Wer war "Sam"? Es ist wie ein Zitat aus einem Frisch-Roman oder eine immer wiederkehrende, quälende Sequenz in einem Pycho-Thriller? Wer war, wer ist dieser "Sam"? Immer wieder wird die Frage am Donnerstag gestellt, hier im Europasaal des Bundestags, in dem elf Abgeordnete sich von frühmorgens bis spätabends durch eine Marathon-Sitzung quälen. Wer steckt hinter "Sam", diesem Mann, der offenbar perfekt Deutsch spricht, dessen Frau offenbar einen Metro-Ausweis benutzt, und der offenbar problemlos Zugang bekommt zu afghanischen Kerkern, in den der US-Geheimdienst CIA offenbar auch mal gerne deutsche Staatsbürger gefangen hält? Arbeitet Sam für die CIA? Oder doch für die Deutschen? Für das BKA? Oder vielleicht den BND?
Auf einer Film-Aufnahme identifiziert
Khaled el-Masri könnte die Antwort wissen. "Sam" hat ihn besucht, verhört, damals in Afghanistan. Er könnte Indizien liefern. Und für Khaled el-Masri steht die Antwort fest. "Ich glaube, dass Sam deutscher Beamter ist", sagt der Mann mit dem schwarz-grauen Pferdeschwanz, dem offenen, weißen Hemd und der leisen, vorsichtigen Stimme. Ja, er habe Sam sicher identifiziert, sagt er. Nicht damals in Afghanistan, auch nicht bei der Gegenüberstellung durch das Polizeipräsidium Schwaben - sondern später, als er ihn auf einem Film sah, den sein Anwalt ihm gezeigt habe. Darauf sei der BKA-Beamte Gerhard L. zu sehen gewesen, beim Einsatz im Libanon, an der Seite des deutschen Staatsanwalts Detlev Mehlis. Er, el-Masri, habe Sam wiedererkannt. An seinen Bewegungen, an seinen Gesten, die ihn so an ein Gespräch im Februar 2004 erinnerten, in Kabul. Er sei jetzt sicher: Gerhard L. sei Sam.
Opposition schießt gegen Schily
Der BND-Untersuchungsausschuss, den das Parlament im April eingesetzt hat, offenbart schon an diesem Donnerstag, dem ersten Tag, an dem Zeugen befragt werden, wie schwer es sein wird, aus dem Wirrwarr von mehr oder minder glaubwürdigen Akteuren und von mehr oder minder geheim gehaltenen Akten die wahre Geschichte des Entführungsfalls el-Masri zu rekonstruieren, die Beteiligten, die Hintergründe - und die wahren Verantwortlichkeiten. Dabei sind die politischen Interessenlagen ohnehin klar: CDU- und SPD-Vertreter, zusammengeschweißt in der großen Koalition, verteidigen behutsam, während die Opposition ein rot-grünes Komplott wittert - und vor allem Ex-Innenminister Otto Schily scharf angreift. Politisch spannende Gefechte sind in den nächsten Monaten auf jeden Fall vorprogrammiert.
Entführung in Mazedonien
Das, worum es im Kern geht, lässt sich an der Schlüsselfigur "Sam" gut erklären. Bislang gibt es mindestens zwei Versionen des Entführungsfalls el-Masri. Gemein ist beiden, dass sie die völkerrechtswidrige Entführung des Neu-Ulmer Deutsch-Libanesen durch den US-Geheimdienst CIA nicht anzweifeln: Ende Dezember 2003 reiste el-Masri nach Mazedonien, wurde dort entführt, gut drei Wochen in einem Hotelzimmer in Skopje eingesperrt und dann in ein afghanisches Gefängnis geflogen. Dort, vermutlich in Kabul, wurde er bis Ende Mai 2004 festgehalten und verhört - nach eigenen Angaben ohne zu wissen, was die Amerikaner ihm vorwarfen. Während der Zeit in dem afghanischen Gefängnis erhielt el-Masri nach eigenen Angaben vier Mal Besuch von einem nach seinen Angaben perfekt Deutsch sprechenden Mann. Dieser nannte sich "Sam" und wusste Details aus El Masris Neu-Ulmer Leben. Kurz nachdem "Sam" ihm versprochen hatte, frei gelassen zu werden, endete seine Gefangenschaft. Im Mai 2004 wurde er in Albanien frei gelassen - und flog nach Deutschland zurück.
Was wußten die Deutschen?
So weit sind die beiden Versionen unstrittig. Erhebliche Unterschiede gibt es jedoch, was die Beteiligung der deutschen Regierung betrifft. Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel behauptet bislang, die Regierung ihres Vorgängers Gerhard Schröder habe von el-Masris Entführung erst nach dessen Freilassung erfahren, als dessen Anwalt an das Kanzleramt geschrieben habe. Dass deutsche Behörden von der Verschleppung des deutschen Staatsbürgers gewusst hätten - oder sie gar stillschweigend in Kauf genommen hätten - bestreitet Berlin vehement. Dem gegenüber steht eine zweite Version, laut der die Deutschen von der Entführung el-Masris schon vorab oder währenddessen erfuhren und sie tatenlos beobachteten, sie sogar billigend in Kauf nahmen. Zwar birgt diese Version eine enorme politische Sprengkraft - auch für die große Koalition, eindeutige Belege gibt es für sie bislang jedoch nicht. Wäre "Sam" allerdings tatsächlich ein deutscher Beamter, müsste die Version der Bundesregierung ernsthaft bezweifelt werden.
Nur, wie stichhaltig ist el-Masris Behauptung? Auch der ermittelnde Münchner Staatsanwalt Martin Hofmann berichtet den Parlamentarieren an diesem Tag. Er ist es, der die Entführer el-Masris jagt. Zwar bestätigt Hofmann El Masris Angaben zu Daten und Umständen der Entführung, die "Sam-Variante" Gerhard L. schließt er aber ausdrücklich aus. "Es handelt sich bei dem Beamten nicht um Sam", sagt er. Es gebe eindeutige Aussagen dafür, dass Gerhard L. während des betreffenden Zeitraums in seiner Dienststelle gewesen sei, nicht in Afghanistan. Die Angaben der befragten BKA-Mitarbeiter seien glaubwürdig. Eine "abgearbeitete Sam-Variante", sei das, sagt Hofmann. Hofmanns Chef, Oberstaatsanwalt August Stern, sagt, man ermittle eher in Richtung einer anderen "Sam-Variante". Er sagt das nicht ausdrücklich, aber es ist klar, dass die Münchner eher dem Verdacht nachgehen, bei Sam handele es sich um einen CIA-Mann. Die Opposition im Ausschuss gibt später unverhohlen zu erkennen, dass sie glaubt, dass die Münchner einfach noch nicht genug ermittel haben, um L. ausschließen zu können.
"Die Deutschen wollen mit ihnen nicht sprechen"
Dabei ist der Verweis auf Sam an diesem Tag nicht die einzige Aussage, mit der el-Masri die Bundesregierung belastet - und deren Version des Verschleppungsfalls in Frage stellt. Er wirft Berlin indirekt vor, seine Entführung bewusst ignoriert zu haben. El-Masri berichtet, während seiner Gefangenschaft in dem Hotel in Skopje um Kontakt zur deutschen Botschaft gebeten zu haben. Diesen Kontakt hätten ihm die Entführer jedoch verweigert. Er deutet an, die deutsche Botschaft habe keinen Kontakt mit ihm aufnehmen wollen, obwohl sie, so der Umkehrschluss, von seinem Fall wusste. "Ich habe mehrmals danach verlangt, mit der deutschen Botschaft oder deutschen Behörden Kontakt zu bekommen," sagt el-Masri. Aber jene, die ihn gefangen hielten, hätten nur geantwortet: "Die Deutschen wollen mit ihnen nicht sprechen." Dem Vorsitzenden des Ausschusses, CDU-Mann Siegfried Kauder, ist die Brisanz dieser Aussage bewusst. Ob er sich sicher sei, dass die Entführer genau dies gesagt hätten, hakt er nach. In früheren Aussageprotokollen habe er das nicht gesagt, behauptet Kauder. "Das war ganz sicher so", antwortet el-Masri. Fast drohend warnt Kauder ihn daraufhin: "Ich frage deswegen, weil ich mich da festbeißen werde. Ich werde mir alle Protokoll genau ansehen", sagt er.

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Abgewimmelt von der deutschen Botschaft?
Wußte die deutsche Botschaft in Skopje nun etwas und blieb untätig? Das Verhalten der Diplomaten in jenem Januar 2004 rückt am Donnerstag noch ein weiterer, in den vergangenen Tagen überraschend aufgetauchter, Zeuge ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Wolf-Dietrich Mengel, ein Ex-Direktor der mazedonischen Telekom. Der 61-jährige Deutsche behauptet, in seiner Funktion als "Sicherheits-Direktor" der Telekom-Firma Anfang 2004 von der Entführung eines Deutschen gehört. Er habe diese der deutschen Botschaft telefonisch gemeldet, sagt er. Bei seinem kurzen Anruf sei er allerdings mit dem Verweis beschieden worden, davon habe man schon gehört und darum kümmere man sich. Er habe seiner Frau am Abend des Anrufs erzählt, er sei abgewimmelt worden, berichtet Mengel
Auch diese Aussage ist prekär. Zwar gibt es Zweifel daran, ob Mengels Nachricht die Verantwortlichen in der Botschaft tatsächlich erreicht hat. So ist unklar, mit wem er in dem kurzen Telefonat gesprochen hat und ob die Nachricht auch den zuständigen Diplomaten erreicht hat. Offenbar hat Mengel nur die allgemeine Nummer der Botschafter angerufen, besondere Kontakte, etwa zur Botschafterin hatte er nicht. Auch hat das Auswärtige Amt nach der Information über Mengels Behauptung in den vergangenen Wochen sofort mit Nachdruck in der Botschaft in Skopje ermittelt und niemanden gefunden, der sich an einen Anruf erinnern kann.
"Ich habe nicht mit dem Pizzaservice gesprochen"
Aber gleichzeitig - "mit dem Pizzaservice habe ich nicht gesprochen" - gibt es wenig Anlass, an Mengels persönlicher Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch sein Bericht, wie er von der Entführung erfahren haben will, legt nicht den Schluss nahe, dass es sich um eine Agenten-Fantasie handelt. Als Sicherheits-Chef der Telekom-Firma hatte Mengel ein Netz von lokalen Informanten eingerichtet, das ihn etwa über geplante Anschläge unterrichten sollte, um Telekom-Mitarbeiter aus den bedrohten Gebieten fern halten zu können. Mengel geht davon aus, dass der Mitarbeiter, der ihm von der Verschleppung des Deutschen berichtete, seine Informationen aus Polizei-Quellen bezog. Zudem, so Mengel, sei die Entführung eines Deutschen keine alltägliche Geschichte gewesen. Er habe das während seines mehrjährigen Aufenthalts in Mazedonien nur einmal erlebt.
Delikate Infos in der Kantine
Mengels Aussagen belegen noch nicht, dass die deutsche Botschaft über den Fall el-Masri gewusst haben muss. Auch ist nicht belegt, dass die Nachricht wirklich die Botschaft in Skopje erreicht hat. Dennoch bleibt die Frage offen, wie es sein kann, dass die mazedonische Polizei Informationen über die Verschleppung eines Deutschen an Dritte - nämlich Telekom-Mitarbeiter - weitergeben konnte, ohne dass die Deutschen davon Wind bekamen. Eine echte Geheimsache war die Entführung in Skopje offenbar nicht. In das Bild passt, dass ein BND-Mitarbeiter vor wenigen Wochen überraschend berichtete, er habe die Nachricht von der Entführung eines Deutschen in Skopje in einer Kantine aufgeschnappt. In der kommenden Woche soll nun auch dieser BND-Mann mit Decknamen "Cordes" vor dem Ausschuss aussagen. Wenn er aussagt. Bisher heißt es, "Cordes" wolle sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, weil er sich sonst selbst belasten könnte.
Für eine originelle Sam-Variante sorgt während el-Masris Aussage am Donnerstag übrigens Grünen-Obmann Hans-Christian Ströbele. Irgenwann während der Marathon-Sitzung hebt Ströbele den Kopf, guckt hinauf auf die Zuschauer-Empore, von der vor allem Journalisten herablugen, und wendet sich an den Vorsitzenden Kauder: "Können sie nicht mal fragen, ob Sam nicht vielleicht dort oben sitzt", bittet Ströbele - und erntet Kopfschütteln, oben und unten.