Tausende überwiegend Jugendliche versuchten in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek in der Nacht zum Samstag mit Gewalt in Geschäfte und Banken einzudringen. Polizisten schossen in die Luft, um Plünderer zu vertreiben. Die Nationalgarde bezog Position vor öffentlichen Gebäuden. Dennoch gab es gegen Morgen nur noch wenig Anzeichen dafür, dass Geschäfte ausgeraubt wurden. Allerdings waren noch immer gelegentlich Schüsse zu hören und über einem geplünderten Einkaufszentrum hingen Rauchschaden. Der angeblich neue Innenminister Felix Kulow sagte, Polizeipatrouillen würden eingesetzt, um die Lage vollends unter Kontrolle zu bringen. Nach tagelangen, teils gewalttätigen Protesten hatte die Opposition am Donnerstag die Macht in der zentralasiatischen Republik übernommen und am Freitag für Juni Neuwahlen angekündigt.
"Es war wie im Irak"
In Bischkek blieb die Lage am Samstag nach erneuten nächtlichen Krawallen ruhig. Bei Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und Polizei sei ein Mann getötet worden, teilte ein Behördensprecher mit. Etwa 20 Menschen wurden verletzt. Wie die staatsnahe kirgisische Agentur Kabar meldete, marschierten am Samstag hunderte Akajew-Anhänger von der Stadt Tokmok in Richtung Bischkek zu einer Demonstration, die friedlich verlaufen solle. Die Oppositionsführer zeigten sich vom Ausmaß der Gewalt geschockt. "Gott behüte, dass jemand so eine Revolution erlebt", sagte Kulow. "Es war eine Orgie der Plünderung, genau wie im Irak." Mit der Flucht des bisherigen Präsidenten Askar Akajew hatten sich auch viele Polizei-Einheiten in der Hauptstadt aufgelöst. Die neue Führung bezeichnete die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung im Land als wichtigste Aufgabe.
Die Opposition bildete am Freitag eine Übergangsregierung und kündigte Präsidentenwahlen für Juni an. Der amtierende Regierungschef Kurmanbek Bakijew, der laut Verfassung auch provisorisch das Amt des Staatspräsidenten bekleidet, präsentierte eine Koalitionsregierung aus bisherigen Oppositionskräften. Als Innenminister wurde Ex-Generalstaatsanwalt Maktebek Abdyldajew vorgeschlagen. Die ehemalige Außenministerin Rosa Otunbajewa soll ihr Amt behalten. Der politisch ambitionierte Ex-Geheimdienstchef Felix Kulow, der am Donnerstag nach vier Jahren aus dem Gefängnis freigelassen worden war, wird in der Regierungsliste nicht aufgeführt, gilt aber als einflussreich. Andere Quellen bezeichnen Kulow als neuen Innenminister Kulow warnte, weitere Plünderungen würden nicht hingenommen.
Oberstes Gericht: Akajew nicht mehr Präsident
Das Oberste Verfassungsgericht Kirgisiens hat dem außer Landes geflohenen Staatsoberhaupt Askar Akajew die Befugnisse als Präsident abgesprochen. "Er (Akajew) hat auf beschämende Art das Land verlassen. Ich sehe keine Grundlage, auf der er seine Vollmachten behalten könnte", sagte die Vorsitzende Richterin Tscholpon Bajekowa der russischen Tageszeitung "Kommersant" (Samstagsausgabe). Die Agentur Interfax meldete unterdessen, Akajew sei von Kasachstan weiter nach Moskau geflogen. Die kirgisische Agentur Kabar veröffentlichte am Freitag eine angebliche E-Mail Akajews, in der von einem Putsch spricht und betont, er sei weiter im Amt. Sein gegenwärtiger Aufenthalt im Ausland sei nur vorübergehend.
Viele Oppositionskräfte zeigten sich auch am Tag nach dem Umsturz überrascht von dem Zusammenbruch der alten Staatsmacht. Nach der Parlamentswahl Ende Februar hatte die Opposition anfangs im Süden des Landes und später auch im Norden gegen Wahlfälschungen protestiert. Der Familienclan um den geflüchteten Präsidenten Askar Akajew wurde auch der Korruption beschuldigt.
Bundesaußenminister Joschka Fischer äußerte große Besorgnis über die instabile Lage in dem zentralasiatischen Land. Im Vordergrund müsse nun zunächst eine Stabilisierung auf Grundlage eines möglichst breiten nationalen Konsenses stehen, um den Weg für eine demokratische Entwicklung freizumachen.
Putin verurteilte Umsturz
Russlands Präsident Wladimir Putin kritisierte den Umsturz in Bischkek als unrechtmäßig und bot Akajew Asyl an. Er sei jedoch bereit, mit der neuen Führung zusammenzuarbeiten, sagte Putin. US-Außenministerin Condoleezza Rice sprach sich für baldige Wahlen aus. "Wir wünschen uns einen Prozess, der zu Stabilität führt und wo dann Wahlen abgehalten werden können", sagte Rice.
Nun wollen die USA und Russland gemeinsam auf eine Stabilisierung der Lage in Kirgisien hinwirken. Außenministerin Condoleeza Rice und ihr russischer Kollege Sergei Lawrow hätten die Situation in der mittelasiatischen Republik in einem Telefongespräch übereinstimmend beurteilt, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Adam Ereli, am Freitag in Washington. Vorrangig seien jetzt die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze und der Verzicht auf Gewalt.
Neue Regierung noch nicht anerkannt
Ereli wollte nicht zu der Frage Stellung nehmen, ob die USA zur Anerkennung der neuen Regierung in Kirgisien bereit sei. Im Washingtoner Außenministerium wird es für möglich gehalten, dass der ins Ausland ausgewichene bisherige Präsident Askar Akajew versuchen könnte, weiter an der Regierung zu bleiben. Der amerikanische Botschafter in Bischkek, Stephen Young, hat die von den bisherigen Oppositionskräften gebildete Übergangsregierung dazu aufgerufen, mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zusammenzuarbeiten.
Kirgisien ist nach Georgien und der Ukraine die dritte ehemalige Sowjet-Republik in zwei Jahren, deren Führung durch einen Aufstand vertrieben wurde. Jedoch hat nur Kirgisien größere Gewaltakte erlebt und praktisch umgehend die Unterstützung Russlands erhalten. Im Gegensatz zu den anderen beiden Staaten zeigt die Opposition in Kirgisien keine Neigung, sich mehr zum Westen hin zu orientieren.
US-Stützpunkt bei Bischkek
Kirgisien ist ein weitgehend moslemisches Land mit fünf Millionen Einwohnern. Es grenzt an Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan sowie im Osten an China. Wegen seiner Nähe zu Afghanistan haben die USA in ihrem Kampf gegen den Terrorismus bei Bischkek einen Truppenstützpunkt eröffnet. Auch Russland hat in Kirgisien im Rahmen des Bündnisses für Kollektive Sicherheit der GUS-Staaten Truppen für den Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität stationiert. Die USA und Russland konkurrieren zudem um den Zugang zu den reichen Energievorräten der Region.