Botschafter agieren normalerweise im Verborgenen und versuchen auf diskrete Weise die Interessen ihres Landes zu vertreten. Andrij Melnyk war genau das Gegenteil davon. Als Botschafter der Ukraine hat er in den vergangenen Monaten mit offenem Visier und in außergewöhnlich scharfer Weise die Unterstützung Deutschlands für den Kampf seines Landes gegen die russischen Angreifer eingefordert. In Bundesregierung und Koalition war er dafür als Nervensäge der Nation verschrien. In den Talkshows war der exzellent Deutsch sprechende Diplomat als Stimme der Ukraine ein gern gesehener Gast.
Unter Druck geriet er allerdings, als er den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera vor zwei Wochen gegen Vorwürfe in Schutz nahm, er sei während des Zweiten Weltkriegs für Massenmorde an Polen und Juden verantwortlich gewesen. Zuerst distanzierte sich das ukrainische Außenministerium von Melnyk. Nun hat Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Abberufung verfügt.
Gründe wurden in dem knappen Dekret, das am Samstag im Internet veröffentlicht wurde, nicht genannt. Wann Melnyk Berlin verlassen wird, ist auch noch nicht klar. Seine Tage in der Hauptstadt sind aber gezählt.
Andrij Melnyk: seit mehr als sieben Jahren Botschafter in Berlin
Der 46-jährige stammt aus Lwiw in der Westukraine, wo er auch Rechtswissenschaften studierte, bevor er in den diplomatischen Dienst eintrat. Melnyk war Botschafter in Österreich und Generalkonsul in Hamburg, hatte aber auch verschiedene Posten im Präsidialamt und Außenministerium in Kiew, bevor er im Januar 2015 Botschafter in Berlin wurde.
Mit der deutschen Staatsführung hat sich Melnyk schon angelegt, lange bevor der Krieg in der Ukraine begann. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier attackierte er Anfang 2021, weil der Nord Stream 2 als eine der letzten Brücken zwischen Deutschland und Russland verteidigt hatte.
Seine Forderungen nach Waffen für die Ukraine sind auch schon älter als der russische Truppenaufmarsch im Osten der Ukraine im vergangenen Herbst. Viele Vertreter der Regierungskoalition reagierten genervt darauf - aber nur hinter vorgehaltener Hand. Als Kanzler Olaf Scholz am 27. Februar seine "Zeitenwende"-Rede im Bundestag hielt, wurde Melnyk mit stehendem Applaus begrüßt. Auf der Tribüne umarmte ihn Altbundespräsident Joachim Gauck.
Die russischen Panzerverluste

Häufigster Talkshow-Gast in den ersten Kriegsmonaten
In den folgenden Monaten wurde Melnyk zum häufigsten Gast in deutschen Talkshows. Die Art, wie er seine Kritik vortrug, ging vielen gegen den Strich. Öffentliche Kritik an ihm gab es trotzdem nicht, jedenfalls nicht aus der ersten oder zweiten Reihe der Berliner Politik - weil man damit ja auch die Ukraine kritisiert hätte, deren offizieller Vertreter in Deutschland Melnyk war.
Erst als der Botschafter Kanzler Scholz als "beleidigte Leberwurst" bezeichnete, wurde die Kritik an Melnyk salonfähig. Selbst Oppositionspolitiker nannten das "indiskutabel" und "unangemessen". "Olaf Scholz ist keine Wurst, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki.
Kritik an Bandera-Äußerungen ließ Melnyk verstummen
Der Groll Melnyks auf die Regierung legte sich erst mit der Lieferung der ersten schweren Waffen in die Ukraine, der Reise des Kanzlers nach Kiew und dessen Unterstützung für den EU-Kandidatenstatus der Ukraine. Genau in diesem Moment erwischte ihn die Sache mit Bandera, dem umstrittenen ukrainischen Nationalisten, dem Historiker Kollaboration mit den Nazis und eine Mitverantwortung für die Ermordung von Polen und Juden vorwerfen. In Melnyks Heimat, der Westukraine, wird Bandera allerdings auch von vielen als Freiheitskämpfer verehrt.
In einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung nahm der Botschafter Bandera gegen den Vorwurf in Schutz, er sei ein Massenmörder. Dafür wurde er nicht nur vom eigenen Außenministerium, sondern auch von der polnischen Regierung und der israelischen Botschaft scharf kritisiert. Erst Tage später reagierte Melnyk darauf und wies auf Twitter den Vorwurf zurück, er habe damit den Holocaust verharmlost. Seitdem schweigt er wieder.
Melnyks Zukunft ungewiss
Was nun aus dem 46-Jährigen wird, ist unklar. Seine diplomatische Karriere ist mit der Abberufung jedenfalls nicht unbedingt beendet. Die "Bild" hatte vor einer Woche berichtet, der Botschafter könne nach Kiew zurückkehren und stellvertretender Außenminister werden. Er selbst antwortete am Samstag zunächst nicht auf Anfragen nach einer Stellungnahme.