Zwischenruf Die Rückkehr Königsbergs

  • von Hans-Ulrich Jörges
Im ehemals deutschen Ostpreußen - heute als Exklave an der Ostsee Teil Russlands - lebt die alte Geschichte wieder auf. Die Russen selbst bauen darauf ihre neue Identität. Und Moskau sucht eine Klammer zu Deutschland.

Das Deutsche wird zurückgeholt ins Leben, in die Alltags- wie in die Hochkultur. "Königsberg" heißt ein Bier, das in Kaliningrader Gaststätten getrunken wird. In deutscher Schrift steht der Name auf der Flasche, darunter: "Nach dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut". "Altes Königsberg" nennt sich ein Wodka, der in Kaliningrader Supermärkten im Regal steht, der Name indes in kyrillischer Schrift. "Ostmark, Exportbier 1910" wird im Ferienort Swetlogorsk ausgeschenkt, dem früheren Rauschen, am Strand der Ostsee, wo auch ein Lokal "Rauschen" heißt und vor drei Jahren Wladimir Putin, Gerhard Schröder und Jacques Chirac konferierten im "Hotel Grand Palace". Nicht weit weg vom deutsch beschrifteten "Restaurant Seestern".

Im Dom braust Bachs Messe in h-Moll aus der gewaltigen Orgel.

Wladimir Putin, dessen Frau von dort stammt, hat die Region zum strategischen Projekt gemacht

Deutsche Hochkultur blüht in Kaliningrad. Im wiederaufgebauten Dom - das Geld kam größtenteils aus Moskau - braust am Samstagabend Bachs Messe in h-Moll aus der gewaltigen Orgel. Der Dom ist gefüllt von ergriffen lauschenden Russen. Es ist Bach-Jahr im früheren Königsberg, im September wird die Matthäus-Passion aufgeführt. Unterm Dach der Backsteinkirche ist ein Kant-Museum eingerichtet, unten am Dom der deutsche Philosoph beerdigt, Blumen sind ans Gitter vor dem Sarkophag gesteckt. Daneben wurde Herzog Albrecht ein Denkmal errichtet, dem "Gründer der Königsberger Universität", wie es deutsch auf dem Sockel heißt. Die Beschilderung des Doms ist zweisprachig: 1333 Baubeginn, 1351 Einweihung, 1992 Wiederaufbau.

Rekonstruktion der Altstadt

Dabei soll es nicht bleiben. Auch das zerstörte Königsberger Schloss soll auferstehen - vom Kreml bezahlt. Und in einer Kaliningrader Zeitung werden Pläne für die Rekonstruktion der historischen Altstadt ausgebreitet, die 1944 bei einem englischen Luftangriff vernichtet worden war: "Altstadt" als deutscher Name in kyrillischer Schrift. Bei Wilhelm von Boddien, der erfolgreich den Wiederaufbau des Berliner Schlosses betrieben hat, wurde ein Modell dafür erbeten.

Es ist ein kleines, stilles Wunder, das im "Oblast Kaliningrad" - der russischen Exklave, eingezwängt zwischen Litauen und Polen - zu besichtigen ist. Das frühere Ostpreußen, 1945 von der Roten Armee erobert und danach fast fünf Jahrzehnte militärisches Sperrgebiet, sucht seine Identität in der Rückbesinnung auf die deutsche Geschichte. Nirgendwo sonst hat es einen so radikalen Bevölkerungsaustausch gegeben. Die Deutschen wurden vollständig vertrieben, die neuen Bewohner - heute eine Million Menschen, darunter nur etwa 8000 Russland-Deutsche - kamen aus allen Teilen des Sowjetimperiums, aus Sibirien etwa, aus Zentralasien, aus Tschernobyl. Treibgut der sowjetischen Geschichte. Nichts hatten sie gemein, nur die neue Heimat. "Es gibt heute keinerlei Vorbehalte gegen Deutschland", sagt Guido Herz, der deutsche Generalkonsul. Vieles wird zweisprachig. Ein altes Gestüt, im Besitz eines Moskauer Ölmagnaten, heißt wieder "Georgenburg", alte Kurorte an der Ostsee nutzen informell ihre früheren deutschen Namen.

Palmnicken zum Beispiel, das amtlich Jantarny heißt. Moritz Becker hat hier um 1860 Abbau und Verarbeitung von Bernstein entwickelt, sein deutscher Nachfahre Ludwig Becker eröffnet nun hier ein Hotel. "Restaurant Becker" steht auf Deutsch an der Fassade. Alexander Blinow, energischer Bürgermeister, wohlhabender Unternehmer und ganz Mann Moskaus, sagt trocken: "Wir sind Landsleute, Becker ist hier geboren und ich auch." Blinow hat die deutschen Glocken wieder in die einst lutherische, jetzt orthodoxe Kirche gehängt, an der es heißt: "Diese Kirche wurde eingeweiht unter der Regierung Kaiser Wilhelm II. am 3ten Januar 1892." Blinow hat zudem einen "Moritz-Becker-Park" angelegt und ein deutsches Museum eingerichtet. Dort wurde gesammelt, was von den Vertriebenen geblieben war: Fotos und Bierkrüge, mit Hindenburg, Wilhelm II. oder dem Spruch: "Für König und Vaterland". In den Vitrinen finden sich sogar ein Teller mit Hakenkreuz unterm Reichsadler und eine Broschüre mit Hitler- Bild. Vor zwei Monaten hat Dimitrij Medwedjew, als designierter Präsident, das Museum besucht.

Wladimir Putin, dessen Frau aus Kaliningrad stammt, hat das ehemalige Ostpreußen zum strategischen Projekt gemacht. Es soll Drehscheibe werden zwischen Deutschland und Russland. Moskau pumpt Geld hinein, plant ein gigantisches Atomkraftwerk für den Stromexport und hat die Fluggesellschaft KD Avia aufgebaut, mit Linien nach Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Hannover und München. Was fehlt, ist die strategische Antwort aus Berlin: Visaerleichterungen etwa, gar ein visafreier Verkehr mit der Stadt. Die könnte, wenn die Kriegsveteranen nicht mehr sind, eines Tages durchaus wieder ihren alten Namen tragen: Königsberg.

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