Drohende Knappheit in Deutschland Vor Abschaltung von Nord Stream 1 am Montag: Kanada liefert Turbine – trotz Sanktionen gegen Russland

Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1
Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung).
© Stefan Sauer / DPA
Am Montagmorgen wird die Gas-Pipeline Nord Stream 1 zu Wartungszwecken abgeschaltet. Bis zum 21. Juli fließt dann kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat Sorge, dass auch danach nichts mehr durch die Rohre fließt.

Die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland wird am Montagmorgen abgeschaltet. Grund sind jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1, die der Betreiber bereits vor längerer Zeit angekündigt hatte. Unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat akute Bedenken geäußert, dass Russland den Gashahn auch nach Abschluss der Wartung nicht mehr aufdrehen könnte. Wie die Betreibergesellschaft Nord Stream AG mitteilte, sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In dieser Zeit werde kein Gas nach Deutschland befördert.

Auslastung der Pipeline lag zuletzt bei nur 40 Prozent

Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern deutlich gedrosselt – und das auch mit dem Fehlen einer Turbine von Siemens Energy begründet, die wegen der Sanktionen nach abgeschlossener Wartung nicht mehr aus Montréal nach Russland geliefert werden konnte. Derzeit wird die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.

Auch russische Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland waren zuletzt zurückgegangen. Gleichzeitig erhalten mehrere europäische Staaten bereits kein Gas mehr aus Russland. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet.

Kanada liefert Turbine nach Russland – trotz Sanktionen  

Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal zu ermöglichen. Dazu werde Kanada "eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis" an Siemens Canada geben, sagte der für Bodenschätze zuständige Minister Jonathan Wilkinson am Samstag. Die Ausnahme ist wegen der Sanktionen gegen Russland zum Ukraine-Krieg nötig. Nach Siemens-Angaben handelt es sich lediglich um eine Turbine. Die Turbine soll aus Kanada erst nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert werden.

"Ohne die notwendige Versorgung mit Erdgas wird die deutsche Wirtschaft sehr große Schwierigkeiten haben", erklärte Wilkinson. "Und die Deutschen selbst laufen Gefahr, dass sie ihre Häuser im bevorstehenden Winter nicht heizen können." Wilkinson warf Russlands Präsident Wladimir Putin den Versuch vor, über die Energiefrage unter den Verbündeten der Ukraine "Spaltung säen zu wollen".

"Wir begrüßen die Entscheidung unserer kanadischen Freunde und Verbündeten", teilte ein Sprecher der Bundesregierung mit. Das Bundeswirtschaftsministerium würdigte einen "guten und konstruktiven Austausch mit der kanadischen Regierung". Die Ukraine hatte Kanada hingegen aufgerufen, die Turbine, die sich derzeit in Werkstätten des Siemens-Konzerns in der Nähe von Montréal befindet, nicht zurückzugeben. 

Eine dauerhafte Abschaltung wäre fatal

Angesetzt wurde die Dauer der Abschaltung von Nord Stream 1 vom Betreiber auf zehn Tage. Die Rede ist von einer Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile. Auch Software-Updates würden vorgenommen. Die Offshore-Pipelines blieben weiter unter Druck. Entsprechende Arbeiten hätten in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 14 Tagen gedauert. Sie wichen dabei aber auch teilweise von der angesetzten Frist ab.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Laut Bundesnetzagentur finden die Arbeiten nicht direkt an der Leitung, sondern an den Verdichterstationen statt, etwa in Lubmin. In Modellrechnungen geht die Behörde von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen aber im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können. Eine dauerhafte Abschaltung könnte laut Modellen der Behörde unter Umständen zu einem Gasmangel in Deutschland im Winter führen.

DPA · AFP
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