Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat bestätigt, dass unter seinem Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) wichtige Informationen zu dem von einem deutschen Oberst angeordneten Luftangriff in Afghanistan zurückgehalten wurden. Der langjährige Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, sowie Staatssekretär Peter Wichert hätten deswegen um ihr vorzeitiges Ausscheiden gebeten. Die Konsequenzen seien gezogen worden, teilte Guttenberg am Donnerstag im Bundestag zu Beginn der Debatte über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit.
Am Donnerstagvormittag hatte die "Bild-Zeitung" berichtet, das Bundesverteidigungsministerium habe offenbar Informationen zum Luftangriff vom 4. September auf zwei entführte Tanklaster in Afghanistan nicht an die Öffentlichkeit und die ermittelnde Staatsanwaltschaft weitergegeben. Demnach hätte der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) viel früher über mögliche zivile Opfer informiert sein müssen als bisher bekannt, schrieb das Blatt.
Jung weist alle Vorwürfe zurück
Guttenberg erklärte nun im Bundestag, der von der "Bild"-Zeitung zitierte Bericht sei seinem Vorgänger Franz Josef Jung überhaupt nicht und ihm selbst erst am Mittwoch vorgelegt worden. Ebenso seien weitere Berichte und Meldungen in der letzten Legislaturperiode nicht nach oben durchgereicht worden. Der 63-jährige Schneiderhan und der 64-jährige Wichert hätten die Verantwortung für die Pannen übernommen. Guttenberg erklärte: "Die personellen Konsequenzen sind erfolgt."
Der jetzige Arbeitsminister Jung wies zurück, möglicherweise Informationen über zivile Opfer bei dem Luftangriff zurückgehalten zu haben. In Berlin erklärte Jung am Donnerstag, es sei eine Tatsache, "dass ich von Anfang an und auch beispielsweise am 6. September klar gesagt habe, dass wir zivile Opfer nicht ausschließen können". Allerdings hatte er am 6. September gesagt, es seien "nach allen mir zurzeit vorliegende Informationen (...) ausschließlich Taliban getötet worden".
Darüber hinaus kündigte er an, im Laufe des Tages zu den Vorgängen im Bundestag Stellung zu nehmen. Er wolle aber erst die Chance haben, die Unterlagen zu prüfen, um vor dem Parlament korrekt Stellung nehmen zu können.
Deutscher Oberst-Arzt meldete früh verletzte Kinder
Der Angriff war von dem Bundeswehr-Oberst Georg Klein befohlen worden. Laut Nato kamen bei dem Luftschlag bis zu 142 Menschen ums Leben - darunter auch Zivilisten. Der Zeitung zufolge dokumentiert eine Untersuchung der Bundeswehr-Feldjäger detailliert, zu welchem Zeitpunkt Informationen über zivile Opfer vom deutschen Regionalkommando in Masar-i-Scharif ans Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam übermittelt wurden. Dieser Bericht war nach Informationen der Zeitung aber nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.
Bereits am Abend des 4. September gab es laut "Bild" Hinweise darauf, dass auch Kinder bei dem Angriff verletzt worden waren. So habe ein deutscher Oberst-Arzt im Regionalkommando in seinem Bericht, der ebenfalls am Abend des 4. September nach Potsdam übersandt wurde, erst von einem Kind, später von zwei Jungen geschrieben, die verletzt worden seien. Verteidigungsminister Jung habe aber noch zwei Tage später behauptet, es seien ausschließlich terroristische Taliban getroffen worden.
"Unverzügliche Konsequenzen"
Der "Bild"-Zeitung zufolge dokumentieren der interne Bundeswehr-Bericht und das Angriffsvideo auch schwere Versäumnisse bei der Aufklärung unmittelbar vor dem Bombenabwurf. Demnach hatte der Augenzeuge, der behauptet hatte, es seien nur Aufständische an den Tanklastern, gar keinen Sichtkontakt zu den entführten Fahrzeugen.

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Guttenberg hatte bereits in der "Bild" eine Untersuchung der Vorgänge angekündigt. "Sollten mir zu Kundus nicht alle relevanten Informationen aus der letzten Legislaturperiode vorgelegt worden sein, werde ich unverzüglich Konsequenzen ziehen müssen."
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"Entweder unehrlich oder unfähig"
Die SPD fordert nun einen Untersuchungsausschuss. "Das ist mehr als ein ernster Vorgang", sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Pflug. "Es ist klar, dass wir an einem Untersuchungsausschuss nicht vorbeikommen." An die Adresse Jungs gerichtet fügte er hinzu: "Es sei denn, Sie ziehen die Konsequenzen."
Abgeordnete der Linken und Grünen sinnierten ebenfalls über einen Rücktritt Jungs. "Wenn sich bestätigen sollte, dass Sie de facto den Bundestag in diesem Zusammenhang belogen haben, dann sind Sie als Minister nicht mehr haltbar - egal in welcher Funktion", sagte der Grünen-Parlamentarier Frithjof Schmidt im Bundestag. Er forderte, den Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss einzusetzen. Auch Paul Schäfer von der Linksfraktion sagte, wenn sich die Vorwürfe bestätigten, müsse Jung ebenfalls zurücktreten. "Ein solcher Minister ist entweder unehrlich oder unfähig."
Die Linken im hessischen Landtag zeigten Jung sogar wegen Strafvereitelung im Amt an. Wegen des Wohnsitzes von Jung im Rheingau ist zunächst die Staatsanwaltschaft Wiesbaden für eine solche Anzeige zuständig.
Westerwelle reagiert "mit völligem Unverständnis"
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nahm den jetzigen Arbeitsminister Jung hingegen in Schutz. "Ich gehe davon aus, dass er es nicht gewusst hat. Franz Josef Jung ist ein außerordentlich gewissenhafter Mensch. Er hätte nie und nimmer behauptet, es gebe keine zivilen Opfer, wenn er eine andere Information gehabt hätte."
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reagierte nach Angaben aus seinem Umfeld zunächst mit "völligem Unverständnis" auf das angebliche Verhalten von Jung. Dem Parlament sagte er für die Bundesregierung Transparenz zu.
Das Verteidigungsministerium unter Jung hatte bis zum Vorliegen des Nato-Berichts offen gelassen, inwiefern Zivilisten Opfer des Angriffs wurden. Der Nato-Bericht traf am Tag des Amtswechsels von Jung zu Guttenberg in Berlin ein. Als erste hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenige Tage nach dem Angriff erklärt, die Bundesregierung würde es zutiefst bedauern, falls es zivile Opfer gegeben haben sollte. Darauf übernahm auch Jung diese Wortwahl.