Die Union hat es fürs Erste vergeigt. Konnte sie sich im Juni und im Juli noch im Umfrage-Hoch sonnen, war sich ihrer schwarz-gelben Mehrheit gewiss, so bröckelt der schöne Vorsprung, nun droht eine große Koalition. Dabei ist der Stimmungswechsel nicht der Stärke der SPD geschuldet, sondern der Schwäche der Union.
Das schwarz-gelbe Bündnis hat vor allem ein Personalproblem. Es fehlen die Köpfe, die mit Schröder mithalten können, die eine neue Politik mit Leidenschaft verfechten können. Kanzlerkandidatin Merkel hat es verpasst, die Aufbruchsstimmung, die des Kanzlers Selbstentleibung am 22. Mai ausgelöst hat, für sich zu nutzen. Statt mutig und selbstbewusst aufzutreten, statt den Wechsel nicht nur zu verkünden, sondern ihn auch zu verkörpern, wirkt sie verzagt, fahrig, unsicher.
Wenn man Merkel sieht, spürt man immer eine Distanz, auch eine gewissen Scheu, die sie Menschen entgegenbringt. Das alles schürt Zweifel, ob sie, wenn es hart auf hart kommt, wenn eine Krise - sei es ein Terroranschlag, ein Hochwasser, oder eine schwierige Abstimmung - die Entschlusskraft besitzt, die ein Regierungschef benöigt. Wird sie - brutto hin, brutto her - in der Lage sein, als Chefin ein Vorbild zu sein?
Schröder, bei allem, was man gegen ihn vorbringen darf, hat diese Qualitäten. Wenn es ernst wurde, hat er die Rolle des Entscheiders, des Staatsmannes, des Bürger-Königs, überzeugend gespielt. Auch hat er immer den Eindruck vermittelt, dass er weiß, dass es Rollen sind, hinter denen man den "Mensch" erkennen muss - den Typ von nebenan. Mit einem lockeren Kommentar oder einer Geste kann Schröder den Bauarbeiter genauso einfangen wie den Kollegen Staatschef. Auch das ist eine Qualität.
Der Merz-Faktor
Aber nicht nur an der Spitze hat die Union derzeit ein Personalproblem. Fast genau so schwer wiegt, dass es niemanden gibt, der für sie die wichtige Wirtschafts- und Finanzpolitik prominent verkaufen kann. Mit Friedrich Merz, dem ebeno brillanten wie widerborstigen Sauerländer, ist sich Merkel spinnefeind. Aber sonst kann es keiner. Es gibt Ronald Pofalla und Michael Meister - aber das sind Sacharbeiter, keine politischen Zeremonienmeister. Das ist zu wenig in jenem Politikfeld, das eigentlich den Ruhm der Union begründen soll.
Im liberalen Lager setzt sich dieses Manko fort. Weder FDP-Chef Guido Westerwelle noch Fraktionschef Wolfgang Gerhardt konnten bisher im Wahlkampf Themen setzen oder persönlich punkten. Im Gegenteil, die FDP ist im Wahlkampf, außer durch ein paar Auftritte von Generalsekretär Dirk Niebel kaum sichtbar. Auch hier gibt es niemanden, der überzeugend erklären kann, weshalb die FDP die bessere Alternative zu SPD oder Grünen oder Union sein soll.
Diese Schwächen von Union und FDP - und die beharrliche Stärke Schröders - verschaffen der SPD wieder Auftrieb. Und verführen nun die erhabenen Minister Clement, Eichel und Schily dazu, mit einer großen Koalition zu liebäugeln.
Die Vorteile einer großen Koalition
Eine große Koalition hätte viele Vorteile. Ein Bündnis von Union und SPD unter einer Kanzlerin Merkel könnte auf die Zustimmung der Länder im Bundesrat hoffen. Eine Blockadepolitik der Länderfürsten in manchen Punkten wäre zwar wahrscheinlich, weil die Parteidisziplin nicht mehr so stark wirken dürfte, wenn der große Gegner im Bundestag fehlt, aber im Grundsatz dürften wichtige Entscheidungen durchgewunken werden.

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Gleichzeitig wäre sicher gestellt, dass die SPD die Union auf eine Weichspül-Variante ihrer Reformkonzepte verpflichten würde - sie hätte die Möglichkeit, sich als soziales Korrektiv darzustellen. Auch das würde eine gewisse Ausgewogenheit gewährleisten. Schon einmal, argumentieren Befürworter, gab es in Deutschland eine große Koalition - von 1966 bis 1969. Damals haben Union und SPD unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger zentrale wirtschaftspolitische Weichen gestellt. Ein weiteres Argument für eine große Koalition ist ein empirisches. Offenbar gibt es einen Großteil der Bürger, die sich eine derartige Konstellation wünschen. Sie wollen ein breites Bündnis, das die Probleme des Landes konzertiert angeht.
Inhaltliche Kluft zwischen SPD und Union
Die Nachteile liegen jedoch ebenfalls auf der Hand. Eine große Koalition müsste zwangsläufig größere Kompromisse eingehen als ein schwarz-gelbes oder eine rot-grünes Bündnis - wobei das letztere ohnehin utopisch ist. Union und SPD müssten ihre jeweiligen Klientel noch stärker bedienen, als das in der bis jetzt herrschende informellen großen Koalition ohnehin der Fall ist. Zudem gibt es keinen schwarz-roten Konsens darüber, in welche Richtung das Land denn nun gesteuert werden soll.
Bei zentralen Fragen gibt es eine erhebliche Kluft zwischen Union und SPD. Die Union befürwortet die Kopfpauschale, die SPD die Bürgerversicherung, die Union will die Mehrwertsteuer auf 18 Prozent anheben, die SPD will eine Reichensteuer einführen. Die Union will der Türkei höchstens eine privilegierte Partnerschaft mit EU anbieten, die SPD dringt auf die Vollmitgliedschaft. In dieser Koalition wären erhebliche Spannungen vorgezeichnet, die Reibungsverluste wären gewaltig, von der erhofften Harmonie könnte keine Rede sein. Es ist ein Irrtum zu glauben, eine große Koalition könnte das Land im Einvernehmen wieder auf Kurs bringen.
Schub für das Linksbündnis
Zudem würde eine große Koalition unweigerlich das Linksbündnis von Linkspartei und WASG stärken. Schon jetzt schwingen sich die Neo-Linken zum Symbol des Widerstands auf - wider Hartz IV, wider Sozialabbau, wider soziale Kälte. Bei einer großen Koalition würde die Linkspartei zu derOppositionspartei schlechthin werden. Es würde ihr leichter fallen, sich im Bundestag langfristig zu etablieren, mit einem schärferen Profil als Grüne und FDP.
Vielleicht ist es nicht schlecht, dass das Bündnis im Bundestag vertreten ist, vielleicht muss die Position links der SPD vertreten werden, aber besser für den Parlamentarismus wäre es, wenn der Großteil der Oppositionsarbeit von einer starken Volkspartei geleistet würde. Nur sie kann ernsthafte und umfassende Alternativen zur Regierung darstellen. Aus dieser Sicht wäre es besser, die SPD in der Opposition zu haben statt als Junior-Partner auf der Regierungsbank.
Die SPD benötigt eine Regierungspause
Zudem hat die SPD eine Regierungspause dringend nötig. Die Partei ist ausgelaugt. In einer großen Koalition müsste sie sich, wie jetzt, disziplinieren. Die wichtigen programmatischen und personellen Grundsatzdiskussionen zwischen Reformern und Linken würden vorerst verschoben werden. Dabei muss die SPD sich gerade jetzt in offener Debatte dafür entscheiden, wo sie eigentlich hin will. Die Flügelkämpfe dürfen nicht unterdrückt, sie müssen ausgefochten werden. Auch das Personal muss ausgewechselt werden. Schröder, das politische Tier, wäre dann ohnehin weg.
Die Riege um ihn - Clement, Schily, Eichel, all die, die jetzt großkoalieren wollen - gehören in der Partei aber auch zum alten Eisen. In einer großen Koalition würden sie weiter Posten beanspruchen und einen Generationenwechsel behindern. Zwar kommt nach ihnen ohnehin wenig - Sigmar Gabriel, Olaf Scholz, Matthias Platzeck, Ute Vogt, vielleicht die noch etwas junge Andrea Nahles. Alles in allem ist die direkte Nachfolger-Generation dünn besetzt, die übernächste Generation noch nicht flügge. Aber sie alle könnten sich in der Opposition erproben, um dann, geschlossen, wieder das Kanzleramt einzufordern.
Renta-a-Schröder
Die SPD hat einen regierungsfähigen Kanzler, die Union zumindest eine regierungswillige Partei - und die Mehrheit im Bundesrat. Eine geglückte Kombo für eine große Koalition ist das dennoch nicht. Fast möchte man der Union raten, sich irgendwo einen Schröder zu mieten - "Rent-a-Schröder" - , um das Gespenst einer großen Koalition zu vertreiben. Oder Angela Merkel könnte Nachhilfestunden bei ihrem Vorgänger nehmen. Aber das alles wäre ja albern.