"You win some. You lose some. That's how life is in the big league." Mal gewinnst du, mal verlierst du. Das ist halt so, wenn du mit den Besten spielst. Diese Wahrheit eines kanadischen NHL-Profis fasst alles zusammen, was es nach einer bitteren Niederlage im Sport zu sagen gibt.
Bitter, das war die Niederlage, die Joachim Löw und sein Team gestern gegen Südkorea erlitten haben, ohne Zweifel. Letztlich hat die deutsche Mannschaft in keinem der drei Vorrundenspiele bei der WM überzeugt und auch nur ansatzweise die Leistung gebracht, die eines Weltmeisters würdig gewesen wäre. Darüber gibt es keine zwei Meinungen. Und erfreulicherweise auch aus dem Kreis der Mannschaft keine peinlichen Entschuldigungsversuche. "Erbärmlich" lautete das zutreffende Urteil von Manuel Neuer.
Es gibt kein Abo auf Erfolg - auch für eine deutsche Mannschaft nicht
Aber, siehe oben, so ist das eben, wenn du mit den Besten spielst. Es gibt kein Abo auf den Erfolg. Selbst für eine deutsche Mannschaft nicht. Und auch dann nicht, wenn vor dem Turnier (auch von den Medien und vermeintlichen Experten) der Eindruck erweckt worden ist, die WM sei ein Selbstgänger, das Halbfinale Pflicht und die Titelverteidigung ausgemachte Sache.
Eine Mannschaft findet sich, wächst zusammen, hat Erfolg - und ist irgendwann über den Zenit hinaus. Wenn wir ehrlich sind: Diese deutsche Mannschaft, in dieser Besetzung und so, wie sie gespielt hat, war über dem Zenit. Doch dafür jetzt allein den Bundestrainer verantwortlich zu machen und reflexhaft Löws Abschied zu fordern, ist purer Aktionismus. Nach dem Muster: Klatsche gekriegt. Es muss was passieren – also: weg mit Löw!
Sicher, der Meinung kann man sein. Die Argumente dürften ungefähr so lauten: Der Kader war falsch zusammengestellt – Stichwort: Sané und Wagner. Löw hätte die satten Weltmeister nicht mehr aufstellen dürfen. Die schlappen Vorbereitungsspiele gegen Saudi-Arabien und Österreich hätten Warnung genug sein müssen.
Alles so richtig, wie populär. Allerdings: Diese Mannschaft, diese Weltmeister, sind souverän ohne Niederlage durch die EM-Qualifikation gerauscht. Drei Jahre lang nach dem Gewinn des WM-Titels war noch alles gut. Die Mannschaft schien intakt, fuhr Siege am Stück ein. Dazu der rauschhafte Gewinn des Confed-Cups mit einer jungen, hungrigen Spieler-Generation. Löw konnte aus dem Vollen schöpfen.
Doch dann, knapp ein Jahr vor der WM, hörte das auf. Gegen Spanien, gegen Brasilien war die Leistung noch okay, aber was dann folgte, waren schon diese fahrigen Auftritte ohne Biss und Herz, die die drei Vorrundenpartien gegen Mexiko, Schweden, Südkorea bereits erahnen ließen.
Was ist im vergangenen Jahr passiert?
Wenn man sich schon auf die Suche nach den Ursachen begibt, muss man da ansetzen: Was ist da im vergangenen Jahr passiert? Wie ist das Gefüge dieser Mannschaft so durcheinander geraten, dass am Ende diese Vorrunde in Russland herausgekommen ist? Und hat der Bundestrainer etwas damit zu tun?
Bei einer möglichen Ablösung von Joachim Löw muss man sich doch folgende Fragen stellen: Was hat er konkret falsch gemacht? Hat er auf den Stolper-Start reagiert? Ist er in der Lage, diese Mannschaft mit neuem Esprit und neuem Titelhunger auszustatten? Und – nicht zuletzt – gibt es überzeugende Alternativen?
Also, suchen wir nach Antworten: Konkrete Fehler von Löw? Mag sein, dass die Kaderzusammenstellung diskutabel war. Sané und Wagner womöglich schärfere Waffen gewesen wären gegen kompakte, tief stehende Gegner wie Schweden und Südkorea. Andererseits: Brandt, Gomez vs. Sané, Wagner – will wirklich irgendjemand vom Redaktionstisch aus diese Nuancen besser beurteilen als ein Trainerteam nach einer kompletten Saison samt intensiver Vorbereitung? Und ehrlich: Die Vorstellung, Löw hätte Sane mitgenommen, den formschwachen Müller aber zu Hause gelassen – er wäre für verrückt erklärt worden. Und bei einem Ausscheiden wäre ihm ebendieser Verzicht auf die satten Weltmeister, die jetzt als Verantwortliche ins Visier geraten, aufs Brot geschmiert worden.
Die Aufstellung gegen Mexiko ein Fehler? Zu Beginn des Turniers auf die bewährten Kräfte zu vertrauen und mit Müller, Khedira, Draxler zu beginnen, war nachvollziehbar. Schlampige Vorbereitungsspiele hatte es zuvor auch gegeben, doch zu Turnierbeginn, darauf konnten Löw und Fußballdeutschland sich verlassen, war die Mannschaft stets da. Okay, Reus draußen zu lassen, war sicher diskutabel. Doch die Begründung eines hoffentlich noch langen Weges im Turnier verständlich. Allerdings: Dass er nicht frühzeitig, schon während der 1. Halbzeit auf die überraschend abwartende Taktik der Mexikaner reagiert hat, das kann man Löw in der Tat ankreiden.
Hat Löw auf den Stolper-Start anschließend adäquat reagiert? Unbedingt. Gegen Schweden opferte er Khedira, Özil und Draxler, nahm Rudy und Reus in die Startelf. Als es nicht lief, kam Gomez, später Brandt. Mit Werner als Linksaußen war auch das nötige Tempo da. Gegen Südkorea setzte er den enttäuschenden Müller auf die Bank, holte zwar Khedira und Özil wieder zurück, vertraute aber auch auf WM-Neuling Goretzka. Alles seriös und nachvollziehbar.
"Wir haben es nicht auf den Platz gebracht"
Das große Rätsel ist doch vielmehr das, was Löw selbst nach dem Ausscheiden konstatierte: "Es gab einen Plan, aber wir haben es nie auf den Platz gebracht." Oder wie Manuel Neuer es formuliert: "Wir haben nicht die nötige Bereitschaft gehabt." Wenn es etwas gibt, was man Löw vorwerfen kann: Dass es ihm und seinem gesamten Stab binnen der letzten Monate nicht gelungen ist, das leise Nachlassen, das Fehlen der letzten paar Prozente rechtzeitig zu erspüren und darauf klar und konsequent zu reagieren. Oft hat das Prinzip Hoffnung gegriffen, dass die altgedienten Weltmeister es schon noch einmal richten würden. Aber wenn wir ehrlich sind: Diese Meinung war durchaus mehrheitsfähig in der Presse und bei den Fans.
Bleibt die Frage: Ist Löw in der Lage, dem Team bis zur EM und zur nächsten WM neue Impulse zu geben, ihm ein neues Gesicht zu verpassen? Wobei die eigentliche Frage lauten muss: Will er das überhaupt noch? Denn wahrscheinlicher als ein Rauswurf Löws scheint derzeit ein freiwilliger Rückzug des enttäuschten Bundestrainers. "Ich bin frustriert und brutal enttäuscht", ließ Löw nach dem Ausscheiden wissen. "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, ich muss da erst mal eine Nacht drüber schlafen."
So reflektiert, wie man Löw bisher wahrgenommen hat, wird ihn die Frage selbst umtreiben: Bin ich noch der Richtige für diese Mannschaft? Habe ich noch das Feuer? Will ich noch mal diesen langen Weg gehen und ein Team formen, das sich hungrig und mit Leidenschaft auf den langen Weg zu einem Titel macht?
Wie auch immer Löw sich entscheidet: Zwangsläufig, wie es jetzt von vielen gefordert wird, ist sein Rückzug nicht. Schließlich hat er nach der Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien, in dem ihm eine falsche Taktik angelastet worden war, bewiesen, dass er in der Lage ist, Kritik anzunehmen und daraus erfolgreich seine Schlüsse zu ziehen.
Wie sehen die Alternativen aus?
Und dann bleibt da noch die Frage nach einer möglichen realistischen Alternative. Beim Stichwort realistisch scheiden schnell hingeworfene Namen wie Tuchel, Klopp, Guardiola schon mal aus. Naheliegende Lösungen wie die Assistenten Sorg und Schneider sind zu sehr mit Löw verbunden, als dass sie ernsthaft für neue Impulse stehen könnten. Nagelsmann? Gerade bei Leipzig unterschrieben. Scholl, Sammer? Viel zu kantig für die PR-Maschine DFB. Irgendwann landet man bei Namen der Kategorie Hasenhüttel, Weinzierl, Dutt.
Mal ehrlich: Heilsbringer sehen anders aus.
