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Ehegattensplitting Wie der Staat Alleinerziehende abzockt

Steuern sparen dürfen nur Ehepaare. Sobald sie ihre Kinder allein erziehen müssen, bittet Vater Staat sie zur Kasse. Eine Mutter will das nicht hinnehmen. Und hat nun Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Beckers waren eine richtige deutsche Bilderbuchfamilie. Mutter, Vater, zwei Kinder. Nur dass Reina Becker als Steuerberaterin die Familie ernährte, weil ihr Mann eine kleine Rente bezog. Deshalb profitierte das Ehepaar vom Ehegattensplitting, zahlte 35 Prozent Steuern. Ehegattensplitting bedeutet: Das Einkommen von Eheleuten wird zusammengerechnet, dann halbiert, daher kommt der Ausdruck "splitting". Für das halbierte Gesamtgehalt wird die Einkommensteuer berechnet. Je größer der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau, desto mehr Steuern spart das Ehepaar.

Dann starb der Mann von Reina Becker 2006. Plötzlich stand sie mit ihren beiden Töchtern, acht und 13 Jahre alt, alleine da. Sie ahnte nicht, dass der Tod ihres Mannes sie elf Jahre später, Anfang 2017, vors Bundesverfassungsgericht ziehen lassen würde.

Autorin Kerstin Herrnkind hat über das Thema bei "Frontal 21" gesprochen - hier im Video

Böse Überraschung bei der Steuererklärung

Damals trat sie erstmal im Job kürzer, kümmerte sich mehr um ihre Kinder. Als es Zeit war für die erste Steuererklärung nach dem Tod ihres Mannes, erlebte Reina Becker eine böse Überraschung. Als Witwe und alleinerziehende Mutter sollte sie nun plötzlich den Spitzensteuersatz von 42 Prozent auf ihre Einkünfte zahlen. Und das obwohl sie nun weniger Geld in der Haushaltskasse hatte als vorher. Und ihre beiden Kinder alleine durchbringen musste. Grund: Mit dem Tod ihres Mannes gab es aus Sicht des Finanzministers nichts mehr zu splitten. Deshalb profitierte die alleinerziehende Mutter nun auch nicht mehr vom Ehegattensplitting.

Dass Vater Staat so hartherzig sein kann, konnte sich Reina Becker nicht vorstellen. "Ich dachte, ich hätte mich verrechnet", erinnert sich die Steuerberaterin. Sie fütterte ihren Rechner mit neuen Daten, wollte wissen, wie viel Steuern sie mit Mann und einem Kind zu zahlen hätte. Tatsächlich spuckte der Rechner nun eine deutlich geringere Summe aus: 7700 Euro weniger Steuern. Oder anders gerechnet: Mit Mann und einem Kind hätte Reina Becker über 600 Euro pro Monat mehr in der Haushaltskasse gehabt. 

Geld, das ihr nun, da sie ihre beiden Töchter als Witwe alleine durchbringen musste, fehlte. Der Finanzminister hatte ihrer Familie mit einem großzügigen Steuergeschenk unter die Arme gegriffen, als ihr Mann noch lebte. Ohne Mann bittet der Finanzminister die Alleinerziehende nun zur Kasse.

"Ehegattensplitting ist ein antiquierter Klassiker"

"Das ist doch ungerecht. Der Staat fördert die Ehe, nicht aber die Familie", empört sich Reina Becker. Sie klagte vor dem Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover. "Das steuerliche Ehegattensplitting", so argumentierte sie, sei ein "antiquierter Klassiker der staatlichen Instrumente zur Förderung des männlichen Ernährermodells." Ein kinderloses Ehepaar habe einen Grundsteuersatz von 35 Prozent, rechnete Reina Becker den Richtern vor, ein Ehepaar mit einem Kind 34 Prozent, sie als alleinerziehende Mutter zahle 42 Prozent. Das sei schlicht verfassungswidrig.

Doch die Richter ließen die alleinerziehende Mutter 2016 abblitzen. Zwar räumte das Gericht ein, dass das derzeitige Steuersystem nicht besonders "kinderfreundlich" und "alleinerzieherfreundlich" sei. Aber ob das nun auch gleich verfassungswidrig sei, vermochten die Richter nicht zu entscheiden. Auch dass Reina Becker nach dem Tod ihres Mannes eine Zeit lang weniger arbeiten konnte, weil sie sich um ihre Töchter kümmern musste, rührte die Richter nicht. Immerhin hätte sie in der Zeit ja auch weniger Steuern zahlen müssen, hielten sie Reina Becker vor. "Ich hatte Wuttränen in den Augen", erzählt sie. "Kinder zu kriegen, war die beste und wertvollste Entscheidung meines Lebens, aber auch die teuerste."

Staat zockt Alleinerziehende ab

Der Fall zeigt, wie erbarmungslos der Staat Alleinerziehende abzockt. Und dass er die Ehe, nicht aber die Familie fördert. Wie kommt Vater Staat eigentlich dazu, eine Lebensform, nämlich die der Ehe, zu bevorzugen? "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung", liest man in Artikel 6 des Grundgesetzes. Wie schaffte es die Ehe ins Grundgesetz? Mit Hilfe der katholischen Kirche. In ihren ersten Entwürfen hatten die Väter und Mütter des Grundgesetzes bewusst auf Formulierungen verzichtet, die Lebensformen in irgendeiner Weise bewerteten.

Der Erzbischof von Köln, Joseph Kardinal Frings, schrieb dem Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz formulieren sollte, im November 1948 dann allerdings einen Brief: "Das katholische Volk hat ferner den Wunsch, Ehe und Familie als die dem Menschen nächstliegende Lebensgemeinschaft und Träger natürlicher Rechte und Pflichten unter den besonderen Schutz des Staats gestellt zu sehen." Die CDU parierte und ließ diese Forderung flugs ins Grundgesetz schreiben. Die SPD zauderte, konnte sich jedoch nicht durchsetzen und stimmte letztlich auch dafür. Deshalb steht die Ehe seit 1949 in der Verfassung und damit gewissermaßen unter Artenschutz.

Als Steuerberaterin ist Reina Becker immerhin in der Lage, ihre Töchter alleine zu ernähren. Frauen, deren Männer das Geld verdient haben und plötzlich nicht mehr da sind, bricht die Haupteinnahmequelle weg. Sie müssen unter Umständen von Hartz IV leben.

"Notfalls ziehe ich bis vor den Europäischen Gerichtshof"

Reina Becker legte gegen das Urteil Revision ein. Sie kämpft übrigens gemeinsam mit einem Witwer, der seine Frau verloren hat und in der gleichen Lage steckte. Die Zeitschrift Emotion zeichnete Reina Becker im Sommer 2016 als "Zukunftsmacherin" mit dem Emotion-Award aus. "Kinder sind unsere Zukunft - und in einem der reichsten Länder der Welt ein Armutsrisiko", sagte Reina Becker bei der Preisverleihung.

Finanzminister Schäuble und Familienministerin Schwesig sollten diese Sätze die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ein halbes Jahr nach der Preisverleihung wies der Bundesfinanzhof die Revision im Januar 2017 als unbegründet zurück. Die Besteuerung Alleinerziehender nach dem Grundtarif anstelle einer Besteuerung nach dem Splittingtarif ist verfassungsgemäß", entschied die Kammer, bestehend aus vier Richtern und einer Richterin. Es sei "von Verfassungswegen nicht geboten, verwitwete Elternteile ehelicher Kinder in den Anwendungsbereich des Splitting-Verfahrens einzubeziehen", schrieben sie. Oder anders ausgedrückt: Splitten und sparen dürfen nur Eheleute. Nicht aber Mütter oder Väter, die ihre Kinder alleine erziehen.

Reina Becker hat nun Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. "Notfalls ziehe ich bis vor den Europäischen Gerichtshof." Die Steuerberaterin denkt nicht nur an sich und andere Alleinerziehende, sondern auch an die nächste Generation: "Ich sehe es bei meinen Töchtern und ihren Freundinnen. Sie wollen Kinder. Aber sie haben Angst, es finanziell nicht zu schaffen."

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