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Kampfpanzer Frühjahrsoffensive: "Um Gebiete zurückzuerobern, muss Kiew den modernen Blitzkrieg beherrschen"

Leopard 2 in gedeckter Feuerstellung
Leopard 2 in gedeckter Feuerstellung
© Bundeswehr / PR
Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie verwundbar Kampfpanzer sind. Doch ohne sie sind keine Offensiven möglich. Der stern sprach mit dem britischen Militärexperten Nicolas Drummond über moderne Landkriegsführung und darüber, wieso es ohne schwere Kettenfahrzeuge keinen Sieg geben wird.

Herr Drummond, mit dem Krieg in der Ukraine wurde von vielen das Ende des Kampfpanzers ausgerufen. Sie haben dem energisch widersprochen. Wieso?

Ja. Im Gegenteil. Die Vorstellung, dass Kampfpanzer eine "untergehende Sonne" seien, wurde durch elfmonatige Kämpfe in der Ukraine gründlich widerlegt.

Wieso kommen Sie zu diesem Schluss? Es wurden doch eine Menge Panzer abgeschossen?

Trotz des tapferen ukrainischen Widerstands ging eine riesige Menge an Territorium verloren, weil die Ukrainer die Masse von russischen Panzern und Schützenpanzer, die ihre Stellungen anfangs angriffen, nicht zurückhalten konnten. Es gibt keine andere Fähigkeit zur Landkriegsführung, die die Schockwirkung, Widerstandsfähigkeit und Geländegängigkeit von Kettenfahrzeugen hat.

Die russischen Verluste waren doch überraschend hoch oder nicht?

Die große Anzahl russischer Panzerfahrzeuge, die von ukrainischen Streitkräften zerstört wurden, deutet darauf hin, dass sie veraltet sind. Die Verwundbarkeit russischer Panzer wurde durch schlechte Taktiken und schlechte Führung noch verstärkt. Wenn sie ohne Infanterieunterstützung oder Artillerie vorrücken, werden sie eine leichte Beute.

Gar kein Schutz ist nicht die Alternative

Die Zeit der Panzer ist also nicht vorbei?

Zu sagen, dass Panzer obsolet sind, ist dasselbe wie zu sagen, dass gepanzerte Personentransporter und andere Arten von geschützter Mobilität ebenfalls obsolet sind. Aber was ist die Alternative, wenn Sie alle gepanzerten Fahrzeuge abschaffen? Was werden Sie stattdessen verwenden, um Ihre Truppen zu schützen? Wenn sie in ungeschützten Jeeps und Lastwagen herumfahren, sind sie noch leichter zu töten.

Zu Beginn des Krieges setzten ukrainische Truppen leicht gepanzerte Fahrzeuge – MRAPs – sehr effektiv ein, um Truppen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurden. Aber diese Fahrzeuge hatten weder die Mobilität noch den erforderlichen Schutz, um in die direkte Feuerzone einzudringen. Stattdessen wurden sie als "Schlachtfeldtaxis" eingesetzt, um Infanterie in die vorderen Gebiete zu transportieren, von wo aus sie zu Fuß operierten.

Verstanden, schon die geringe Geschwindigkeit von abgesessenen Fußsoldaten setzt sie sehr lange Zeit der Gefahr durch gegnerische Drohnen und Artillerie aus. Doch auch wenn es keine Alternative zu gepanzerten Fahrzeugen gibt, haben sich die Bedingungen doch geändert. Kampfpanzer werden von Panzerabwehrlenkwaffen bedroht, die viel weiter reichen und viel gefährlicher sind als der Panzerschreck des Zweiten Weltkriegs. Was hilft dagegen?

Panzer sind zunehmend durch Lenkwaffen – ATGM – verwundbar. Aus diesem Grund ist die Integration von aktiven Schutzsystemen (APS), die Raketen mit HEAT-Sprengköpfen abwehren können, fast schon obligatorisch. Der M1A2C Abrams verfügt über das Trophy-System aus Israel. Der Leopard 2A7+ hat Trophy. Der Challenger 3 wird es bekommen. In Wirklichkeit braucht jedes Fahrzeug, das in die direkte Feuerzone eindringt, ein APS. Es geht darum, so viele Fahrzeuge mit APS auszustatten, wie wir uns leisten können.

APS – Active Protection Systems oder zu Deutsch "Abstandsaktive Schutzmaßnahmen" versuchen, einen anfliegenden Gefechtskopf zu stören (Soft Kill) oder ihn mit einer Art Schrotschuss abzuschießen (Hard Kill). Zur Zeit sind jedoch nur wenige Exemplare damit ausgerüstet. Die Bundeswehr sitzt daran, etwa 17 Leopard 2 so auszurüsten. Und dann ist der Panzer wieder sicher?

Auch die Bedrohung aus der Luft durch Drohnen (UAVS), Top-Attack-Waffen und Loitering Waffen (dt.: lauernde Waffen) muss berücksichtigt werden. Es ist zu erwarten, dass leichte Schnellfeuerkanonen und schwere Maschinengewehre auf Kampfpanzern angebracht werden, um eine Schutzglocke mit mehreren Schichten zu schaffen. Gegenüber den ATMGs ist die Dicke der Panzerung weniger wichtig als früher. Der APS-Schutz ist jedoch nach wie vor nicht in der Lage, APFSDS-Penetratoren zu stoppen.

Nicholas Drummond

Nicholas Drummond ist ein in Großbritannien ansässiger Strategieberater, der hauptsächlich die Verteidigungsindustrie berät. Sein Spezialgebiet ist die Landkriegsführung mit Fahrzeugen, Kleinwaffen und anderen Infanterie-Waffensystemen.

Neben seiner Arbeit betreibt er den Blog "UKLandPower" und kommentiert aktuelle Entwicklungen bei Twitter. Zuvor diente er als Offizier in der britischen Armee und war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in Deutschland stationiert. Er hat einen Master-Abschluss in Recht und Wirtschaft vom Trinity College in Cambridge und besuchte die Royal Military Academy in Sandhurst.

APFSDS eine kryptische Abkürzung. Es steht für Armor Piercing Fin-Stabilized Discarding Sabot oder panzerbrechende, flügelstabilisierte Treibkäfiggeschosse. Das ist die modernste Entwicklungsstufe der Panzergeschosse, die primär durch die Wucht ihres Aufpralls die Panzerung aufbrechen. Ein Geschoss wie die DM 53 des deutschen Leopard 2 kann nicht mit dem Splitterhagel eines APS abgewehrt werden?

Exakt, darum verfügen die meisten NATO-Kampfpanzer nach wie vor über einen maximalen Schutz über den gesamten Frontbogen. Die Geschosse haben sich weiterentwickelt, doch die neuesten Verbundwerkstoff- und Keramikpanzerungen sind äußerst wirksam.

Schon in der Normandie und in den Schlachten um das Falaise-Pocket war die Artillerie der gefährlichste Panzerkiller. Heute sind ihre Fähigkeiten durch Lenkmunition und die Überwachung großer Gebiete durch Drohnen noch weiter gestiegen. Wie kann dem entgegengewirkt werden? Ist es notwendig, die russische Artillerie auszuschalten, bevor die Truppen ins Feld ziehen?

Die Artillerie ist und war ein hochwirksamer Panzerkiller, gegen den auch APS nicht viel ausrichten kann. Sehen Sie, es ist nicht einmal ein Volltreffer notwendig. Ein Artillerietreffer, der in der Nähe eines Fahrzeugs einschlägt, kann alle Sensoren des Fahrzeugs ausschalten, so dass die Besatzung blind wird. MLRS-Raketen mit Panzerabwehr-Submunition sind heute verboten, um Kollateralschäden zu vermeiden, waren aber äußerst wirksam.

So etwas Ähnliches wurde erstmals von den Sowjets im Zweiten Weltkrieg von Flugzeugen aus eingesetzt. Mit durchschlagendem Erfolg.

Die gleiche Wirkung könnte durch Drohnen oder herumfliegende Munitionsschwärme erzielt werden, die zum Angriff auf Panzerverbände eingesetzt werden. Größere Gefechtsfeldraketen und Sprengköpfe, die in der Lage sind, große Zonen zu zerstören, sind ebenfalls wirksam. Die Bedrohung durch die Artillerie, deren Ziele von Drohnen ermittelt werden, hat die moderne Kriegsführung zu einem ausgeklügelten Versteckspiel werden lassen. Man muss die feindliche Artillerie ausfindig machen und neutralisieren, bevor man vorrücken kann. Während die Artillerie also die gefährlichste Bedrohung auf dem Schlachtfeld bleibt, ist geschützte Mobilität absolut notwendig, um sich auf dem Schlachtfeld überhaupt bewegen zu können.

Mobilität entscheidet

Wie Sie schon sagten: Auch gepanzerte Fahrzeuge bieten keinen absoluten Schutz, aber ihr Schutz ist weit besser als zu Fuß oder im ungepanzerten Lkw. Artillerie macht Bewegung riskant, doch nur Bewegung im Feld führt zum Sieg.

Leichtere Fahrzeuge sind kostengünstiger als schwerere. Dies erklärt die aktuelle Abkehr von der traditionellen schweren Panzerung und die Hinwendung zu mittelschweren 8x8-Fahrzeugen. Früher konzentrierten sich die Armeen mehr auf kettengetriebene Kampfpanzer und Schützenpanzer. Radfahrzeuge bieten eine Expeditionsfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit, die für die erste Schlacht unerlässlich ist. Dies ist ein Aspekt, den die Bundeswehr bei der Erweiterung ihrer Boxer-Flotte berücksichtigt.

Grundsätzlich lässt sich die moderne Kriegsführung in zwei Phasen unterteilen. Phase 1 ist eine Defensivphase, in der die Armeen die tiefe Schlacht oder die erste Schlacht führen. Dabei geht es um den schnellen Aufbau einer Vornverteidigung, um das Gelände zu halten, bevor der Feind es einnehmen kann.

Sie meinen eine Defensivlinie, die den Feind vor der eigentlichen Hauptkampflinie aufhält?

Dazu brauchen Sie Fahrzeuge wie den Boxer 8x8, die eine größere operative Mobilität aufweisen als Panzer. Solche Fahrzeuge setzen sowohl Panzervernichtungstrupps ein, die eine mobile Verteidigung durchführen, als auch eingegrabene Einheiten, die eine statische Verteidigung durchführen. Diese mobile Vorhut hat die Aufgabe, die eigenen Artilleriebatterien mit Hilfe von Drohnen und anderen Sensoren mit Zielen zu versorgen.

Wie entscheidend ist Geschwindigkeit?

Die Ukraine zeigt, wie wichtig Mobilität ist. Wenn man von Artillerie überrascht wird, ist es umso besser, je schneller man das Zielgebiet verlassen kann. Mobilität ist ein wesentlicher Bestandteil der Überlebensfähigkeit. Wenn Sie zuerst aufmarschieren, braucht der Gegner einen zahlenmäßigen Vorteil von 3 zu 1, um sie zurückzudrängen. Wenn Sie zu spät kommen, brauchen Sie den 3 zu 1 Vorteil, um den Feind zu verdrängen. Der amerikanische Bürgerkriegsgeneral Nathan Bedford Forrest ist berühmt für seinen Ausspruch: "Der Befehlshaber, der zuerst mit den meisten Truppen am Ziel ist, gewinnt."

Nathan Bedford Forrest ist den meisten nur als Vorfahr der Film- und Romanfigur "Forrest Gump” bekannt, doch hat es ihn tatsächlich gegeben. Er war ein kühner Befehlshaber und auch ein Gründungsvater des Klu Klux Klans. Zurück zum Szenario: Nur im besten und unwahrscheinlichen Fall wird man den Gegner an der vorderen Linie stoppen können.

Es ist wahrscheinlich, dass Sie Territorium abtreten müssen. Selbst wenn Sie die Entscheidungsschlacht erfolgreich führen und den Angreifern erhebliche Verluste zufügen, müssen Sie noch die Nahkampfschlacht oder die zweite Schlacht schlagen. Um dies erfolgreich zu tun und verlorene Gebiete zurückzuerobern, muss man, hier also Kiew,  den modernen Blitzkrieg beherrschen, was die NATO als Combined Arms Manoeuvre bezeichnet.  Aus diesem Grund sind Kampfpanzer und Schützenpanzer nach wie vor von Bedeutung. Sie sind unverzichtbar, damit eine angreifende Truppe Boden gewinnen und halten kann. Die Russen konnten das ukrainische Territorium erst dann erfolgreich einnehmen, als sie Panzer und Infanterie zusammen einsetzten, die sich unter dem Schutz der Artillerie vorwärts bewegten. 

Artillerie ist wieder der Gott des Krieges

Artillerie wird in der Öffentlichkeit immer unterschätzt, zeigt aber erneut, dass sie das Gefecht beherrschen kann.

Ja. Wie können sich Panzer gegen Artilleriebeschuss schützen? Das ist in der Tat sehr schwierig. Selbst mit verstärktem Schutz ist kein Panzer unverwundbar. Und zusätzlicher Schutz geht mit zusätzlichem Gewicht einher, was die Mobilität beeinträchtigt. Außerdem werden Panzer teurer, wenn wir sie zu kompliziert oder exotisch machen. Dadurch verringert sich die Zahl der Fahrzeuge, die wir uns leisten können. Ohne eine kritische Masse an Fahrzeugen wird jeder Angriff abgewehrt werden. Wie Stalin sagte, geht Quantität vor Qualität.

Die Idee eines unzerstörbaren Panzers ist ein populärer Mythos. Immer wenn in Kriegen in etwa gleichwertige Gegner aufeinandertrafen, kam es auch zu Verlusten. Etwa in der Schlacht um Kursk, in der Normandie oder auch im Sinai. Im Kalten Krieg bereitete man sich auf den Zusammenprall großer Panzerarmeen vor. Dabei ging man von ungeheuren Verlusten in kurzer Zeit aus.

Absoluten Schutz gibt es nicht. Armeen müssen einen Kompromiss zwischen absoluten Zahlen und absoluten Fähigkeiten eingehen. Letztlich ist es sehr schwierig, Artilleriebeschuss zu vermeiden. Man wird ins Visier genommen. Sie werden Verluste erleiden. Aber wenn man keine gepanzerten Fahrzeuge oder ein gewisses Maß an geschützter Mobilität hat, wird man ganz sicher nicht überleben.

Erster Teil des Interviews - Teil II "Die Leopard 2 werden Putin den Rest geben" folgt demnächst

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