Ihre Farbe ist Blau – und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen der Bremer Partei "Bürger in Wut" (BiW) und der AfD, auch wenn Erstere mal mehr, mal weniger um Abgrenzung bemüht sind.
Fest steht: Die BiW erzielten bei der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt einen großen Erfolg. Nach jüngsten Hochrechnungen erhielt die Partei9,6 Prozent der Stimmen. Sie sind die Gewinner der Wahl. Ihre Wählerschaft haben die BiW dabei zu einem beträchtlichen Teil aus Anhängern der AfD rekrutiert. Rund 7000 Menschen, die vor vier Jahren bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben, wählten laut Wählerwanderungsanalyse von Infratest-Dimap im Auftrag der ARD in diesem Jahr die BiW.
"Bürger in Wut" in Bremen schon lange aktiv
Die AfD durfte an der Bürgerschaftswahl nicht teilnehmen, weil sie zwei Listen eingerichtet hatte – viele ihrer Wähler fanden offenbar bei den BiW ein neues politisches Zuhause, schließlich gleichen sich Parolen und Auftreten der beiden Parteien. Vor allem die Innere Sicherheit ist den BiW ein Kernanliegen – und alles, was nach ihrer Sicht dazugehört, zum Beispiel die Drogen- oder die Migrationspolitik. "Messerstecher konsequent abschieben" war ein Wahlslogan.
Die (un)endliche Geschichte der AfD-Kandidaten für das Bundestagspräsidium
In der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 stellt die AfD den heute 79-jährigen Juristen als Kandidat für das Bundestag zur Abstimmung. Er scheiterte in allen drei Wahlgängen. Er stand unter anderem in der Kritik, weil er den Islam nicht als Religion, sondern als Ideologie bezeichnete und ihm das Grundrecht auf Religionsfreiheit entziehen wollte.
Das Programm der BiW zur Bremer Wahl liest sich bisweilen wie eine wütende Abrechnung mit der bisherigen Politik, einige Auszüge:
- "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht"
- "Latente Verharmlosung des Linksradikalismus durch den rot-rot-grünen Senat"
- "Die Verwendung der Gendersprache durch die öffentliche Verwaltung in der Kommunikation mit den Bürgern lehnen wir ab"
- "Rasche Abschiebung ausländischer Schwerverbrecher und Mehrfachtäter in ihre Herkunftsländer"
- "Besitzer legaler Waffen wie Jäger oder Sportschützen dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt oder vom Staat drangsaliert werden"
- "Einheitliche Schulkleidung im Land Bremen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kinder und Jugendlichen zu stärken"
- "Die Bremer Umweltzone wollen wir abschaffen"
- "Wir wenden uns gegen die Versuche des SPD-geführten Senats, den motorisierten Individualverkehr zum Sündenbock zu stempeln und Autofahrer mit immer neuen Beschränkungen zu drangsalieren"
"Inhaltlich (vereinen) die BiW (...) rechtskonservative sowie rechtspopulistische und wirtschaftsliberale Positionen", fasst die Bundeszentrale für politische Bildung das Parteiprogramm zusammen. Doch die Partei bekenne sich "zur Verfassung der Bundesrepublik, ohne dass zentrale Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung relativiert werden". Insofern spielen die BiW im Verfassungsschutzbericht des Landes Bremen auch keine Rolle – im Gegensatz zur AfD. Auch der BiW-Spitzenkandidat Piet Leidreiter bemüht sich, Distanz zur AfD zu halten. Man verstehe sich ausdrücklich nicht als Alternative für die AfD, die in Bremen zur Wahl nicht zugelassen war. Vielmehr sehe man sich als Alternative zur CDU und FDP, sagte er dem "Weser-Kurier".
Die BiW stehen angesichts ihres Wahlergebnisses erstmals im bundesweiten Rampenlicht. Im Land Bremen ist die Partei dagegen schon lange keine Unbekannte mehr. Die deutschen Stadtstaaten, vor allem Bremen und Hamburg, spülen in aller Regelmäßigkeit Protestparteien nach oben, die BiW sind hier keine Ausnahme.
Hervorgegangen ist die Partei aus den Trümmern der Partei Rechtsstaatliche Offensive ("Schill-Partei"), die im Jahr 2000 von dem früheren Amtsrichter Ronald Schill gegründet wurde, um in Hamburg mal so richtig aufzuräumen. Vor allem fiel die "Schill-Partei" jedoch durch Eskapaden ihres Gründers und Vorsitzenden auf. Nach kurzen bundespolitischen Ambitionen zerfiel sie ab 2004 zusehends wieder – und auch der Polizist und damalige Partei-Landesvorsitzende Jan Timke musste sich nach der Auflösung eine neue politische Heimat suchen.
2025 soll der Einzug in den Bundestag gelingen
Mit anderen Mitstreitern gründete er die Wählervereinigung "Bürger in Wut". Ihr gelang 2007 auf Anhieb der Sprung in die Bremische Bürgerschaft, möglich wurde dies durch eine Besonderheit im dortigen Wahlrecht. Wer in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde schafft, zieht ins Parlament ein, ganz gleich wie die Partei im gesamten Bundesland, also in Bremerhaven und Bremen, abschneidet. Auch 2011, 2015 und 2019 gelang den BiW auf diesem Weg der Einzug in die Bürgerschaft. Timke nennt seine Partei ein "Sammelbecken für Unzufriedene".
2023 konnten die BiW nicht nur in Bremerhaven punkten. Dort erreichte sie sogar 22,4 Prozent, in der Stadt Bremen waren es 7,5 Prozent, unterm Strich stehen besagte 9,6 Prozent, rund 24.000 Bremer Bürger in Wut. Eine Regierungsbeteiligung in der Freien Hansestadt gilt als ausgeschlossen, dennoch will die Partei mehr: 2025 soll der Einzug in den Bundestag gelingen.
Eigens dafür fusionierte die Partei im März 2023 mit dem "Bündnis Deutschland", einer konservativen Kleinstpartei, die durch Parteiübertritte im Europäischen Parlament sowie in den Landtagen von Hessen, Bayern und Sachsen vertreten ist. "Bündnis Deutschland"-Chef Steffen Große glaubt, dass sich die BiW ändern müssen, damit gemeinsam bundesweit Erfolge gefeiert werden können. "Es gab mal eine Zeit, da war diese Wut-Pointierung hilfreich", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Diese Zeit hält er offenbar für abgelaufen und stellt eine konstruktive Politik, etwa zur Daseinsvorsorge im ländlichen Raum in Aussicht. Nach der Wahl in Bremen sagte er: "Wir sind eine seriöse, koalitionsfähige Perspektive." Das ZDF schrieb anlässlich der "Bündnis Deutschland"-Gründung im vergangenen November von einem "Déjà-vu mit der Früh-AfD".
Quellen: "Bürger in Wut", ARD, Bundeszentrale für politische Bildung, Landesamt für Verfassungsschutz Bremen, "Weser-Kurier", ZDF, "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Nachrichtenagentur DPA