Die Krise der Eurozone hat nach Einschätzung des scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank eine "systemische Dimension" erreicht. Alle Autoritäten müssten gemeinsam entschlossen handeln, um die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern, sagte Jean-Claude Trichet am Dienstag vor dem EU-Parlament. "Weitere Verzögerungen würden die Situation verschlimmern." Trichet sprach vor den Parlamentsmitgliedern als Chef des Systemrisikorats (ESRB) - einer Art Frühwarnsystem, das als Reaktion auf die Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 geschaffen wurde.
Der Ende des Monats aus dem Amt scheidende EZB-Chef nutzte seinen letzten Auftritt vor dem Parlament in Brüssel, um der Politik vor dem EU-Gipfel am 23. Oktober den Ernst der Lage vor Augen zu führen: "Wenn Probleme auftauchen, müssen sie so schnell und wirksam bekämpft werden wie möglich." Nun sei Krisenmanagement gefragt, betonte Trichet - zumal die Staatsschuldenkrise "globale Ausmaße" angenommen habe. Die Staatsschuldenkrise habe von kleineren Ländern auf größere Länder übergegriffen. Die Situation sei eine Herausforderung. Zuletzt war auch Italien als drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone verstärkt in den Blick der Märkte geraten. Durch die Krise werde das gesamte Finanzsystem gefährdet.
Es seien klare Entscheidungen in puncto Rekapitalisierung der Banken gefordert, sagte Trichet. "Der europäische Rettungsfonds EFSF muss so flexibel wie möglich sein", forderte Trichet nach Angaben der Finanznachrichtenagentur Bloomberg vor dem Parlament. Grundsätzlich sprach sich Trichet für eine Hebelung des EFSF aus. Allerdings dürfte hier die EZB nicht miteinbezogen werden.
Juncker hält Schuldenschnitt für Griechenland für möglich
Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker hat unterdessen einen Schuldenschnitt von mehr als 60 Prozent für das hochverschuldete Griechenland nicht ausgeschlossen. Der Staatsbankrott eines Landes der Eurozone müsse mit "aller Gewalt verhindert werden", sagte der luxemburgische Ministerpräsident am Montagabend im österreichischen Fernsehen.
Auf die Frage, ob innerhalb der EU über einen Schuldenschnitt für Athen in Höhe von 50 bis 60 Prozent diskutiert werde, sagte Juncker: "Wir reden über mehr." Zugleich mahnte er jedoch an, dass eine solche Maßnahme nicht ausreiche, um die derzeitige Eurokrise in den Griff zu bekommen. "Man muss dafür Sorge tragen, dass dies nicht zu Ansteckungsgefahren in der Eurozone führt," sagte Juncker.
"Gelbe Karten" von der Troika
Für Ende Oktober wird der Bericht der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU und EZB erwartet, deren Vertreter in Athen über die Bedingungen für die Auszahlung neuer Milliardenkredite verhandeln. Die Experten der Geldgeber haben ihre Kontrollen beendet, offenbar sind ihre Ergebnisse aber wenig zufriedenstellend. Eine erste Erklärung soll es am Dienstagnachmittag geben, nach Angaben griechischer Zeitungen wird der Bericht "viele gelbe Karten" enthalten. Juncker hatte vergangene Woche noch gesagt, er gehe davon aus, dass Griechenland alle Bedingungen erfüllen werde und die Troika zu einem positiven Urteil kommen werde.
Wie die konservative Athener Zeitung "Kathimerini" berichtete, sollen die Kontrolleure festgestellt haben, dass für Griechenland das Ziel, das Haushaltdefizit auf 7,6 Prozent an der Wirtschaftsleistung zu drücken, bis zum Jahresende nicht erreichbar ist. Stattdessen gehen die Experten von neun Prozent aus. Zudem sollen sie Athen die "gelbe Karte" hinsichtlich der Verschlankung des Staates mit dem verlangten gravierenden Stellenabbau und die geplanten aber noch nicht durchgeführten Privatisierungen zeigen.
Größerer Schuldenschnitt für Griechenland kein Thema
Für Griechenland selbst steht eine Ausweitung des Schuldenschnitts nach Worten des Vize-Regierungschefs Theodoros Pangalos derzeit nicht zur Debatte. Dies hätte für die Banken und Pensionsfonds des Landes negative Folgen, sagte Pangalos am Montag. Zuvor hatte unter anderem der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble einen tieferen Schuldenschnitt ins Spiel gebracht. An dem zweiten mehr als 100 Milliarden Euro schweren Rettungspaket für Griechenland sind private Gläubiger bereits beteiligt. Unter dem Strich geht es um eine Verlängerung der Anleihe-Laufzeiten, damit das Land mehr Zeit für die Rückzahlung erhält. Durch diesen Tausch von Staatsanleihen in längerlaufende Papiere müssen die Banken eine 21-prozentige Wertberichtigung ("haircut") auf griechische Bonds hinnehmen.
Im Gegenzug für die Hilfen hat Griechenland unter anderem zugesichert, Staatseigentum zu veräußern, um die Haushaltslage zu verbessern. Laut Pangalos steht das Land zu seinem Privatisierungsprogramm. Als bedauerlich bezeichnete er, dass Griechenland diesbezüglich nicht mehr Anfragen von europäischen Unternehmen erhalten habe.