Umstrittenes Gesetz Massenproteste in Israel nach Abstimmung in der Knesset – Netanjahu verteidigt Justizreform

Demonstranten werden von der israelischen Bereitschaftspolizei während einer Demonstration mit Wasserwerfern besprüht
Demonstranten werden von der israelischen Bereitschaftspolizei während einer Demonstration gegen die Justizreform der israelischen Regierung in Tel Aviv mit Wasserwerfern besprüht
© JACK GUEZ / AFP
Zehntausende gehen auf die Straße, nachdem die Knesset in Israel ein Gesetz zur Schwächung der Justiz durchgebracht hat. Bei einer Kundgebung rast ein Auto in die Menge und verletzt Demonstranten. Verletzte gibt es auch bei Zusammenstößen mit der Polizei.

Nach der Verabschiedung eines Kernelements der umstrittenen Justizreform haben in Israel wieder Zehntausende Menschen demonstriert. Bei einem Protestzug in einem Ort nördlich von Tel Aviv raste am Montagabend ein Auto in eine Menschenmenge und verletzte drei Demonstranten. Die Polizei nahm den Fahrer, dessen Motiv am Abend zunächst unklar war, später fest. Die Demonstranten hatten eine Fahrbahn blockiert.

Überall im Land störten Menschen den Verkehr. In Tel Aviv marschierten am Abend Tausende stundenlang auf einer zentralen Autobahn. Medienberichten zufolge wurden landesweit am Montag mindestens 34 Demonstranten festgenommen, einige gewaltsam. Mehrere Menschen seien zudem unter anderem durch den Einsatz von Wasserwerfern verletzt worden. Die Protestbewegung hatte zuvor angekündigt, ihren Protest "bis zum Ende" weiterzuführen.

Opposition boykottiert Abstimmung

Am Montag verabschiedete das israelische Parlament mit den Stimmen aller 64 Abgeordneten der rechts-religiösen Regierungsmehrheit die sogenannte Angemessenheitsklausel, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" einzustufen und sie außer Kraft zu setzen.

Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur.

Die Abgeordneten der Oppositionsparteien boykottierten die Abstimmung, mehrere von ihnen riefen "Schande, Schande". Oppositionsführer Jair Lapid, der sich wie Regierungschef Benjamin Netanjahu noch kurz vor der Abstimmung mit Staatschef Isaac Herzog getroffen hatte, sagte, Israel sei "auf dem Weg in eine Katastrophe".

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Billigung eines entscheidenden Teils der umstrittenen Justizreform durch das Parlament verteidigt. Netanjahu bezeichnete die ungeachtet internationaler Einwände und massiver Proteste im Inland abgehaltene Abstimmung am Montag in einer Fernsehansprache als "notwendigen demokratischen Schritt".

Experten befürchten Korruption und Willkür durch neues Gesetz

Netanjahu zufolge ermöglicht das Gesetz der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger. Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen.

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Obersten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

Justizminister Jariv Levin, treibende Kraft hinter der Justizreform, sagte am Montag, die Regierung habe bei der Angemessenheitsklausel einen "vorsichtigen" Ansatz gewählt. Die Möglichkeit, Entscheidungen als unangemessen einzustufen, werde für das Oberste Gericht nicht abgeschafft. Der Gebrauch dieser Maßnahme werde aber eingeschränkt, damit die "persönliche Meinung eines Richters nicht zulasten des Volkswillens geht".

Video: Israel: Blockaden und Wasserwerfer vor der Knesset
Israel: Blockaden und Wasserwerfer vor der Knesset

Streiks in Israel angekündigt

Vertreter der Opposition, die Anwaltskammer sowie mehrere Nichtregierungsorganisationen kündigten noch am Montag an, wegen des Gesetzes das Oberste Gericht anzurufen. Experten zufolge könnte es zu einer Staatskrise kommen, sollte sich das Gericht dazu entscheiden einzugreifen.

Der Chef des Gewerkschaftsverbands Histadrut, Arnon Bar-David, stellte am Montag einen Generalstreik in Aussicht. Jeder "einseitige Schritt" der Justizreform hätte "schwerwiegende Folgen", sagte er. "Falls nötig" werde es einen Generalstreik geben.

Israels Ärztekammer kündigte Medienberichten zufolge für Dienstag einen Proteststreik an. Krankenhäuser arbeiten demnach nur mit minimaler Kapazität und behandeln nur Notfälle.

USA und Deutschland äußern sich kritisch und besorgt

Die USA kritisierte die Entscheidung des israelischen Parlaments. Der Kurs der Regierung Netanjahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden. Die USA sind Israels engste Bündnispartner und unterstützen das Land jährlich im Verteidigungsbereich mit Milliarden US-Dollar.

Die Bundesregierung drückte ihr Bedauern über das Scheitern der Verhandlungen zwischen Israels Regierung und der Opposition aus. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Montag: "Wir bedauern sehr, dass die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter Vermittlung von Staatspräsident Isaac Herzog vorerst gescheitert sind." Deutschland blicke "mit großer Sorge auf die sich vertiefenden Spannungen in der israelischen Gesellschaft".

Ein weiteres Kernstück der Reform – eine Änderung bei der Richterbesetzung – soll nach Willen der Koalition bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.

Die Justizreform spaltet die israelische Bevölkerung, seit 29 Wochen protestieren Menschen landesweit gegen das Vorhaben. Auch am Wochenende protestierten Zehntausende. Es versammelten sich jedoch auch Unterstützer der Reformpläne.

DPA · AFP
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