Krieg in der Ukraine Russland zieht sich von der Schlangeninsel zurück – warum der kleine Felsen so wichtig ist

Satellitenbild zeigt einen Überblick über die Schlangeninsel der Ukraine im Schwarzen Meer
Ein Satellitenbild zeigt die Schlangeninsel im Schwarzen Meer
© Maxar Technologies / AP / DPA
Den Kriegsverlauf dürfte der Rückzug Russlands von der Schlangeninsel nicht allzu sehr ändern, dennoch haben die Ukrainer einen Grund zu feiern: Denn der Felsen im Schwarzen Meer ist wichtig für die Verteidigung der Hafenstadt Odessa.

Allein schon der Name Schlangeninsel hat das Zeug dazu, 1000 und eine heroische Geschichte über den Krieg zu erzählen, zumindest wenn er irgendwann vorbei ist. Bekannt wurde der 17 Hektar große Felsen im Schwarzen Meer bereits mit Beginn des Einmarsches Russlands in die Ukraine: Am 24. Februar tauchten vor der Küste  russische Kreuzer auf und verlangten von den dort stationierten Grenzsoldaten, ihre Waffen niederzustrecken. Die 13 Ukrainer antworten mit dem mittlerweile legendären Satz: "Russisches Kriegsschiff, fick dich." Die Widerworte halfen nicht, Moskaus Truppen besetzten die strategisch wichtige Schlangeninsel – nun aber zogen sie ihre Soldaten wieder ab. Warum?

Wird nun wieder Getreide ausgeführt?

Das russische Verteidigungsministerium bezeichnet den Abzug als "Geste des guten Willens". Er solle zeigen, dass Moskau den Export von Getreide und landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine nicht behindere. Die Ukraine und Russland gehören zu den größten Weizen-Exporteuren weltweit. Da Russland die ukrainischen Häfen und so die Ausfuhr von Getreide über das Schwarze Meer blockiert, könnten mehr als eine Milliarde Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein. Hauptsächlich in Afrika, aber auch in Syrien, Jemen und Afghanistan. 

Die Ukraine exportiert ihr Getreide vor allem über See, speziell über Odessa. Um die Stadt und dessen Hafen vor russischen Angriffen zu schützen, hat das Land die Gewässer vermint, wodurch ebenfalls Schiffe an der Ausfahrt gehindert werden. Und an dieser Stelle kommt die Schlangeninsel wieder ins Spiel. Sie liegt vor Odessa, von ihr aus könnte die wichtige Hafenstadt auch mit Hilfe von Langstreckenraketen angegriffen werden, wenn der Seeweg nicht zugänglich ist. Militärbeobachtern zufolge besteht ein Kriegsziel des Kremls darin, das Nachbarland vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Zahlreiche Hafenstädte sind bereits unter Kontrolle Russlands. Sollten die Invasoren die Ukraine zum Binnenland machen wollen, brauchen sie die Schlangeninsel.

Zuletzt hatten Satellitenbilder gezeigt, wie Russland immer mehr Fahrzeuge auf die kleine Insel gebracht hatte, ihr Zweck war aber nicht klar. Laut britischen Geheimdienstberichten hätten ukrainische Angriffe russische Schiffe immer wieder daran gehindert, Nachschub auf die Schlangeninsel zu bringen. Auch seien die Truppen dort regelmäßig mit ukrainischen Raketen beschossen worden. Das Verteidigungsministerium in London bezweifelt daher die Moskauer Rückzugsbegründung: "Vermutlich waren die Soldaten dort zu sehr isoliert und den Angriffen der Ukraine ausgeliefert", heißt es in einem Bericht.

"Rückzug verändert Situation erheblich"

Der Abzug der Russen von der Schlangeninsel allein wird die Getreideblockade nicht beenden. Dennoch räumt er ein Hindernis aus dem Weg. "Der Westen könnte auf dieser Dynamik aufbauen, indem er eine Operation startet, um Handelsschiffe aus dem Schwarzen Meer zu eskortieren", schreibt das "Wall Street Journal". Nach Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj würde der russische Rückzug sein Land in eine bessere Position bringen: "Die Schlangeninsel ist ein strategischer Punkt und das verändert erheblich die Situation im Schwarzen Meer", sagte er in einer Videoansprache.

Am Kriegsverlauf dürfte sich durch den kleinen Triumph der Ukraine allerdings kaum etwas ändern, doch die Handlungsoptionen des russischen Militärs sind nun eingeschränkter, "auch wenn dies noch keine Sicherheit garantiere", so Selenskyj. Die Rückeroberung des Eilands ist vor allem ein symbolischer Erfolg, gut für die Moral.

Einige Beobachter glauben, dass auch die Waffenlieferungen an Kiew ein Faktor für den Rückzug der russischen Truppen sind. So dürfte der Beschuss durch französische Haubitzen des Typs Caesar die Besatzer der Schlangeninsel vor Probleme gestellt haben, heißt es bei "ntv.de". Vergangene Woche haben die ukrainischen Streitkräfte aus den USA zudem Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars erhalten. Die mobilen Waffensysteme können mehrere Raketen gleichzeitig auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern.

Quellen: DPA, AFP, Sky.com, BBC, "Spiegel", Vereinte Nationen