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P. Köster: Kabinenpredigt Julian Nagelsmann – Wunderknabe im Stresstest

P. Köster Kabinenpredigt zu Nagelsmann
Trainer Julian Nagelsmann steckt beim FC Bayern München in seiner ersten großen Krise
© Christof Stache / AFP
Die Krise des FC Bayern ist vor allem eine Krise des Julian Nagelsmann. Der Coach wirkt resigniert und unsouverän. Das aber kann sich ein Bayern-Trainer nicht erlauben. Sagt stern-Stimme Philipp Köster.

Wer vor der Bundesliga-Saison auf den FC Bayern als Meister wettete, wurde mit lausiger Quote belohnt. Zu offensichtlich schien, dass der Dauermeister der letzten Dekade auch diesmal den Titel holen würde, zumal die Münchner auf dem Transfermarkt kräftig zugegriffen hatten. Der Weggang von Robert Lewandowski wurde mit Sadio Mané vom FC Liverpool kompensiert. Dass sich ein Topstürmer der Premier League zum Wechsel in die Bundesliga bewegen ließ, galt als Meisterstück von Hasan Salihamidzic. Dass der Sportvorstand später auch noch den Juventus-Verteidiger Matthijs de Ligt als neuen Abwehrchef präsentierte, nährte die Überzeugung, dass die Bayern in dieser Saison noch ein bisschen unschlagbarer sein würden als ohnehin schon.

Nun aber, nach absolvierten sieben Spieltagen, steckt der FC Bayern in der größten Krise seit dem November 2019. Damals hatte Niko Kovac das Vertrauen der Mannschaft und der Bosse verloren, sein Nachfolger Hansi Flick machte dann aus einem zaudernden Ensemble wieder eine echte Mannschaft und führte sie ein Dreivierteljahr später zum umjubelten Triple.

Die Erinnerung an den legendären Stimmungsumschwung ist noch frisch und hat dazu beigetragen, dass in diesen Tagen wieder über die befreiende Wirkung eines Trainerwechsels spekuliert wird. Denn wie damals sind die mauen sportlichen Darbietungen mit dem Tiefpunkt einer nicht unverdienten 0:1-Pleite beim FC Augsburg am Samstag nicht mit der Qualität des Kaders zu erklären. Jeder, der am Wochenende auf der Bayern-Bank hockte, wäre in allen anderen Bundesliga-Klubs unumstrittener Stammspieler.

Julian Nagelsmann vermittelt dem Team keine Bayern-Kardinaltugenden

Aber ganz offenkundig ist es Trainer Julian Nagelsmann bisher weder gelungen, die hochkarätigen Neuzugänge zu integrieren, noch der Mannschaft die Kardinaltugenden des Rekordmeisters zu vermitteln. Dazu gehört eine an Arroganz grenzende Siegeszuversicht, eine dominante Spielweise, vor allem aber gnadenlose Effizienz vor dem Tor, für die sinnbildlich in den letzten Jahren Robert Lewandowski stand. Wer sah, wie Bayerns Stürmer in Augsburg klarste Chancen versemmelten und wie Keeper Manuel Neuer verzweifelt nach vorne stürmte, um in den Schlussminuten wenigstens noch ein bisschen für Torgefahr zu sorgen, machte das Fehlen des polnischen Knipsers noch offenkundiger.

Dramatisch ist die Krise nun nicht unbedingt wegen der fünf Punkte Rückstand auf Union Berlin. Die Saison ist noch lang. Was die Bosse jedoch nachhaltig beschäftigt, ist die offenkundige Stagnation der Truppe. Schon in der letzten Saison hatte die Klubführung das Ausscheiden in der Champions League gegen den vermeintlichen Außenseiter Villareal an mangelnder Gier und Leidenschaft festgemacht. Es war deshalb ein Alarmzeichen, dass Hasan Salihamidzic schon wieder feststellte: "Die Jungs müssen sich schon besser konzentrieren und besser fokussieren, gieriger sein, die Spiele zu gewinnen"

Nun könnte Julian Nagelsmann der Talfahrt kämpferisch begegnen, seine Taktik erklären, Zuversicht verbreiten und den Weg zur Besserung skizzieren. Stattdessen machte der Coach auf der Pressekonferenz nach dem Spiel einen rätselhaft resignierten und beinahe entrückten Eindruck. Kaum eine Journalistenfrage, die er nicht zynisch oder pampig retournierte, um dann auch noch kryptisch festzustellen: "Ich denke über alles nach: über mich, über die Situation. Über alles."

Ob ihm klar war, dass auch dieser Auftritt ein Verstoß gegen die Bayern-Etikette war? Wenn es nämlich eine eiserne Regel für Trainer beim Rekordmeister gibt, dann jene, stets souverän und gelassen zu wirken. Übungsleiter, die die Kontrolle und Übersicht verlieren, arbeiten für gewöhnlich nicht mehr lange an der Säbener Straße. Julian Nagelsmann jedoch macht schon seit Wochen keinen gefestigten Eindruck mehr. Seine deutliche Schiedsrichter-Schelte nach dem 1:1 gegen Mönchengladbach etwa hatte auch intern für Irritationen gesorgt.

Vielleicht ein Glück, dass nun eine Länderspielpause ansteht. Zeit zum Nachdenken über sich, über die Situation, über alles. Und vielleicht auch darüber, wie er den FC Bayern möglichst fix zurück an die Tabellenspitze bringt.

kng

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