Nach Münteferings Rückzug SPD in der Krise

Führende SPD-Politiker haben mit Bestürzung auf den Rückzug Franz Münteferings reagiert, andere üben sich in Schadensbegrenzung. Als Kandidaten für die Nachfolge gelten Matthias Platzeck und Kurt Beck.

Führende Sozialdemokraten haben mit Erschütterung und Enttäuschung auf die Ankündigung Franz Münteferings reagiert, den Parteivorsitz aufgeben zu wollen. "Ich bedauere das sehr", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Montagabend vor Beginn der Koalitionsverhandlungen in der Berliner CDU-Parteizentrale. Manchmal sei es so, dass der Ehrgeiz einzelner dem Gesamtinteresse der Partei zuwider laufe, sagte Schröder. Damit dürfte er Andrea Nahles gemeint haben. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler sagte, er sei "traurig und entsetzt zugleich".

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bezeichnete die Situation für die SPD nach dem bevorstehenden Rückzug ihres Vorsitzenden Franz Müntefering als schwierig. Für die Koalitionsverhandlungen brauche man einen "starken Verhandlungsführer", sagte Wowereit im RBB-Inforadio. "Wie weit Müntefering dafür noch Kraft hat, wird sich zeigen", sagte er. "Ich finde die Konsequenzen, die Franz Müntefering gezogen hat, sehr bedauerlich", sagte der SPD-Chef Thüringens, Christoph Matschie. "Die Politik geht aber weiter", sagte Matschie. "Das ist nicht der Untergang der SPD. Der Wechsel an der Spitze ist auch ein Generationswechsel".

Beck und Platzeck als mögliche Nachfolger

Bei der Abstimmung über den künftigen Generalsekretär hatte Müntefering am Nachmittag im Parteivorstand eine Niederlage erlitten und seinen Rückzug angekündigt. Sein Favorit Kajo Wasserhövel war Andrea Nahles in der Abstimmung unterlegen.

Unterdessen brachten einige führende SPD-Politiker Kandidaten für die Nachfolge Münteferings ins Spiel. Matschie verwies auf die Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (Brandenburg) oder Kurt Beck (Rheinland-Pfalz). "Das sind sehr gute Leute, die diese Aufgabe übernehmen können", sagte er. Auch Ute Vogt, SPD-Chefin in Baden-Württemberg, sprach sich für Platzeck oder Beck aus. Am Mittwoch wird der SPD-Vorstand erneut zusammentreten. Mehrere Vorstands-Mitglieder sagten, bis dahin müsse eine Vorentscheidung fallen. Platzeck sagte am Montagnachmittag, er würde vor Verantwortung nicht davonlaufen. "Ich habe mich noch nie vor Verantwortung gedrückt", sagte er im Willy-Brandt-Haus. Allerdings sagte er nicht ausdrücklich, dass er sich um den SPD-Vorsitz bewerben wolle.

"Wir wollen eine Koalition mit der SPD"

Auch in der Union sorgt man sich über den Zustand der SPD. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat die SPD aufgefordert, nach dem Rückzug von Parteichef Franz Müntefering ihre internen Probleme schnell zu lösen. "Es darf nicht sein, dass die SPD-Fraktion die Regierung wählt und die Partei die selbe Regierung bekämpft", sagte Rüttgers am Montag in Berlin. "Wir wollen eine Koalition mit der SPD. Dies setzt voraus, dass das Führungsproblem bei der SPD gelöst wird." Es gebe in der SPD eine tiefe Verunsicherung.

"Dort herrscht Chaos hoch drei"

Nach Ansicht von FDP-Chef Guido Westerwelle sind die Sozialdemokraten nach Münteferings Rückzug "nicht regierungsfähig", so Westerwelle. "Die große Koalition stünde, so sie überhaupt zu Stande kommt, auf tönernen Füßen", sagte der FDP-Chef am Montag in Hamburg. "Bei der SPD herrscht Chaos hoch drei." Müntefering sei von seiner Partei "faktisch abgesetzt" worden. Er habe daher kein ausreichendes Mandat für weitere Koalitionsgespräche mit der Union. "Das wird eine ganz große Wackelpartie", meinte der FDP-Chef. Westerwelle erwartete nunmehr eine Wende in den Bemühungen um eine regierungsfähige Koalition. "Es gibt andere Optionen, die bisher nicht verfolgt wurden", sagte er. "Warten wir ab, was Angela Merkel entscheidet."

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters

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