Mit Rekord-Kollisionen ist der weltgrößte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider (LHC) am Cern, dem Urknall so nahe gekommen wie nie zuvor. In der Maschine am europäischen Teilchenforschungszentrum bei Genf prallten fast lichtschnelle Atomkernteilchen mit der bislang unerreichten Energie von sieben Tera-Elektronenvolt aufeinander.
Die Kollisionen markieren den Beginn der wissenschaftlichen Experimente am LHC, der seit mehr als 20 Jahren geplant und gebaut wurde, um fundamentale Fragen über die Natur zu beantworten. Woher kommt die Masse? Wie viele Dimensionen hat das Universum? Was ist die rätselhafte Dunkle Materie, die im Weltall vier bis fünf Mal häufiger ist als die uns bekannte? "Das ist der Beginn einer fantastischen neuen Ära der Teilchenphysik", jubelte Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer. "Ich gratuliere allen, die an diesem Erfolg mitgewirkt haben."
Erfolg im dritten Anlauf
Drei Anläufe hatten die Cern-Physiker am Dienstag benötigt, um den ersehnten Teilchencrash auszulösen. Die beiden ersten Versuche waren vom automatischen Sicherheitssystem gestoppt worden. "Solche kleinen Pannen sind absolut normal", erläuterte Heuer, der per Videoübertragung aus Japan zugeschaltet war. "Wir haben eine Unzahl von Komponenten, die alle zur selben Zeit funktionieren sollen." Beim LHC-Vorgänger LEP habe es eine Woche bis zur ersten Kollision gedauert.
Lauter Jubel brandete auf, als die Forscher um 13.06 Uhr die ersten Partikel-Crashs in ihren hausgroßen Detektoren messen konnten. Am Hamburger Forschungszentrum Desy, das an zwei Detektoren beteiligt ist, knallten die obligatorischen Sektkorken. "Das ist der Höhepunkt der Arbeit tausender Menschen über Jahrzehnte", betonte Desy-Forschungsdirektor Joachim Mnich. Der Start wurde weltweit beobachtet. Der LHC "dürfte uns etliche Antworten liefern", freute sich etwa der US-Nobelpreisträger von 2004, David Politzer, vom California Institute of Technology in Pasadena, wo der Start in einer Live-Übertragung aus Genf zu verfolgen war.
Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) gratulierte den Cern-Forschern. "Die Wissenschaftler haben hiermit auf eindrucksvolle Weise gezeigt, zu welch bemerkenswerten Leistungen die internationale Zusammenarbeit in der Forschung führen kann." Deutschland ist der größte Geldgeber des europäischen Teilchenforschungszentrums.
Die Angst vor Schwarzen Löchern
Mit den Teilchenkollisionen betreten die Physiker wissenschaftliches Neuland. Die Energie ist 3,5 Mal höher als in jedem früheren Teilchenbeschleuniger. Kritiker wollten die Experimente stoppen, da sie befürchten, dass dabei gefährliche Schwarze Löcher entstehen, die die Erde verschlingen. Die Physiker geben jedoch Entwarnung - auf der Erde und im All kämen wesentlich stärkere Kollisionen dieser Teilchen vor.
Von 2013 an soll die Kollisionsenergie verdoppelt werden und damit die 14 Tera-Elektronenvolt erreichen, für die der LHC ausgelegt ist. Wegen der erhofften fundamentalen Erkenntnisse zur Entstehung und Zusammensetzung unseres Universums hat der LHC den Spitznamen Weltmaschine bekommen. Er gilt auch als größte Maschine der Welt. Kurz nach einem Bilderbuchstart im September 2008 musste der mehr als drei Milliarden Euro teure Beschleuniger allerdings wegen eines technischen Defekts mehr als ein Jahr lang abgeschaltet und überholt werden. Dabei kam es auch noch zu einer seltsamen Panne, weil Brotkrümel in einen Teil der Anlage gefallen waren.
Mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen etwa zum Higgs-Teilchen, das der gängigen Theorie zufolge allen anderen Teilchen ihre Masse geben soll, rechnen die Forscher frühestens in mehreren Monaten oder gar Jahren.