US-Waffen Wettrüsten im Wahlkampf: Ramelow, Wagenknecht, Höcke und die Tomahawks

Damals Parteigenossen, heute politische Gegner: Sahra Wagenknecht und Bodo Ramelow im Jahr 2018
Damals Parteigenossen, heute politische Gegner: Sahra Wagenknecht und Bodo Ramelow im Jahr 2018
© Britta Pedersen / DPA
Kommt das Wettrüsten zurück? In Deutschland sollen ab 2026 erstmals wieder neue Langstreckenwaffen stationiert werden. Das rückt das Friedensthema zusätzlich in die Mitte des Landtagswahlkampfs. 

Zu den Geschichten, die Bodo Ramelow besonders gerne hervorholt, gehört die Erzählung, wie er im Bonner Hofgarten saß, damals, Anfang der 1980er Jahre. Willy Brandt und Petra Kelly waren da, dazu noch 300.000 andere Menschen, und natürlich der junge hessische Gewerkschaftssekretär Ramelow. Sie protestierten dagegen, dass US-amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden sollten. "Nachrüstung – nach Rüstung kommt Krieg!", habe er wider den Nato-Doppelbeschluss skandiert, sagt Ramelow. 

Gut 40 Jahre später sitzt er nicht mehr unter Friedensbewegten, sondern in der Thüringer Staatskanzlei. Aber die Haltung des Linke-Ministerpräsidenten ist dieselbe geblieben. 

"Wir brauchen keine weitere Stationierung von reichweitenstarken Waffen in der Bundesrepublik", sagte er dem stern. "Ja zur Landesverteidigung – aber Nein zu noch mehr Waffen, die zum Angriff weit ins Gebiet anderer Staaten taugen."

Ramelow reagiert damit auf die gemeinsame Erklärung der USA und der Bundesrepublik. Das Papier wurde am Mittwoch beim Nato-Jubiläumsgipfel in Washington verbreitet. Danach sollen ab 2026 Marschflugkörper vom Typ Tomahawk in Deutschland stationiert werden. Sie besitzen eine Reichweite von deutlich mehr als 2000 Kilometer. Ursprünglich waren die Langstreckenwaffen auch für den Einsatz nuklearer Sprengköpfe vorgesehen.

Ebenfalls in der Erklärung erwähnt sind Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und Überschallwaffen, die sich noch in Entwicklung befänden. Das Vorhaben, hieß es, belege "die Verpflichtung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Nato sowie ihren Beitrag zur integrierten europäischen Abschreckung". Die Waffensysteme verfügten insgesamt über eine "deutlich größere Reichweite als die derzeitigen landgestützten Systeme" in Europa.

Es ist, natürlich, ein Zeichen gegen den Aggressor Russland. Doch für Ramelow ist es genau das falsche Zeichen. "Wir brauchen eine Friedensoffensive, aber nicht immer mehr und immer schwerere Waffen", sagte er. Deshalb habe er zuletzt auch die Gespräche des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in Moskau und Peking begrüßt. 

Ganz offenkundig bewegt sich damit der einzige linke Ministerpräsident wieder in Richtung der alten Parteilinie, die er nach der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 abrupt verlassen hatte. Im Unterschied zu der übergroßen Mehrheit der Linken sprach er sich für Waffenlieferungen an das angegriffene Land aus. Dies gebiete das Recht auf Selbstverteidigung, erklärte er.

Inzwischen zeigt sich Ramelow zwar auf Nachfrage immer noch solidarisch mit der Ukraine. Aber er fordert deutlich lauter als zuvor einen Waffenstillstand.

Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass in Thüringen am 1. September eine Landtagswahl stattfindet, in der Ramelow um sein Amt kämpft. Und so wie in ganz Ostdeutschland werden auch dort Waffenlieferungen deutlich kritischer gesehen als im restlichen Bundesgebiet.

AfD und BSW liegen in Thüringen vor Linke

In den Umfragen liegt die Linke trotz Ramelows Amtsbonus mittlerweile hinter der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Beide haben sich längst jeweils zur einzig wahren "Friedenspartei" erklärt, während die Linke dank Ramelow gespalten erschien. 

AfD-Landeschef Björn Höcke etwa stellt sich immer wieder auf die Seite Wladimir Putins. "Russland ist ein bedrängtes Land. Und Russland will Frieden", sagte er im April. Und die Entscheidung der USA, der Ukraine begrenzte Angriffe mit amerikanischen Waffen auf russischem Territorium zu erlauben, kommentierte er später auf X so: "Deutsche, Europäer, wacht endlich auf, reibt Euch den medialen Schlafsand aus den Augen und jagt die Brandstifter vom Hof!"

Höckes Co-Landeschef Steffen Möller kündigte am Donnerstag an, die Ankündigung aus Washington zum Thema im Wahlkampf zu machen. "Die geplante Stationierung bedeutet eine fürchterliche Eskalation", sagte er dem stern. "Das sorgt nur dafür, dass Deutschland in den Zielrechnern russischer Kernwaffen auftaucht." Die AfD lehne das komplett ab.

Wagenknecht: "Wir brauchen kein neues Wettrüsten"

An dieser Stelle stimmt Möller übrigens vollständig mit der einstigen Linke-Bundestagsfraktionschefin Wagenknecht überein. "Die Stationierung weitreichender Angriffswaffen dient nicht unserem Schutz, sondern macht unser Land zum potenziellen Angriffsziel feindlicher Raketen und bringt uns damit in große Gefahr", sagte sie dem stern. "Wir brauchen kein neues Wettrüsten".

Schon heute gebe die Nato zwölfmal so viel Geld für Waffen aus wie Russland, sagte die BSW-Vorsitzende. "Ein großer europäischer Krieg mag aus der sicheren Entfernung der USA kalkulierbar sein, für die Menschen in Deutschland und Europa wäre er verheerend." Es gehe also nicht darum "kriegstüchtig" zu sein, sondern "endlich wieder friedensfähig" zu werden.  

Wagenknecht dürfte diese Sätze in diesem Sommer auf den Marktplätzen ihres Geburtslandes Thüringen noch oft wiederholen – ebenso wie im Nachbarland Sachsen, wo gleichzeitig der Landtag gewählt wird. Hier tritt man sich in der Friedenspolitik ohnehin auf die Füße, zumal auch die CDU unter Michael Kretschmer eine dezidiert kriegskritische Haltung einnimmt. 

Immer wieder forderte der sächsische Ministerpräsident in den vergangenen zwei Jahren Verhandlungen mit Putin. "Wir brauchen dringend diplomatische Bemühungen, um den russischen Präsidenten zu einem Waffenstillstand zu bewegen", sagte er im Februar dem stern. Auch mit dieser Haltung erreicht er hohe Zustimmungswerte. 

Was also hält Kretschmer von neuen US-Langstreckenwaffen in Deutschland? Für eine Anfrage war der Regierungschef am Donnerstag vorerst nicht zu erreichen. Er macht noch ein paar Tage Urlaub, bevor der Wahlkampf um Krieg und Frieden so richtig beginnt.