheit für eine ordentliche Regierung organisiert werden konnte. Damit konnte die eigentlich auf fünf Jahre angelegte Legislaturperiode vorzeitig beendet werden.

So wird gewählt

  • Die 450 Abgeordneten werden zur Hälfte direkt in den Wahlkreisen gewählt. Die zweite Hälfte setzt sich in einer Verhältniswahl aus den Listenkandidaten jener Parteien zusammen, die mindestens fünf Prozent der Stimmen holen. Wählen dürfen alle 36,5 Millionen Ukrainer, die mindestens 18 Jahre alt sind. Die Wahllokale öffnen um 8 Uhr Ortszeit also 6 Uhr MEZ, und schließen um 20 Uhr. Direkt nach der Schließung dürfen die Ergebnisse aus Nachwahlbefragungen veröffentlicht werden. Noch in der Nacht sollen die ersten offiziellen Ergebnisse bekanntgegeben werden.

Was in den Unruhegebieten passiert

  • Nach den bisherigen Plänen werden 26 Parlamentssitze vorerst nicht neu besetzt. Zwölf Abgeordnetensitze der ukrainischen Halbinsel Krim können nach deren Annexion durch Russland nicht neu vergeben werden. Kiew will die Parlamentswahl dort nachholen, wenn die Krim wieder zur Ukraine gehört.

Von den 32 Abgeordneten der östlichen Konfliktgebiete rund um die Rebellenhochburgen Lugansk und Donezk sollen 18 neu gewählt werden, weil deren Wahlkreise unter Kontrolle der Armee stehen. In den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten finden dagegen keine Wahlen statt. Die Separatisten wollen stattdessen am 2. November eigene Wahlen abhalten.

Von den 5,2 Millionen Wahlberechtigten im umkämpften Osten der Ukraine können nach Angaben der Wahlkommission etwa zwei Millionen nicht teilnehmen. Eine Gesetzesreform aus dem Mai garantiert, dass die Wahl nicht durch eine zu niedrige Wahlbeteiligung für ungültig erklärt werden kann - etwa durch geschlossene Wahllokale in den Separatistengebieten.

Wer sind die Kandidaten?

29 Parteien haben eine Liste für die Verhältniswahl eingereicht. Für die 225 Direktwahlsitze kandidieren insgesamt 3468 Menschen, die restlichen 199 Mandate werden per Direktwahl bestimmt.

Petro Poroschenko-Block: "Zeit für Einigkeit" ist der Slogan der neu gebildeten Partei von Präsident und Namensgeber Petro Poroschenko (Bild). Sie liegt in Umfragen weit vorne. Spitzenkandidat ist der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, der einen Wechsel vom Rathaus ins Parlament bisher kategorisch ausschließt.

Narodny-Front: Ganz auf Regierungschef Arseni Jazenjuk (Plakat in der Mitte) zugeschnitten ist der Wahlkampf der neugegründeten Volksfront. Auf ihrer Liste stehen viele Kabinettsmitglieder, etwa Innenminister Arsen Awakow. Auch Parlamentspräsident Alexander Turtschinow und der frühere Sicherheitsratschef Andrej Parubij sowie Journalisten und Frontkämpfer stehen Jazenjuk zur Seite. Jazenjuk vertritt einen strikt antirussischen Kurs und zeigt sich dazu gerne mit ukrainischen Soldaten. Sieben bis neun Prozent der Stimmen könnte die Narodny-Front erreichen.

Vaterlandspartei: Die Partei von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hat sich nach dem Weggang "altgedienter Kader" verjüngt. Listenplatz eins trat Timoschenko demonstrativ an die Militärpilotin Nadeschda Sawtschenko ab, die in Russland wegen Mordverdachts im Gefängnis sitzt. Kiew wirft Moskau politische Motive in dem Fall vor. Die Vaterlandspartei liegt in den Umfragen etwa gleichauf mit der Narodny-Front und dem Oppositionsblock.

Radikale Partei: Frontmann ist der Abgeordnete Oleg Ljaschko. Sein Markenzeichen ist eine Heugabel, mit der er Kiew "ausmisten" will. Seine Partei könnte von der harschen, antirussischen Stimmung im Land profitieren. So kündigte er an, Kämpfer der Separatisten in der Ostukraine ohne Gerichtsurteil exekutieren lassen zu wollen. Desweiteren setzt er sich für die atomare Wiederbewaffnung der Ukraine ein. In den Umfragen schafft es die Partei damit auf Platz zwei.

Lesen Sie bei "Spiegel Online", wie der Krieg den Rechten als Wahlkampfkulisse dient.

Swoboda: Noch radikaler als die radikale Partei, ist unter anderem mit dem rechtsextremen Front National aus Frankreich verbündet. Die Organisation um Parteiführer Oleg Tjagnibok werden in Umfragen aber nur geringe Chancen für einen Wiedereinzug gegeben.

stern-Reporter Tilmann Müller schreibt hier über seine seltsame Begegnung mit einer Swoboda- Abgeordneten

Oppositionsblock: Vertreter der bis zum Machtwechsel im Februar regierenden Partei der Regionen treten getrennt an. Ex-Vizeministerpräsident Juri Boiko muss mit dem Oppositionsblock um den Einzug bangen. Sicher im Parlament dürfte dagegen der ehemalige Sozialminister und Vizeregierungschef Sergej Tigipko (Bild) mit seiner wiederbelebten Kraft Silnaja Ukraine (Starke Ukraine) sein. In den Umfragen kommt der Oppositionsblock auf etwa acht Prozent der Stimmen.

Internetpartei: Skurriler geht es kaum. Die Mitglieder der Internetpartei, vor allem IT-Leute und Studenten, bestreiten ihren Wahlkampf stets in Kostümen der "Star-Wars"-Bösewichter, wie etwa Darth Vader (dahinter steckt vermutlich der Geschäftsmann Aleksei Shevtschenko) oder den Sturmtruppen. Trotz, oder wohl eher wegen ihrer Spaßauftritte hat die Partei kaum Chancen, ins Parlament einzuziehen.

Sehen sie bei österreichischen "Standard" weitere Bilder aus dem "Star-Wars"-Wahlkampf der Internetpartei.

Land im Krieg - unterwegs in der Ukraine

Die stern-Reporter Tilmann Müller und Bettina Sengling waren im Land unterwegs und schreiben in der aktuellen Ausgabe, warum die Menschen dort immer radikaler werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite die Chronologie des Konflikts um die Ostukraine.

mit AFP und DPA

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