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Patient SPD Kurt Beck fühlt sich gemobbt

Politik auf dem kleinen Dienstweg, zwischen Rollbraten und Bier: "Da mache mehr gleisch Näschel mit Köppe." So regiert König Kurt in Rheinland-Pfalz. In Berlin wird er regiert, und das macht ihn krank vor Wut. Eine Sommerreise mit dem SPD-Vorsitzenden.
Von Lutz Kinkel

Von hinten sieht Kurt Beck aus wie ein Preisboxer. Wuchtiges Kreuz, breite Schultern, borstiges, graues Haar mit zwei, drei Wirbeln. Ein stattlicher Mann, ein stolzer Sozialdemokrat, der sich von unten hochgearbeitet hat, der jetzt Parteivorsitzender ist und Ministerpräsident, und zwar in Rheinland-Pfalz, der ehemaligen Festung Helmut Kohls. Doch wer die Augen zusammenkneift, kann auf seinen Schultern ein paar Figuren sehen. Meinungsforscher. Journalisten auch. Merkelmänner, Sozialdemokraten und Oskar Lafontaine. Mit kleinen Spitzhacken bearbeiten sie sein Kreuz. Manchmal treffen sie einen Nerv und Kurt Beck schreit laut auf.

Die Nerven liegen blank

"Schreiben Sie über Ihren Artikel: Kurt Beck macht alles falsch. Dann haben sie es erledigt und können zur Sache kommen. Ich will Ihnen ja nur die Arbeit erleichtern." Abgang des SPD-Vorsitzenden. Wütend stapft er in eine unbevölkerte Ecke des Vorhofes der Maschinenbaufirma Minitec, Standort Waldmohr im Landkreis Kosel. Was war passiert? Eigentlich nichts. In einer Frage an Bernhard Bauer, Chef von Minitec, waren die Worte "Kurt Beck" und "Versäumnis" gefallen. Es ging darum, ob die Landesregierung mehr für Mittelständler wie Bauer tun könne. Beck schnappt im Vorübergehen einen Satzfetzen auf, wittert eine dieser verhassten Debatten über sein Berliner Wirken, bellt und geht. Ratlosigkeit bei den Anwesenden. Beck steht in der Ecke, die Nerven liegen blank. Er müsste aus der Ecke wieder herauskommen. Schnell. Bloß wie?

Eine Sommerreise mit Kurt Beck. Seit 1995 macht er das so. Packt zwei Dutzend Journalisten in einen Reisebus und fährt mit ihnen durch Rheinland-Pfalz, sein Königreich, das er seit den letzten Landtagswahlen mit absoluter Mehrheit regiert. Dem Land geht es gut, die Arbeitslosenquote liegt bei 5,5 Prozent, die Wirtschaft wuchs 2007 um 2,6 Prozent, beide Werte sind besser als der bundesweite Durchschnitt. Was die Bayern können und die Baden-Württemberger, das können wir auch, flöten die Mitteilungen aus dem Pressestaab der Mainzer Staatskanzlei - und so falsch ist das nicht. Hier gibt es nicht nur Woscht und Woi, sondern auch viel mittelständische, exportorientierte Industrie. Minitec ist natürlich ein Vorzeigunternehmen, der Chef lässt fleißig ausbilden und lehnt es ab, für seinen Dienstwagen auf dem Firmengelände einen Parkplatz reservieren zu lassen. Beck war vor seinem Wutausbruch durch die Firmenhallen gelaufen, hatte Hände geschüttelt, Schultern geklopft und Schwätzchen gehalten. Niemand lacht hier über seine Vokuhila-Frisur, seine Anzüge und seinen Dialekt. Auch Bauer, der Firmenchef, sagt "Autsörsing", wenn er Outsourcing meint.

So schön kann Politik sein

Heimat. Hier kann Beck seine Stärken ausspielen. Er kann gut mit den "einfache Leut", er kann schlagfertig sein, sogar witzig, ohne Witze zu erzählen. Beim Textilmaschinenhersteller KSM schnappt er sich einen BH, der dort testweise zusammengeklebt wurde, hält ihn sich vor die Brust und sagt, so einen kaufe er sich auch. Klagt jemand über ein lösbares Problem (jeder hat was auf dem Herzen, wenn der Ministerpräsident kommt), pfeift Beck einen Mitarbeiter heran, der sich kümmern soll. Sein Stil, Menschen ernst zu nehmen, schnell und unbürokratisch zu helfen, hat ihn im Land populär gemacht. Bei größeren politischen Projekten organisiert Beck Diskussionsprozesse von unten nach oben, alle sollen mitreden, alles fließt in ein Konzept ein, darüber wird noch mal geredet, dann haut die Regierung die notwendigen Gesetze im Landtag mit ihrer Mehrheit durch. So erläutert es Beck auf den Busfahrten zwischen Waldmohr, Konken und Kusel, am Fenster huschen blühende Landschaften vorbei. So schön kann Politik sein.

Könnte. Abendessen auf der Wasserburg Reipoltskirchen, kleines Orchester, große Küche. Wieder platzt Beck nach einer eher belanglosen, ironischen Frage ("Die Partei steht also hinter ihnen?") der Kragen, Bitterkeit ergießt schwallweise sich über die weißen Tischdecken. Lässt er sich nicht ständig übertölpeln? Hat ihm nicht Jürgen Rüttgers die Verlängerung des Arbeitslosengeldes II eingebrockt, Andrea Ypsilanti seine unbedachten Äußerungen zur Linkspartei, Gesine Schwan ihm ihre Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten aufgezwungen? Ist er nicht längst ein Getriebener? Beck wird laut, so laut, dass sich sonst kaum noch etwas rührt. Er habe bei Gesine Schwan einen "Abwägungsprozess" durchgeführt. Dass seine Stellvertreterin Andrea Nahles Schwans Kandidatur vorzeitig favorisiert habe, sei nicht ausschlaggebend gewesen. Er habe gesagt: Wir äußern uns erst nach Horst Köhler, so sei es geschehen, er stehe zu seinem Votum. Bumms-Aus-Ende. Ungläubiges Staunen. Eigen- und Fremdwahrnehmung klaffen soweit auseinander, dass die Realität in einem schwarzen Loch zu verschwinden scheint.

Beck will authentisch bleiben

Zirka 20 Prozent hat die SPD bei Umfragen noch. Becks persönliche Werte sind desaströs. Meinungsforscher sagen, Becks negatives Image sei mittlerweile in Beton gegossen, es sei nicht mehr aufzubrechen. Die Debatte über diese Befunde verstärkt die Befunde noch, niemand mag in Berlin noch einen Euro auf ihn wetten. Bei der SPD halten sie ihn, weil sie keinen anderen haben. "Mobbing", sagt Beck im Reisebus. Das sei Mobbing, was die Presse mit ihm betreibe. Da gebe es politische Gründe, den Mindestlohn bei der Post etwa, der ihm den Zorn des Springer-Verlages eingetragen habe. Es gebe aber auch andere Gründe, die schiere Freude der Journalisten am Jagen zum Beispiel. Beck zitiert einzelne Sätze. "Wie kann denn eine gescheite Frau wie Schwan den gut finden?", habe er über sich gelesen. So etwas empört ihn zutiefst. Dass er zu einem Parteilinken erklärt werde - lächerlich. Eigene Fehler? "Die paar Sätze in Hamburg", sagt Beck, er meint seine ersten Äußerungen zu Bündnissen im Westen mit der Linkspartei. Er hat es satt, sich zu entschuldigen.

Berlin, die Partei, der Bus fährt Richtung Winnweiler, dort steht eine Schule, die Beck besuchen soll. Er sagt es nochmal, wie schon so oft auf dieser Reise: Er wolle keine Medienberater, keine Spin-Doktoren, die sein Bild in der Öffentlichkeit schön malen. Stylisten, Imageberater, Redenschreiber, Rhetorik-Trainer, die ganze Corona, die Toppolitiker in Berlin umgibt - nichts für Beck. Als sich ein Fotograf bei einem Stopp vor ihm auf den Boden wirft, von unten ein Bild aufnimmt, eine Perspektive, die üblicherweise unvorteilhaft ist und bei der Kanzlerin deswegen völlig tabu, rührt sich Beck keinen Millimeter. Er will authentisch bleiben, bei seiner "Linnje". Dafür erntet er in Rheinland-Pfalz Anerkennung. Und Spott in Berlin.

"Da mache mehr gleisch Näschel mit Köppe"

"Beck ist nur für 29 Prozent der beste SPD-Kanzlerkandidat", lautet die Schlagzeile der "Rheinpfalz" an diesem Tag. Die Zeitung hatte beim Frühstück im Hotel überall ausgelegen. 29 Prozent - das ist Becks Wert in Rheinland-Pfalz, auch der fällt nun. "Dass sich vieles hier auf das Land durchschlägt", sagt Beck im Bus, "das tut mir leid für meine Leute." Einer dieser Leute ist der Bundestagsabgeordnete Gustav Herzog, es ist sein Wahlkreis, durch den Beck gerade tourt. Herzog sagt, unter den SPD-Mitgliedern in der Pfalz würden sich viele fragen: "Warum tut sich Beck das an?" Und: "Was machen die mit unserem Kurt?" Vermutlich fragen sie sich auch, was Beck ihnen antut - und was das mit ihren Mandaten macht. Aber das sagt Herzog freilich nicht. Nur so viel: "Das ist nicht seine Art". Wobei "Das" für Berlin steht. Also ist das Experiment gescheitert. Beck wollte seinen Politikstil made in Rheinland-Pfalz nach Berlin exportieren. Doch dort gibt es keine absolute Mehrheit, keine Loyalität, keine kontrollierbaren Diskussionsprozesse und keine schnellen Lösungen. Nun importiert Beck seine Berliner Probleme nach Rheinland-Pfalz. Ein verdammt schlechter Deal.

Letzte Station: Mittagessen im "Saatgut" in Gerbach, einem wunderschönen Hof mit Restauration, es gibt Rollbraten, Kartoffelgratin, Möhrensalat, Bier. Derbe Hausmannskost. Beck entspannt sich. Links vor ihm sitzt der Bürgermeister, rechts der Landrat. Der Bürgermeister braucht Geld für eine neue Straße, um sein Dorf ruhiger zu machen. Beck sagt ihm, er soll nach dem Mittagessen einfach mit ins Auto kommen, das könne man auf der Rückfahrt nach Mainz besprechen. Der Landrat soll auch mit, "da mache mehr gleisch Näschel mit Köppe". So läuft es im Land. Kleiner Dienstweg, ein Wohltäter, und der heißt Beck. Berlin ist in diesen Momenten ziemlich weit weg, oder? Er wolle jetzt diese zehn Minuten hier mal in der Sonne genießen, sagt Beck. Und abends Fußball gucken.

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