Er will nicht. Er will so gar nicht. Am liebsten würde Gerhard Schröder über seinen Freund Wladimir Putin kein Wort verlieren. Ebensowenig über die Krise in der Ukraine. Ob er vermitteln könne? "Ich kann da als Einzelperson nicht viel ausrichten", sagt Schröder am Montag in Paris. Er wolle sich nicht einmischen. Der Sozialdemokrat kann sich nicht einmal dazu durchringen, die russische Regierung für eine Völkerrechtsverletzung zu verurteilen, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Schon als Schröder Mitte Februar das erste Mal gefragt wurde, ob er vermitteln könne, hatte er abgelehnt - und behauptet, die gesamte europäische Spitzenpolitik falle für die Vermittlung aus. "Die Europäische Union ist dazu nicht mehr in der Lage", sagte Schröder "Spiegel-Online". "Die einseitige Unterstützung der Europäer für die Opposition macht es unmöglich, dass die EU in dem Konflikt noch vermitteln kann. Europa hat den Fehler gemacht, sich auf eine Seite zu schlagen, es ist nun selbst Partei." Der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber kritisierte die Äußerung scharf. Er nannte Schröder einen Handlager Putins, der die Bemühungen der EU diskreditiere. Was Tauber nicht sagt: Das Drängen der EU auf ein Assozierungsabkommen mit der Ukraine hatte den Konflikt erst mit heraufbeschworen.
Der Kommunikationskanal
Da Schröder nicht helfen will, richten sich alle Augen, wieder einmal, auf Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte am Sonntag mit Putin telefoniert. Gewöhnlich wird über solche Telefonate nichts bekannt, sie werden öffentlich beschwiegen, um die Diplomatie nicht zu gefährden. Nicht so in diesem Fall. Merkel ließ über ihren Vizesprecher eine klare Botschaft verbreiten: Putin habe "mit der unakzeptablen russischen Intervention auf der Krim gegen das Völkerrecht verstoßen". Dies habe die Kanzlerin dem russischen Präsidenten am Telefon gesagt. Damit markierte Merkel ihre Position eindeutig - ganz im Sinne der USA und führender europäischer Nationen. Niemand will stumm dabei zuschauen, wie die russische Regierung nun die Ukraine filetiert.
Die Erwartungen an Merkel, in diesem Konflikt steuernd einzugreifen, sind hoch - was auch Gründe hat, die nichts mit der Ukraine zu tun haben. Bundespräsident Joachim Gauck sowie eine Reihe führender Minister, von Frank-Walter Steinmeier (Außen) über Ursula von der Leyen (Verteidigung) bis Thomas de Mazière (Innen), hatten nach Amtsantritt der Großen Koalition öffentlich darauf gedrängt, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Nun ist der Testfall gekommen. Zudem glauben nicht wenige Beobachter, dass Merkel und Putin eine besondere Beziehung verbindet - ein Kommunikationskanal, der womöglich effektiver ist als die offizielle Diplomatie.
Er spricht deutsch, sie russisch
Merkel lernte Putin schon im Jahr 2000 kennen. Zwei Jahre später, damals war sie Oppositionsführerin im deutschen Bundestag, traf sie ihn im Kreml. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, erzählte Merkel danach, sie habe den KGB-Test bestanden: Sie sei dem Blick ihres Gegenübers nicht ausgewichen. Es muss ohnehin eine denkwürdige Begegnung gewesen sein. Hier die Ostdeutsche, die sich in der DDR bedeckt gehalten hatte und sich nun anschickte, in der Demokratie politisch nach dem höchsten Amt zu greifen. Dort der ehemalige Geheimdienstler, der als Präsident auf ein autokratisches System zusteuerte.
Aufgrund ihrer Sozialisation verstehen beide die Sprache des Anderen: Merkel hatte in der Schule Russisch gelernt, 1969 gewann sie gar die "Russisch-Olympiade" und durfte zur Belohnung nach Moskau reisen. Putin, der von 1985 bis 1990 als KGB-Offizier in der DDR war, hauptsächlich in Dresden, nutzte seinen Aufenthalt, um seine Deutschkenntnisse zu vertiefen. Dass er flüssig Deutsch spricht, zeigt ein Video seines Auftritts vor dem Bundestag 2001. Gleichwohl nutzen beide bei offiziellen Anlässen ihre jeweilige Landessprache. Einerseits, um keine Fehler in Details zu machen. Andererseits, um sich voneinander abzugrenzen.
Kritik und Nadelstiche
Immerhin liegen zwischen Putin und Merkel politische Welten. Schröder hatte seinen Kollegen Putin noch als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet. Eine Schmeichelei, die ihm schwer geschadet hat. Nicht einmal sein Kanzleramtsminister und best buddy Frank-Walter Steinmeier hat diese Formulierung jemals verwendet. Zu offensichtlich war und ist, dass sich Putin eher als Großmachtpolitiker alter Schule versteht. Merkels Kanzlerschaft 2005 beendete diese offizielle deutsch-russische Männeridylle. Sie traf sich bei Besuchen in Moskau auch mit Dissidenten und Menschenrechtlern, was Putin nicht gefiel. Zur Verhaftung der Punkmusikerinnen von Pussy Riot sagte Merkel: "Wenn ich jedes Mal sofort eingeschnappt wäre, wenn ich zuhause die Zeitung aufschlage, wäre ich keine drei Tage Bundeskanzlerin." Was soll der Mist, sollte das heißen. Freundlich formuliert.
Putin setzte ebenfalls seine Nadelstiche. Eine persönliche Gemeinheit erlaubte er sich bei einem Treffen mit Merkel in Moskau 2007: Putin brachte seine Labradorhündin Koni mit und ließ sie frei herumlaufen. Merkel jedoch hat seit ihrer Kindheit Angst vor großen Hunden. Sie bewahrte die Fassung und versuchte, die Situation mit einem Scherz aufzulockern: Der Hund werde sicher gleich die Journalisten fressen. Tatsächlich blieb ihr dieser Einschüchterungsversuch wohl in schlechtester Erinnerung. "Das hat sie ihm nie vergessen", schreibt die "SZ".

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Enge deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen
Mittlerweile haben Putin und Merkel einen Modus gefunden, der ihnen politisch viel ermöglicht: Sie können sich im direkten, persönlichen Gespräch schnörkellos die Meinung sagen. Und Merkel zeigt mitunter auch Verständnis für die russischen Positionen, zum Beispiel in der Syrien-Frage. Freunde werden sie wohl nie, wie Feinde können sie sich allein wegen der engen Wirtschaftsbeziehungen nicht begegnen: Deutschland bezieht etwa ein Drittel seiner Öllieferungen und 40 Prozent seines Gases aus Russland. Umgekehrt ist Russland auf die Einnahmen aus diesen Geschäften und deutsche Investitionen im Land angewiesen.
Bei dem Telefonat am vergangenen Sonntag rang Merkel Putin immerhin die Zustimmung ab, eine Kontaktgruppe zur Krise in der Ukraine einzusetzen und eine Beobachtermission ins Land zu lassen. Zweck der Übung war, Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Inzwischen sendet Putin vorsichtige Zeichen der Entspannung: Ein militärisches Eingreifen auf der ukrainischen Halbinsel Krim sei derzeit nicht nötig, sagte er am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Er behalte sich diesen Schritt aber als letztes Mittel vor.
Schulz will Merkel als Vermittlerin
Faktisch jedoch ist die Krim bereits unter russischer Kontrolle. Es wird noch vieler diplomatischer Schritte bedürfen, um ein Auseinanderbrechen des Landes zu verhindern. Wenn jemandem zugetraut wird, darüber die Verhandlungen mit Putin zu führen, dann der Kanzlerin. "Angela Merkel zählt zu den einflussreichsten Politikern der Welt. Es wäre gut, wenn sie eine zentrale Rolle bei der Konfliktlösung übernimmt", sagte Martin Schulz (SPD), Präsident des EU-Parlaments am Dienstag. Sie wird es nicht leicht haben. Aber das hatte es Merkel mit Putin noch nie.