Lauschangriff auf Merkel Niemand hat die NSA-Affäre für beendet erklärt

Joachim Gauck schaltet sich in die Handy-Affäre ein: Der Bundespräsident fordert ein klares Wort von Barack Obama. Experten hingegen glauben, dass auch andere Staaten das Kanzleramt ausspionieren.

Nach den Worten eines US-Experten James Andrew Lewis musste Angela Merkel gewusst haben, dass sie von dem US-Geheimdienst abgehört wurde. "Ich gehe davon aus, dass sie und ihre Regierung wussten, wie stark sie abgehört werden", sagte der Mitarbeiter des renommierten Center for Strategic and International Strategies (CSIS) der "Wirtschaftswoche". "Wenn es etwas gibt, worüber Angela Merkel entsetzt sein sollte, dann darüber, dass ihr Geheimdienst ihr kein sicheres Telefon gegeben hat", so Lewis. Seiner Meinung nach wurde die Kanzlerin nur punktuell belauscht - etwa vor wichtigen Reisen oder Gipfeln. Dass die Kommunikation der Staats- und Regierungschefs in Europa flächendeckend von den USA überwacht würden, stimme nicht, sagte Lewis. Zur Begründung verwies er auf die "begrenzten Kapazitäten" des Geheimdiensts.

Bundespräsident Joachim Gauck erwartet von Barack Obama eine Erklärung zum vermuteten US-Lauschangriff auf das Handy von Kanzlerin Merkel. "Der amerikanische Präsident sollte sehr deutlich erklären, was geschehen ist und auch, wie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann", sagte er. "Sollten die Vorwürfe zutreffen, so wäre das ein gravierender Vertrauensbruch unter engen Freunden und politischen Partnern."

Auch andere Staaten könnten bei Merkel herumschnüffeln

Es sei deutlich, "dass wir neue, verbindliche Festlegungen darüber brauchen, was geht und was nicht geht", sagte Gauck vor dem Hintergrund der Affäre um den US-Geheimdienst NSA. "Und das gilt auch gerade im Blick auf alle Bürgerinnen und Bürger. Denn wenn diese vermuten müssen, dass ihre Kommunikation massenhaft abgeschöpft wird, so ist das doch auch ein Verlust ihrer persönlichen Freiheit."

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, fürchtet, dass auch andere Staaten das Handy der Kanzlerin abhören könnten. Man müsse immer vom Schlimmsten ausgehen, sagte der frühere deutsche Botschafter in Washington in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DPA. "Das Problem ist also nicht gelöst, wenn Obama verspricht: Wir machen's nie wieder. Andere machen's dann immer noch - auch wenn sie vielleicht nicht zu denselben Dingen imstande sind wie die USA." Man müsse auch davon ausgehen, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder abgehört wurde.

Was andere Geheimdienste können, kann nach Angaben der "Bild"-Zeitung der Bundesnachrichtendienst (BND) ebenfalls: Laut dem Blatt späht der deutsche Dienst seinerseits Daten in den USA aus. Erfasst würden dabei auch Telefongespräche, Faxe, SMS und E-Mails. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter teilte dazu lediglich mit, der deutsche Auslandsgeheimdienst "hält sich da selbstverständlich an Recht und Gesetz und würde niemals etwas tun, was ihm nicht zusteht". BND-Präsident Gerhard Schindler sagte in der "Bild": "Eine Aufklärung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika findet nicht statt. Etwaige zufällige Erfassungen durch unsere technischen Systeme werden gelöscht."

Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, dass der US-Lauschangriff von der Berliner Botschaft aus koordiniert wurde. Sie befindet sich in unmittelbarer Nähe des Regierungsviertels. Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben jedoch keine Hinweise darauf, dass die mutmaßliche Abhöraktion von der US-Vertretung gesteuert wurde. Darüber gebe es derzeit keine Erkenntnisse, sagte Georg Streiter.

Niemand hat die NSA-Affäre für beendet erklärt

Vorwürfe, die Bundesregierung habe die Spähaffäre zu früh für beendet erklärt, wies Streiter zurück: Eine entsprechende Aussage von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im August habe sich lediglich auf den Teilaspekt bezogen, dass das angebliche Abgreifen von 500 Millionen Daten deutscher Bürger durch die NSA sich als falsch herausgestellt habe. Die Bundesregierung habe damals eigene Erkenntnisse gewonnen, dass die Daten bei der Überwachung von Auslandskommunikation vom BND erhoben worden seien.

Die Handy-Affäre soll auch Thema der Koalitionsverhandlungen werden. CSU-Chef Horst Seehofer kündigte an, die Verbesserung des Datenschutzes zum Verhandlungsgegenstand machen zu wollen. "Das muss sicher rein in die Koalitionsvereinbarung als eine der sehr dringlichen Aufgaben der großen Koalition", so der bayerische Ministerpräsident in der "Süddeutschen" Auch der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich offen für Gespräche darüber.

DPA
nik/DPA/AFP