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Sanktionen gegen Russland EU-Kompromiss zu Öl-Embargo: "Putin hat wieder einmal einen Moment zum Luftholen bekommen"

Ein Teil der Empfangsstation der Druschba-Ölpipeline (Freundschaft) in der größten Ölraffinerie Ungarns
Ein Teil der Empfangsstation der Druschba-Ölpipeline (Freundschaft) in der größten Ölraffinerie Ungarns. Die EU-Staaten haben sich nach wochenlangen Diskussionen auf einen weitgehenden Boykott von Öllieferungen aus Russland verständigt.
© Zsolt Szigetvary/MTI/epa / DPA
Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban blockierte wochenlang einen EU-Boykott gegen russisches Öl. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel gelang nun ein Kompromiss. So kommentiert die Presse im In- und Ausland den Sanktionsbeschluss.

Das EU-Ölembargo gegen Russland kommt, aber die bisherige Geschlossenheit der Europäer gegenüber Moskau hat Risse bekommen: Die EU-Staaten haben sich nach wochenlangen Diskussionen auf einen weitgehenden Boykott von Öllieferungen aus Russland verständigt. Die Einigung bei einem Gipfel in Brüssel offenbart allerdings, dass es der EU nach drei Monaten zunehmend schwerfällt, mit einer Stimme auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu reagieren. Zwar sind die Staats- und Regierungschefs der 27 Staaten weiter um Geschlossenheit bemüht. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban konnte aber nur durch erhebliche Zugeständnisse dazu gebracht werden, den Embargo-Plänen zuzustimmen.

Die Einfuhr von russischem Öl per Schiff soll dem Kompromiss aus der Nacht zum Dienstag zufolge verboten werden. Der Importstopp übers Wasser wird aber frühestens Ende des Jahres wirksam. Lieferungen über den Landweg per Pipeline bleiben erlaubt.

"Untätigkeit und ablaufende Zeit sind die besten Verbündeten Wladimir Putins"

Ungarn hatte argumentiert, dass das Land aus wirtschaftlichen Gründen nicht so schnell auf russisches Öl verzichten könne. Die Nachbarländer Slowakei und Tschechien schlossen sich an. Um Orban zum Einlenken zu bewegen, wurde ihm nach seiner wochenlangen Blockade Geld aus EU-Töpfen für den Umbau der Öl-Infrastruktur seines Landes in Aussicht gestellt. Bei plötzlichen Lieferproblemen soll Ungarn zudem erlaubt werden, trotz Embargos Öl per Tanker zu beziehen.

So kommentieren Zeitungen aus Deutschland und der Welt den Öl-Kompromiss der EU.

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): "Putin kann sein Öl weiter strömen lassen. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass er aufgrund der Verknappung zunächst sogar die Preise erhöhen kann – und mehr Geld für seine Kriegskasse einnimmt. Zudem hat Putin genug Zeit erhalten, um neue Abnehmer zu finden. Langfristig werden die Vielzahl der Sanktionen dem russischen Diktator zwar schaden, die Mittel knapp. Doch das wird bis weit ins nächste Jahr dauern. Putin hat wieder einmal einen Moment zum Luftholen bekommen. Und er weiß: Die Nerven in der EU sind angespannt. Ein jeder Regierungschef steht in seinem eigenen Land unter enormen Druck, könnte schnell nervös werden. Die Europäische Union muss wieder enger zusammenrücken. Wofür sie aber kaum Zeit hat: Schließlich soll schleunigst das siebte Sanktionspaket vorbereitet werden. Und das birgt noch mehr Zündstoff: Denn ein Gas-Embargo ist aktuell kaum vorstellbar."

"Reutlinger General-Anzeiger": "Trotz der beschränkten wirtschaftlichen Folgen für Russland ist das Öl-Embargo dennoch ein politisches Signal an Putin. Es zeigt, dass Deutschland und die EU mit der alten Politik Schluss machen, wonach es sich bei Gas- und Ölverträgen nur um Wirtschaft handelt und der billigste Preis zählt. Wie falsch das ist, zeigt die jetzige Abhängigkeit von Russland. Deutschland und Europa haben sich erpressbar gemacht. Gut, dass nun ein Umdenken einsetzt. Energiepolitik sollte nicht auf Wunschdenken, sondern auf einer realistischen Betrachtung aller Gefahren basieren."

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "So verhält es sich beim Öl-Embargo wie bei jedem Kompromiss: ohne Abstriche hätte keine Seite etwas durchsetzen können. Eine Einigung ist kein Grund, die EU schlecht zu reden – im Gegenteil. Selbst die Frage, ob Orbans innenpolitisch getriebener Kurs legitim ist, bleibt eine Frage der Perspektive. Freilich hinterlässt er einen eiskalt populistischen Eindruck, wenn er das Leiden der Ukrainer ignoriert und sich als Verteidiger der ungarischen Familien geriert, denen er das Heizöl nicht abstellen lässt.

Es ist aber auch eine Illusion, wenn die anderen Regierungschefs der EU glauben, sie könnten die – womöglich noch sehr lange nötige – Unterstützung ihrer Bevölkerung für einen harten Sanktionskurs schlicht voraussetzen, egal, wie spürbar die Folgen sind."

"Leipziger Volkszeitung": "In Schwedt und Leuna wären Tausende Arbeitsplätze ausgerechnet in Regionen gefährdet, in denen die Enttäuschung über die politische Elite ohnehin weit verbreitet und sozialer Sprengstoff ist. So gesehen können sich Scholz und Habeck heimlich freuen, dass die Abhängigkeit von Russland beim Querulanten Orban hoch ist. Indem er durchgesetzt hat, dass Pipelineöl vom Embargo ausgenommen ist, hat er auch den ostdeutschen Standorten Zeit für die Umstellung erkauft. Dass die Bundesregierung umgehend verkündet, die Sonderregelung nicht zu nutzen, und stattdessen Staatshilfe für die Umstellung verspricht, ist dennoch richtig – auch im Sinne der Raffinerien in Ostdeutschland. Denn die dort beliebte Mär vom stets verlässlich liefernden Russen kann sich schnell als Trugschluss erweisen."

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Mit dem Ölembargo light als Teil eines sechsten Sanktionspaketes, das die EU nun gegen Russland verhängen will, hat die Gemeinschaft ihre gemeinsame Linie angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wahren können. Mit dem Kompromiss nach wochenlangem Streit vor allem mit Ungarn ist die Union knapp an einer Blamage vorbeigeschrammt. Dabei darf die Sinnhaftigkeit eines solchen Ölboykotts durchaus hinterfragt werden. Wenn es Putin nämlich gelingen sollte, das schwarze Gold anderswo an den Mann zu bringen, ist das europäische Embargo für die Katz. Und tatsächlich stehen China und Indien mit ihrem enormen Energiehunger als Abnehmer längst bereit."

Sanktionen gegen Russland: EU-Kompromiss zu Öl-Embargo: "Putin hat wieder einmal einen Moment zum Luftholen bekommen"

"El Mundo", Spanien: "Die Einigung über das EU-Embargo gegen russisches Öl ist nicht so zufriedenstellend, wie sie sein könnte. Vor allem, weil Öl per Pipeline ausgenommen bleibt, eine Forderung Ungarns, die von der Slowakei und Tschechien unterstützt wurde. Die Visegrad-Gruppe benimmt sich wie ein Trojanisches Pferd russischer Interessen im Herzen Europas. Putins Krieg in der Ukraine und seine Drohungen gegen andere Länder zwingen uns, die Loyalität von Visegrad – und vor allem Orbans – gegenüber den Werten der EU zu prüfen, die Putins nationalistischer Autokratie diametral entgegengesetzt sind.

Wenn die EU-Länder keine Einigkeit erzielen können, wenn sie in ihrer Mitte gegensätzliche Strömungen zulassen, die Illiberalismus verbreiten und das Vetorecht missbrauchen, dann ist es Zeit, zum Mehrheitsprinzip überzugehen. Vielleicht werden sich diese Gesellschaften und ihre politische Klasse dann wirklich für Integration, Sicherheit und Freiheit unter dem Dach der EU entscheiden. So wie Polen, das sich seit Ausbruch des Krieges sowohl bei der Flüchtlingshilfe als auch bei den Sanktionen vorbildlich verhält."

"Wall Street Journal", USA: "Siehe da, nach einem Monat des Ringens haben sich die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf ein neues Sanktionspaket gegen russisches Öl geeinigt. Die Sanktionen werden zwar das Blatt im Krieg in der Ukraine nicht wenden, sie erhöhen jedoch die Kosten für Wladimir Putin und verdeutlichen die Entschlossenheit Europas, ihn zu bestrafen. (...) Höhere Ölpreise werden den Westen zweifellos schmerzlich treffen, aber vielleicht nicht so sehr, wie die Sanktionen Putin schaden könnten. Russland hat im vergangenen Jahr Öl im Wert von rund 180 Milliarden Dollar exportiert, etwa dreimal so viel wie Gas. Die Einnahmen von Rosneft allein machen etwa ein Fünftel des Kreml-Haushalts aus. (...) Die Ölsanktionen zeigen jedoch, dass Europa bereit ist, einige wirtschaftliche Opfer zu bringen, um der Ukraine zu helfen und die Aggression des Kremls abzuwehren. (...) Europa wäre wirtschaftlich weitaus weniger verwundbar, wenn es sich nicht so abhängig von russischem Öl und Gas gemacht hätte. Aber nachdem Europa diesen Fehler gemacht hat, versucht es nun, sich vom Energie-Druckhebel des Kremls zu befreien. Das Öl-Embargo ist ein Schritt in die richtige Richtung."

"The Guardian", Großbritannien: "Im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel warnte der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck, die Einigkeit über Sanktionen gegen Russland beginne zu bröckeln. Wenn diese Einschätzung die EU-Staats- und Regierungschefs in einem entscheidenden Moment wachrütteln sollte, so scheint sie ihren Zweck gerade noch erfüllt zu haben.

Das auf dem Gipfeltreffen beschlossene Teil-Embargo für russische Öleinfuhren stellt eine bedeutende, wenn auch verspätete Verschärfung des wirtschaftlichen Drucks auf das Regime von Wladimir Putin dar. Nach einmonatigen Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten konnten die Einwände Ungarns schließlich durch eine befristete Ausnahmeregelung für Öl, das durch eine Pipeline aus der Sowjetzeit nach Mitteleuropa transportiert wird, überwunden werden. Da Deutschland und Polen auf Einfuhren aus dieser Quelle verzichten werden, dürfte das Embargo bis Ende des Jahres über 90 Prozent der russischen Öllieferungen nach Europa abdecken. Im Laufe der Zeit und in Verbindung mit anderen Sanktionen wird das Embargo dazu führen, dass Moskau Mittel und Ressourcen für einen langwierigen Zermürbungskrieg entzogen werden, mit dem es nicht gerechnet hat."

"DNA", Frankreich: "Europäer und Amerikaner waren davon überzeugt, dass sie den Kremlherrn (Russlands Präsident Wladimir Putin) mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen langsam ersticken könnten. Die westliche Strategie hat ihre Ziele aber auch nicht erreicht. (...)

Russland ist nun dabei, sich in diesem Krieg der Verlierer einen mageren Vorteil zurückzuholen. Es ist nicht mehr sowjetisch, aber bleibt ein stahlharter Block.

Die Europäische Union hingegen wirkte in den letzten Wochen etwas gespalten und zu oft passiv. Es war von entscheidender Bedeutung, diese Spirale zu stoppen. Mit der (...) Einigung auf ein 'sechstes Sanktionspaket' gegen Moskau, zu dem auch ein Embargo für Importe russischen Öls gehört, haben die EU-Staaten zum richtigen Zeitpunkt wieder die Initiative ergriffen. Sie dürfen nie vergessen, dass Untätigkeit und ablaufende Zeit die besten Verbündeten Wladimir Putins sind."

"Rzeczpospolita", Polen: "Die ersten fünf Sanktionspakete gegen Russland hat die EU innerhalb von zwei Monaten beschlossen. Es dauerte einen weiteren Monat, bis man sich auf den sechsten Punkt einigte. Doch selbst dieser Erfolg ist bestenfalls halbherzig. Aufgrund des ungarischen Widerstands schließt das Abkommen nicht nur das per Pipeline transportierte Öl aus – auch der Teil, der sich auf Lieferungen per Schiff bezieht, wird erst Ende des Jahres in Kraft treten. Bei den veredelten Produkten werden wir noch länger warten müssen.

Deutschland und Polen haben – anders als Tschechien, die Slowakei und Ungarn – angekündigt, dass sie von sich aus die Einfuhr von Rohöl über die Druschba-Pipeline einstellen werden. Aber auch wir haben uns dafür eine Frist bis zum Ende dieses Jahres gesetzt. Für die Ukrainer sind diese sieben Monate eine Ewigkeit. Das ist mehr als doppelt so lang wie der Krieg, der das Land Zehntausende von Menschenleben gekostet, Millionen von Ukrainern zur Aufgabe ihrer Lebensgrundlage gezwungen und die Hälfte der ukrainischen Wirtschaft vernichtet hat. Was ist noch von der Ukraine übrig, wenn wir Silvester feiern?"

rw DPA AFP

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