Der britische Innenminister John Reid hat eine Untersuchung der britischen Polizei zum Fall des vergifteten Ex-Agenten Alexander Litwinenko in Russland angekündigt. "Natürlich wird die britische Polizei nach Russland fahren, um ihre Untersuchungen fortzusetzen", sagte Reid am Montag in Brüssel. Reid wollte dort bei einer Sitzung des Ministerrat seine EU-Amtskollegen über den Fall informieren. Fahnder von Scotland Yard sollen angeblich noch heute nach Moskau fliegen, um dort die Ermittlungen im Mordfall Litwinenko fortzusetzen.
Die russischen Behörden haben bereits mehrfach Hilfe bei der Aufklärung zugesagt. Alle Vorwürfe, der Kreml oder andere staatliche Stellen stünden hinter dem Mordkomplott, werden in Russland zurückgewiesen.
Auch die US-Bundespolizei FBI hat sich in die Ermittlungen zum Gifttod Litwinenkos eingeschaltet. Gemeinsam mit Beamten des Scotland Yard wurden sie in Washington aktiv: Nach Informationen der Sonntagszeitungen "The Observer" und "Sunday Mirror" wurde dort ein Agent des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB namens Juri Schwets vernommen. Er soll angeblich über Informationen verfügen, wonach die Gift-Affäre in Zusammenhang mit der Zerschlagung des russischen Ölkonzerns Yukos steht. Solche Spekulationen gibt es seit längerem. Scotland Yard verfolgt auch mehrere andere Spuren.
Ermittlungen außerhalb Großbritanniens
In der britischen Sonntagspresse wurde weiter über mutmaßliche Täter und Motive spekuliert. Der "Observer" berichtete unter Berufung auf eine russische Studentin, dass Litwinenko im Besitz von Geheimdienstdokumenten war, mit denen er andere erpressen wollte. Die Liste habe von reichen russischen Geschäftsleuten über korrupte Beamte bis hin zu "Quellen im Kreml" gereicht. Die "Sunday Times" lenkte den Verdacht vor allem auf drei Russen, die Litwinenko ebenfalls am 1. November getroffen hatte.
Der Kontaktmann des vergifteten Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko, der italienische "Sicherheitsberater" Mario Scaramella, will "auspacken". Der 36-Jährige, der derzeit in einem Londoner Krankenhaus liegt, ist nach eigenen Angaben mit einer tödlichen Strahlendosis vergiftet worden. "In meinem Körper befindet sich eine Polonium-Menge, die fünf Mal über der tödlichen Dosis liegt", sagte Scaramella am Sonntagabend in einem Telefoninterview des italienischen Fernsehens RAI.
"Alle Daten werden öffentlich"
Scaramella stand am Sonntag weiter unter strenger Kontrolle der Ärzte. Sein Anwalt erklärte dem italienischen Fernsehen, der Geheimdienst-Experte Scaramella wolle "alle ihm verfügbaren Namen und Daten öffentlich bekannt geben". Darunter seien "alle Informationen, die Litwinenko ihm im Laufe der Zeit gegeben habe". Es gehe um Namen von Politikern und Journalisten, die mit der Spionagetätigkeit der ehemaligen Sowjetunion in Verbindung gestanden hätten, sagte Anwalt Sergio Rastrelli. Scaramella verfüge unter anderem über entsprechende Tonbänder.
Scaramella hatte sich mit Litwinenko am 1. November in einer Londoner Sushi-Bar getroffen. Kurz darauf erkrankte Litwinenko. "Meine Vergiftung kann mit Informationen zusammenhängen, die Litwinenko mir seit Monaten zukommen ließ", hatte Scaramella bereits zuvor erklärt. Er hoffe zu überleben, "um alle Dinge, die über mich gesagt und geschrieben werden, zu widerlegen."
100fache Dosis
Die Obduktion des Leichnams Litwinenkos, die unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfand, ist inzwischen abgeschlossen. Nach Informationen des "Guardian" enthielt der Körper eine 100fach tödliche Polonium-Dosis. Auf dem Schwarzmarkt hätte die Menge rund 20 Millionen Pfund (fast 30 Millionen Euro) gekostet. Das genaue Obduktionsergebnis soll erst in einigen Tagen veröffentlicht werden.