Der Gegenwind, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit der Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen ins Gesicht bläst, droht zu einem kräftigen Sturm zu werden: Mehrere Politiker aus CDU und FDP haben die Kanzlerin ins Visier genommen und zum Teil mit scharfen Worten kritisiert. Die deutlichen Verluste in der jüngsten Meinungsumfrage setzen Merkel zusätzlich unter Druck.
Laut "Leipziger Volkszeitung" formieren zwölf Unionspolitiker, zu denen auch maßgebliche CDU-Größen aus Hessen, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg gehören, ihren Widerstand gegen den Kurs der Parteichefin. Die in einem konservativen Profilierungskreis zusammengeschlossene Gruppe wolle die CDU offenbar auf dem nächsten Bundesparteitag Mitte November in Karlsruhe auf eine neue schärfere Linie in der Innen-, Familien- und Sparpolitik festlegen, berichtet das Blatt unter Berufung auf Mitglieder des Kreises.
"Konservativ erkennbare Grundausrichtung"
Die, wie es hieß, unter freundlicher Begleitung der Ministerpräsidenten von Hessen und Sachsen, Roland Koch und Stanislaw Tillich, tagenden CDU-Politiker wollen dem Bericht zufolge in Karlsruhe nicht zum Putsch gegen Merkel aufrufen. Sie wollten jedoch mit einem scharfen Antrag die Kanzlerin, die FDP und die Union auf eine neue alte Linie bringen. Konkret solle dabei der Verzicht auf den flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuungsplätze und auf Abstriche bei den versprochenen zusätzlichen Bildungsmilliarden verlangt werden. Außerdem wolle die Gruppe eine neue "konservativ erkennbare Grundausrichtung" der Politik, insbesondere auch im innenpolitischen Bereich, fordern. Das Ganze auch ohne Rücksicht auf den Partner FDP.
Das "muss nicht aber kann" auch als Herausforderung für Angela Merkel und ihren engsten Vertrauten, Innenminister Thomas de Maiziére, verstanden werden, zitiert das Blatt einen der Teilnehmer des Treffens. Der Kreis hatte sich zuletzt Anfang der Woche in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) getroffen.
"Wir führen seit sechs Monaten Koalitionsverhandlungen"
Die heftigste Kritik schlägt Merkel vom Koalitionspartner entgegen: Der Fraktionschef der FDP in Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, warf ihr einen "dramatischen Mangel an politischer Führung" vor. Die CDU-Chefin habe die Niederlage in NRW und den Verlust der Bundesratsmehrheit billigend in Kauf genommen. "Es wäre an Frau Merkel gewesen, die wesentlichen Inhalte des Koalitionsvertrags auf den Weg zu bringen." Stattdessen habe sie Reformen bei Steuern und Gesundheit verschleppt und sei ihrem Motto "Nirgendwo anecken" treu geblieben. Bleibe es bei Merkels Führungsschwäche, drohten auch der schwarz-gelben Koalition im Südwesten bei der Landtagswahl am 27. März 2011 massive Einbußen, warnte Rülke, der als enger Vertrauter von Ministerpräsident Mappus gilt.
Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) stellte die Führungsstärke der Regierungschefin infrage. "Angela Merkel hat in den letzten Monaten nicht die Deutungshoheit der CDU über den Koalitionsvertrag gehabt. Es muss klar sei, wer die CDU-Führung ist und was sie will", forderte er. Zugleich mahnte der Minister mehr Geschlossenheit und ein Ende des "Stimmenwirrwarrs" bei Schwarz-Gelb an. "Wir führen in Berlin seit sechs Monaten Koalitionsverhandlungen." Bode kritisierte, die Bundesregierung habe aus Angst vor der Landtagswahl in NRW kaum noch Entscheidungen getroffen. "Es war eine Schnapsidee zu sagen, wir stellen vor dem 9. Mai die Politik ein."
Schwarz-Gelb fällt auf 39 Prozent
Unterdessen ist die schwarz-gelbe Koalition nach der Pleite in NRW auch im Bund in der Wählergunst stark abgesackt. Union und FDP kommen im "Deutschland-Trend" der ARD zusammen nur noch auf 39 Prozent. Dagegen konnte das Oppositionslager von SPD, Grünen und Linken auf 56 Prozent zulegen. Die Union fiel um zwei Punkte auf 32 Prozent. Die FDP verlor einen Punkt und landete bei sieben Prozent. Für die CDU/CSU ist es in der Umfrage von Infratest-dimap der schlechteste Wert seit März 2009, für die FDP seit Oktober 2007.
Die SPD konnte im Vergleich zum "Deutschland-Trend" vom 29. April um zwei Punkte auf 28 Prozent zulegen. 17 Prozent würden sich für die Grünen entscheiden, wenn kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre (plus 1). Dies ist der höchste je in dieser Umfrage gemessene Wert für die Partei. Die Linke verbessert sich auf 11 Prozent (plus 1), sonstige Parteien erhalten 5 Prozent. Für den "Deutschland-Trend" wurden am 10. und 11. Mai 1000 Bundesbürger befragt.