Nichts ist gut in Lesbos, wo in diesen nass-kalten Vorweihnachtstagen Zehntausende Flüchtlinge unter menschenrechtswidrigen Bedingungen in einem Lager vor sich hinvegetieren. Und nichts ist gut an einer Flüchtlingspolitik der EU, die sich über imaginäre Aufnahmequoten derart zerstritten hat, dass nun, im ganz konkreten Katastrophenfall, sogar die simpelsten humanitären Reflexe blockiert sind.
Holt wenigstens die 4000 Kinder raus
Es ist erbärmlich, mit welch technokratischer Kälte auf den jüngsten Vorschlag von Grünen-Chef Robert Habeck reagiert wird, wenigstens 4000 Kinder von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen. Die einen verweisen darauf, dass Vorort-Hilfe sinnvoller sei, die anderen wollen keine Präzedenzfälle. Die dritten sorgen sich darum, dass auch andere Staaten in der EU mal was tun müssten.
Und kein Argument ist zu weit hergeholt, um Habecks Vorschlag zu diskreditieren. Sogar die Vorweihnachtszeit muss herhalten. Habecks Initiative sei nur ein "PR-Coup", behauptet FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. So leicht kann man es sich auch machen. Doch in Lesbos leiden die Kinder. Mit jedem hoffnungslosen Wintertag leiden sie mehr. Die meisten sind traumatisiert, einige sogar suizid-gefährdet. Wer Soforthilfe verweigert, macht sich an ihnen schuldig. Wer nicht einmal darüber nachdenkt, der tut es auch.
Haben Regierungen noch ihren Wertekompass?
Es wäre deshalb ein echter Coup der Kanzlerin, wenn sie sich in ihrer Weihnachtsansprache nicht in wolkiger Besinnlichkeit verlieren würde, sondern die konkrete Aufnahmebereitschaft verkünden könnte. Was spricht dagegen? Das "C" in CDU sicherlich nicht. Die Furcht, neue Migrantenströme damit nach Deutschland zu leiten? Die ließe sich damit beseitigen, dass man dies zur einmaligen humanitären Aktion erklären würde.
Die Bundesregierung würde sich damit auf EU-Ebene auch nicht in eine schwächere Position begeben. Im Gegenteil. Angela Merkel könnte deutlich machen, dass Regierungen auch in verfahrenen Situationen ihren Wertekompass noch behalten haben.
Und dann, ganz zum Abschluss ihrer Ansprache, könnte sich Angela Merkel sogar selbst zitieren. Wie lautete ihr legendärer Satz nochmal? "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."