"Anne Will" "Ich gehe hier doch nicht in Handschellen raus" Strack-Zimmermann spricht von Geheimlieferungen

Von Ingo Scheel
In einem in Blau und Creme gehaltenem TV-Studio sitzen drei Frauen und zwei Männer auf hellen Sesseln mit Abstand
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war bei "Anne Will" dieses Mal nur zugeschaltet
© NDR/Dietmar Gust
Deutschland diskutiert den offenen Brief von Alice Schwarzer & Co. zur Ukraine an den Bundeskanzler. Bei Anne Will ging es dagegen um Scholz selbst, vor allem seine Art, zu kommunizieren, das Ergebnis: ein Stündchen im Ungefähren.

Vor einer Woche noch sprach sich Bundeskanzler Scholz dagegen aus, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, Deutschland wolle sich nicht zur Kriegspartei machen. Nach Kritik von allen Seiten plötzlich die Kursänderung: Deutschland will der Ukraine Flugabwehrpanzer zur Verfügung stellen. Alles lediglich eine Frage der Kommunikation? Nur ein Viertel der Deutschen hält es da mit dem Kanzler, die Mehrheit sieht Scholz in der Pflicht, mit offenen Karten zu spielen. Muss der Kanzler seine Politik besser erklären? Und welche weitere deutsche Unterstützung für die Ukraine wird es in Zukunft noch geben? Und überhaupt: Panzer ins Kriegsgebiet - wohin führt Deutschlands Ukraine-Politik?

Das diskutierten am Abend bei "Anne Will" folgende Gäste:

  • Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, Bundesaußenministerin)
  • Saskia Esken (SPD, Parteivorsitzende)
  • Veronika Grimm (Wirtschaftswissenschaftlerin, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung)
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, Mitglied des Bundestages und Mitglied im Bundesvorstand) Parlamentarische Staatssekretärin a.D.)
  • Johann David Wadephul (CDU, Mitglied des Deutschen Bundestages und Stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges, Verteidigung)
  • Markus Feldenkirchen (Politischer Autor im "Spiegel"- Hauptstadtbüro)

Die ersten bald 20 Minuten gehörten erst einmal der Außenministerin, für Annalena Baerbock ging es direkt auf den Will-Grill. Sind die frisch beschlossenen Panzerlieferungen an die Ukraine die richtige Maßnahme, was hat es mit dem Vorhaben auf sich, Russland so geschwächt zu sehen, dass es nie wieder einen Angriffskrieg führen kann und vor allem: Müsste Olaf Scholz seinen als Schlingerkurs wahrgenommenen Entscheidungsweg nicht zumindest versuchen zu erklären? So in etwa schaute er aus, der Themenkreis des Auftaktdrittels.

Annalena Baerbock versucht den Spagat

Und Baerbock schien ein wenig zu wanken, fiel aber nicht, versuchte sich am Slalom zwischen Regierungsloyalität und größerem Kontext. "Dies ist keine deutsche Entscheidung, sondern eine europäische", so Baerbock. "Frauen werden vergewaltigt, Kinder werden erschossen. Wir haben bis zuletzt an einem Tisch gesessen, die Antwort waren Bombardierungen." Noch einmal auf den Punkt gebracht: "Ein großer Nachbar überfällt den kleinen, das akzeptieren wir nicht. Putin hat klargemacht, dass er im Zweifel auch Moldau und die baltischen Staaten angreifen würde. Wenn wir das jetzt einfach so hinnehmen, ist das eine Einladung für mehr."

Dem Mission Statement, das wenig Neues erbrachte, folgte in den verbleibenden 40 Minuten vornehmlich Diskussionen um das große 'Wie', weniger um das 'Warum', wie noch im "Tatort" kurz zuvor. Etwa die Frage, ob es okay ist, dass Merz jetzt nach Kiew fährt, oder ob da nicht doch nur innenpolitische Interessen dranhingen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sah es pragmatisch: "Das ist ja keine Kaffeefahrt. Es geht nicht darum, wer die schönsten Fotos macht." Das BKA habe auch versucht, sie von ihrer Reise in die Ukraine abzuhalten. Was Merz denn in Kiew erreichen wolle außer "ein Selfie mit Selenskyj?", wollte Will wissen. Johann David Wadephul hielt die Reise zumindest für "für ein gutes Zeichen".

Scharfe Kritik an Olaf Scholz

Weniger gut kam bei ihm der Bundeskanzler weg. "Kommunikativ ist Scholz ein Ausfall", so der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges und Verteidigung. Lob bekamen ausgerechnet die Grünen, Habeck und Baerbock seien "die einzigen Minister, die konsistent kommunizieren." Markus Feldenkirchen gab dem Kanzler noch den Kredit der Ausnahmesituation. "Langsamkeit wäre ja durchaus legitim", so der "Spiegel"-Autor, man müsse sich dann nur auch mal äußern und zugeben, dass man falsch lag. Das jedoch, Stichwort Hybris, fände eben nicht statt.

Und während Saskia Eskens betonte, es wäre wichtig, ein Signal an die Bevölkerung zu geben, dass man zusammenarbeitet, ginge es ebenso darum, nicht immer wieder aufzulisten, was Deutschland schon geliefert habe. Strack-Zimmermann deutete an, dass nicht alles, was geliefert wird, auch verraten werden darf. Anne Will versuchte, da noch etwas herauszukitzeln, aber Strack-Zimmermann war auf der Hut. "Ich gehe hier doch nicht in Handschellen raus", ihre vollmundige Reaktion.

Ein älterer weißer Mann mit Halbglatze streckt seine linke Hand Richtung Publikum, während er auf einer Bühne eine Rede hält
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© David Young / DPA
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Wenig Neues zum Krieg in der Ukraine

Am Ende blieb nichts wirklich Neues hängen. Ja, der Kanzler kommuniziert suboptimal. Putin hört mit. Niemand ist gegen Diplomatie, aber jetzt würden halt nur noch schwere Waffen helfen – die einzige Sprache, die Putin noch versteht. Alice Schwarzer, Dieter Nuhr und Lars Eidinger, um mal drei Namen zu nennen, sehen das wohl deutlich anders. Der von ihnen – und zwei Dutzend weiteren Künstlern und Intellektuellen – unterzeichnete offene Brief, das heiße mediale Eisen überhaupt dieses Tages, wurde nur in einem einzigen Nebensatz angerissen. Schade.

tkr