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Fall Kurnaz Sonderausschuss mit Steinmeiers Zustimmung

Nun gibt es einen eigenen Ausschuss zu den Vorwürfen, die der Deutschtürke Kurnaz gegen die Bundeswehr erhoben hat. Die Entscheidung verzögerte sich, weil die SPD erst die Zustimmung von Außenminister Steinmeier einholte.
Von Florian Güßgen

Es geschah am späten Mittwochnachmittag, kurz vor der Serenade für Friedbert Pflüger im Bendlerblock, dem Sitz des Verteidigungsministeriums in Berlin. Wie es sich gehört, sollte die Bundeswehr dort den scheidenden Staatssekretär mit einem Ständchen verabschieden, einem Mini-Zapfenstreich. Um 18 Uhr gab's den Empfang, ab 19 Uhr sollten "Lilli Marleen" und "Wind of Change" gespielt werden - in Anwesenheit aller wichtiger Verteidigungspolitiker.

Scholz und Röttgen entscheiden

Ein paar Minuten zuvor trafen Olaf Scholz und Norbert Röttgen, die parlamentarischen Geschäftsführer von SPD und Union im Bundestag, nach Angaben aus SPD-Kreisen eine Entscheidung, auf die die Verteidigungsspezialisten eigentlich schon den ganzen Tag gewartet hatten: Der Verteidigungsausschuss soll sich zum Untersuchungs-Ausschuss erklären. Mit den neuen Befugnissen ausgestattet soll das Gremium dann möglichst schnell herausfinden, ob Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr den Deutschtürken Murat Kurnaz im Januar 2002 im afghanischen Kandahar nun misshandelt haben oder nicht. Am Donnerstagvormittag wurde diese Entscheidung dann per Pressemeldung offiziell mitgeteilt, versehen mit Zitaten der verteidigungspolitischen Sprecher von SPD und Union, Rainer Arnold und Bernd Siebert.

Struck beharrt auf Steinmeiers OK

Kurios ist weniger die Entscheidung selbst. Diese trifft quer durch die Parteien auf Zustimmung, selbst bei FDP und Grünen. Kurios ist eher, weshalb der Verteidigungsausschuss den Beschluss nicht schon während seiner Sitzung am Mittwoch fassen konnte. Denn eigentlich hatten die Verteidigungspolitiker von Union und SPD nach Angaben aus SPD-Kreisen geplant, gemeinsam einen Antrag einzubringen und die Entscheidung gegen 14 Uhr bekannt zu geben. Dass sich der Beschluss dann doch verzögerte, hatte mit einer derzeit sehr, sehr vorsichtigen SPD zu tun. Deren Fraktionschef Peter Struck bestand nämlich nach Angaben aus SPD-Kreisen darauf, dass die Zustimmung von Außenminister Frank Walter Steinmeier zu dem Verfahren abgewartet werden müsse. Die Pressestelle der Fraktion wollte den Vorgang nicht bestätigen.

Der Plan der Verteidigungspolitiker platzt

Steinmeiers Verstrickung als Kanzleramtsminister der rot-grünen Regierung in ein mögliches Fehlverhalten deutscher Geheimdienste im Antiterrorkampf wird derzeit vom BND-Untersuchungsausschuss beleuchtet. Der Außenminister wird dort auch aussagen müssen. Zwar bemühten sich die Genossen, die Rückfrage als Routine herunterzuspielen. Dennoch belegt die Episode die gesteigerte Sensibilität der SPD für alles, was mit der rot-grünen Vergangenheit Steinmeiers zu tun hat und Auswirkungen auf den beliebten Außenminister haben könnte. Weil dessen Terminplan am Mittwoch eng war, mussten die Verteidigungspolitiker der großen Koalition auf ihren Auftritt um 14 Uhr verzichten. Zunächst wurde ein Treffen mit dem Minister für den Nachmittag anberaumt. Dazu kam es dann aber nicht, weil Steinmeier schon zuvor sein OK signalisierte.

KSK hatte Kontakt mit Kurnaz

Am Mittwoch hatte das Verteidigungsministerium zugegeben, dass KSK-Soldaten Anfang 2002 in Kandahar Kontakt mit dem von Amerikanern inhaftierten Kurnaz hatten. Dies habe eine interne Ermittlung ergeben, hieß es. Bestätigt wurde auch, dass die Deutschen das dortige US-Gefängnis zeitweilig bewachten. Es sei jedoch zu keinem Gespräch oder zu keiner Befragung Kurnaz' gekommen. Auch gebe es bisher keine Erkenntnisse, dass der Deutschtürke geschlagen worden sei. Kurnaz hatte in einem stern-Interview und in der ARD-Sendung "Beckmann" behauptet, von deutschsprachigen Soldaten misshandelt worden zu sein. Genau diesen Vorwürfen soll nun der Untersuchungsausschuss nachgehen. Der Ausschuss soll zusätzlich herausfinden, weshalb die politische Führung in Berlin, mithin der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping von der SPD, nichts von der Begegnung der KSK-Soldaten mit Kurnaz erfuhr. Am Mittwoch hieß es, die Information sei im Führungsstab der Streitkräfte in Berlin stecken geblieben.

"Der Fall muss lückenlos aufgeklärt werden"

Der Verteidigungsausschuss hat das Recht, sich bei allen Fragen, die die Bundeswehr betreffen, per Beschluss mit den Befugnissen eines Untersuchungsausschusses auszustatten. Das Gremium tagt geheim. Einige Abgeordnete wollen den Untersuchungsausschuss nun auch dazu nutzen, die grundsätzlichen Kontrollmöglichkeiten des Parlaments bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu verbessern. "Die Aufklärung des Einzelfalls Kurnaz ist eine Sache. Darüber hinaus müssen wir uns einem weitergehenden Problem widmen", sagte Winfried Nachtwei, der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, stern.de. "Wir müssen fragen, wie die politische Kontrolle über die KSK als schärfstes und sensibelstes Instrument deutscher Sicherheitspolitik im Jahr 2002 wahrgenommen oder verloren." Man dürfe nicht länger alleine auf das Vertrauen gegenüber der politischen und militärischen Führung angewiesen sein. "Der Fall muss lückenlos aufgeklärt werden, um Schaden von der Bundeswehr abzuwenden. Dazu kann die Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschusses ein geeignetes Mittel sein", sagte FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff stern.de. Die Vorwürfe, die dort nicht geklärt werden könnten, müssten allerdings auf jeden Fall im BND-Ausschuss behandelt werden, sagte sie. "Am Ende muss klar sein, wer die politische Verantwortung für die möglichen Verfehlungen zu tragen hatte, statt auf passende Sündenböcke zurückzugreifen", sagte Hoff. Nach Einschätzung von Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, wird der Versuchungsausschuss in der Lage sein, die Untersuchung binnen sechs Monaten abzuschließen.

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