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Energiewende Die Kraftwerkslobby am Ohr der Kanzlerin

Eine interne Aufstellung zeigt: Kanzlerin Merkel empfängt die Bosse der großen Energieversorger zu regelmäßigen Gesprächen. Die Ökostrombranche muss am Katzentisch Platz nehmen.
Von Hans-Martin Tillack

In den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD setzten sie einige ihrer Forderungen durch - die großen deutschen Stromkonzerne Eon und RWE sowie ihr Lobbyverband BDEW. Eine stern.de vorliegende, noch unveröffentlichte Aufstellung zeigt jetzt, wie häufig die Energiebosse in der vergangenen Wahlperiode in Angela Merkels Regierungszentrale zu Gast waren. Das Kanzleramt hat die Liste als Antwort auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Marco Bülow erstellt.

Demnach empfing Kanzlerin Merkel RWE-Chef Peter Terium seit dessen Amtsantritt im Juli 2012 bereits zweimal zu exklusiven Einzelgesprächen. Beim ersten Treffen handelte es sich laut RWE um einen Antrittsbesuch des Managers, beim zweiten sei es um die Energiewende gegangen. Der Eon-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen begegnete der Christdemokratin zwar nur einmal zum vertrauten Gespräch; er hatte dafür aber häufige Treffen mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Sieben solcher Termine verzeichnet die Liste insgesamt, darunter allein drei in den Wochen nach dem Atomunglück von Fukushima.

Ex-Politiker als Lobbyisten

Je zwei mal traf Merkel überdies die Chefs der Mineralölkonzerne Shell und BP, Peter Voser und Bob Dudley, zum persönlichen Gespräch. Gut eingeführt in der Regierungszentrale scheint zudem Hildegard Müller. Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) war selbst CDU-Politikerin und bis 2008 unter Merkel Staatsministerin im Kanzleramt. In den vergangenen vier Jahren hatte sie dort als einzige Verbandsvertreterin der Branche Gelegenheit zu einem Einzelgespräch mit der Kanzlerin – und zwar am 2. April 2012. Das Gespräch habe "auf Wunsch und Einladung des Bundeskanzleramtes“ stattgefunden, sagt der BDEW.

Müller hatte darüber hinaus je einen Exklusivtermin mit Pofalla sowie mit dem damaligen Staatsminister Eckart von Klaeden. Letzteren Termin hat Müller nach eigenen Angaben aber "ausdrücklich nicht" in ihrer BDEW-Funktion wahrgenommen, sondern als Vorsitzende des deutschen Freundeskreises für die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Von Klaeden wechselte unlängst als Lobbyist zur Daimler AG, was inzwischen zu Korruptionsermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft führte. Die regelmäßigen Müller-Termine im Kanzleramt scheinen zu belegen, dass es sich für Konzerne lohnt, Leute wie sie oder von Klaeden anzuheuern. Bereits vor drei Jahren war es der BDEW-Geschäftsführerin laut Zeitungsberichten gelungen, durch einen bloßen Anruf in der Regierungszentrale unliebsame Pläne von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu stoppen. Dessen Behörde hatte erwogen, Kohlekraftwerke mit einer neuen Steuer zu belasten. Müller will diese Intervention bis heute weder bestätigen noch dementieren.

Ökostrombranche am Katzentisch

Die großen Kraftwerksbetreiber hatten nicht immer das Ohr der Kanzlerin. Sie erlitten eine empfindliche Niederlage, als die Bundesregierung nach Fukushima überraschend den Atomausstieg ankündigte. Nur wenige Monate zuvor, im Herbst 2010, hatte die schwarz-gelbe Koalition aber mit der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke eine zentrale Forderung der Stromlobby erfüllt. In den laufenden Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD nun ein vom BDEW ersonnenes Modell für die künftige Förderung der erneuerbaren Energien aufgegriffen. Zufall oder nicht - für die Lobbyisten von Wind- und Sonnenenergie gab es im Kanzleramt in den vergangenen vier Jahren nur Plätze am Katzentisch. Der bisherige Chef des Spitzenverbandes der Ökostrombranche BEE, Dietmar Schütz, traf die Kanzlerin in den vergangenen drei Jahren zwar ebenfalls dreimal - aber nur zusammen mit größeren Gruppen von Verbandsvertretern. Auch Müller sowie die Chefs von RWE und Eon nahmen neben ihren Exklusivterminen mit Merkel wiederholt an solchen größeren Runden mit der Regierungschefin teil.

Von den insgesamt 70 Gesprächen zu Energiethemen in der zurückliegenden Legislaturperiode, die die Liste aufführt, waren in über 30 Fällen - teils mehrere - Vertreter der vier großen Energieversorger RWE, Eon, Vattenfall und EnbW unter den Teilnehmern.

"Einseitiger Einfluss"

"Die Antwort des Kanzleramtes bestätigt, wie einseitig Einfluss auf politische Entscheidungen genommen wird", kritisiert der SPD-Abgeordnete Bülow im Gespräch mit stern.de: "Hier wird die ganze Problematik des unausgewogenen Einflusses von Lobbyisten deutlich."

Die Bundesregierung ließ eine am Freitag gestellte Anfrage von stern.de dazu bisher unbeantwortet.

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