Ukraine-Krieg Bundesregierung bietet "Sicherheitsgarantien" für Ukraine – was genau bedeutet das?

Selenskyj Bundestag
Der ukrainische Präsident Selenskyj bei seiner Videoansprache vor dem Bundestag.
© Jens Krick / Picture Alliance
Olaf Scholz und Annalena Baerbock können sich vorstellen, der Ukraine Sicherheitsgarantien zu gewähren. Nur: Was bedeutet das? Wäre Deutschland bereit, zur Not zu den Waffen zu greifen? Die USA und Frankreich sind auffällig schmallippig.

Viele Jahrzehnte lang hatten die effektivsten "Sicherheitsgarantien" Namen wie "Pershing", "Tomahawk" oder auch "Pionier". Es waren Marschflugkörper, die Atombomben zu fast jedem beliebigen Punkt ins Feindesgebiet tragen konnten. Benutzt wurden die Raketen glücklicherweise nie. Die Idee der nuklearen Abschreckung war zwar brandgefährlich, aber sie hatte funktioniert. Und ihren Preis. Das Wettrüsten ruinierte die Sowjetunion und zerriss sie dann. Teile des Ex-Imperiums wurden unabhängig, saßen aber weiter auf dem Kernwaffenerbe des Kalten Krieges. Allen voran die Ukraine.

Ukraine 1994: Grenzen gegen Gefechtsköpfe

Mehr als 3000 atomare Raketensprengköpfe sowie taktische Atombomben hatte Moskau im Westen des Riesenreichs stationiert, mit ihrer Unabhängigkeit war die Ukraine plötzlich zur einer der größten Atommächte der Welt geworden. Doch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks war niemanden mehr nach Konfrontation und Kernwaffen, im Gegenteil. Die USA, Großbritannien und Russland handelten 1994 mit der Ukraine sowie Belarus und Kasachstan das "Budapester Memorandum" aus. Es sah im Wesentlichen vor, dass die Ex-Sowjetstaaten ihre Atombomben an Russland übergeben und im Gegenzug dafür die Garantie für ihre territoriale Integrität erhalten. Daran hielten sich auch alle, bis 2014 Russland den Vertrag verletzte, in dem es sich die ukrainische Halbinsel Krim einverleibte.

Auf die Krimkrise folgten die Unruhen in der Ost-Ukraine und dann der de-facto-Krieg dort. Seit Ende Februar 2022 greift das russische Militär ganz offen den Nachbarn an – obwohl die USA und Großbritannien 1994 Sicherheitsgarantien zugunsten des Landes abgegeben hatte, ebenso wie China und Frankreich in einem gesonderten Abkommen. Dieser kurze Ausflug in die Welt völkerrechtlicher Vereinbarungen zeigt, dass der Status der Ukraine eigentlich längst verbindlich geregelt und geschützt ist – anders als es vor allem Kremlchef Wladimir Putin versucht, der (seiner) Öffentlichkeit zu verkaufen.

Krieg wegen "Sicherheitsgarantien"

Bizarrerweise war es Russland, das mit seinem Pochen auf Sicherheitsgarantien den Krieg in der Ukraine einläutete. Das Land, so der Kreml, fühle sich vom Westen allgemein und von der Nato im Besonderen bedroht, hieß es lange vor Beginn der Invasion. Hintergrund ist das in der ukrainischen Verfassung geäußerte Ziel eines Nato-Beitritts. Allerdings hegt das Bündnis keine Absichten, die Ukraine in absehbarer Zeit aufzunehmen und die letzte Runde der Nato-Osterweiterung ist auch schon 18 Jahre her. Während Wladimir Putin früher sogar einmal mit einem Nato-Beitritt Russlands liebäugelte, bezeichnet er die Ausdehnung mittlerweile als "Verrat" an alten Abmachungen – die es aber nie gegeben hat, jedenfalls nie verbindlich oder gar schriftlich.

Als offizielle Begründung für den Einmarsch Russlands in die Ukraine gibt Moskau "Entnazifizierung und Demilitarisierung" an. Ersteres ist natürlich hanebüchener Unsinn, mit dem Russland an seine heroische Rolle bei der Befreiung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg anknüpfen will. Letzteres dagegen wäre zumindest nach der kremleigenen Bedrohungslogik folgerichtig. Und auch wenn es der russischen Armee immer wieder gelingt, ukrainische Militärbasen oder Treibstofflager zu zerstören, trifft der Großteil der Invasion die Zivilbevölkerung. Vor allem aber ist die "Spezialoperation", wie der Krieg in Russland genannt wird, entweder schlecht geplant oder schlecht umgesetzt. Auf jeden Fall alles andere als ein Erfolg, der genau deswegen in einem fürchterlichen Abnutzungskonflikt münden könnte.

Russland spricht von "langer Arbeit"

Auch am grünen Tisch stellen sich die Konfliktparteien auf eine "ziemlich lange Arbeit" ein, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte. Bei den Verhandlungen wie zuletzt in Istanbul gibt es, wenn überhaupt, nur Minifortschritte. In einem Arbeitspapier erklärte sich die Ukraine jetzt bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten und einen neutralen Status einzunehmen – unter Gewährung von Sicherheitsgarantien von Drittstaaten, darunter die USA. Auch Deutschland stehe dafür bereit, sagte nun Außenministerin Annalena Baerbock. "Wenn es Garantien braucht, dann wird auch Deutschland da sein und Garantien geben", so die Grünen-Politikerin bei "Maischberger". Ähnlich habe sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geäußert, heißt es im Bundespresseamt.

Konkreter aber will die Bundesregierung nicht werden. Berlin bleibe bei der Linie, "kein militärischer Akteur dieses Krieges" werden zu wollen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte. Damit spielt er auf den heiklen Punkt von Sicherheitsgarantien an: Welchen Preis wären die Garantiemächte bereit zu zahlen, um Verstöße zu ahnden? Im Budapester Memorandum etwa ist sehr weich die Rede von Wirtschaftssanktionen, Einschalten des UN-Sicherheitsrates und "rasche Konsultationen". Angesichts der brutalen Aggression Russlands gegenüber der Ukraine, dürfte diese Art der Unterstützung der Regierung in Kiew nicht ausreichen. So hatte Wolodymyr Selenskyj den Westen immer wieder aufgefordert, eine Flugverbotszone einzurichten und zu überwachen. Das aber würde bedeuten, notfalls mit Waffengewalt gegen russische Flugzeuge und Raketen vorgehen zu müssen. Oder anders gesagt: Krieg mit Russland zu führen.

Schmallippig: USA und Frankreich

Dazu sind aber weder die Nato noch ein anderer mit der Ukraine sympathisierender Staat bislang bereit. Vermutlich auch deshalb fallen die Reaktion etwa in Washington und Paris auch eher schmallippig aus. Von der französischen Regierung heißt es, sie wolle zunächst verstehen, was sich die Ukraine genau unter Sicherheitsgarantien vorstelle. Noch zurückhaltender ist das Weiße Haus: Zu dem Thema könne man derzeit nichts Genaues sagen.

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