Perlen der Kreml-Propaganda "Nicht nur Schwule und Normale" – kaum in Russland angekommen, singt Waffenhändler But das Lied des Kremls

Wiktor But ist der neue Held der Kreml-Propaganda. 
Wiktor But ist der neue Held der Kreml-Propaganda. In seinem ersten großen Propaganda-Auftritt überging er auch Putins Lieblingsthema nicht: die angeblichen 72 Geschlechter der westlichen Welt. 
© Screenshot RT/stern
Wiktor But ist für die Kreml-Propaganda ein Geschenk von Putins Gnaden. Die Arbeit, ihn zu einem Nationalheiligen zu erheben, läuft auf Hochtouren. Für sein großes TV-Debüt holte man eine andere Märtyrerin hervor: die ehemalige Doppel-Agentin Maria Butina. 

Die Haare brav gescheitelt, von Kopf bis Fuß in Beige gehüllt, die Knie züchtig bedeckt, die Hände im Schoß gefaltet: Als sich Maria Butina am Samstagabend den Zuschauern des Propaganda-Senders RT präsentierte, hätte man meinen können, die ehemalige Doppel-Agentin sei inzwischen unter die Klosterschülerinnen gegangen. Aber nein. Sie sei nun Abgeordnete der russischen Staatsduma, erklärt sie im ersten Satz eines 45-minütigen Auftritts.

Ihr Gegenpart: der vor wenigen Tagen von den USA freigelassene "Händler des Todes" Wiktor But. Jahre lang hatte der Kreml versucht, den Waffenhändler auszulösen. Bis es Moskau in der vergangenen Woche endlich gelang, But gegen die US-Basketballerin Brittney Griner austauschen. Für die Propaganda ein überaus willkommenes Geschenk, das nun ausgeschlachtet wird. Und so saß Butina, die einst selbst die Märtyrerin spielen dufte, dem neuen Helden Russlands gegenüber. 

"Vor drei Jahren saß ich in einem amerikanischen Gefängnis", leitet Butina das Schauspiel ein. "Und heute sitzt mir Wiktor But gegenüber – ein Mensch, der viel zu lange in amerikanischen Gefängnissen saß. Ohne ein Gerichtsverfahren und ohne Ermittlungen. Der nur hinter Gitter verfrachtet wurde, weil er Russe ist." Drei Sätze, drei Lügen. Die ehemalige Agentin ist inzwischen nicht nur Abgeordnete, sondern auch eine meisterhafte Propagandistin.

Vom "Händler des Todes" zum Heiligen 

Über Jahrzehnte hinweg hatte But Waffen an alle geliefert, die zahlen konnten – offenbar mit Deckung aus dem Kreml. In Lateinamerika brachte er Boden-Luft-Raketen zum Abschuss von Flugzeugen an den Mann. Zu seinen Kunden zählten Rebellengruppen und Warlords in Afrika, Kriegsparteien in Angola, Ruanda und im Kongo. Belgien schrieb 2002 einen internationalen Haftbefehl aus. But landete auf der Fahndungsliste der internationalen Polizeiorganisation Interpol.

2008 schafften es die US-amerikanischen Fahnder der Drug Enforcement Administration (DEA), But aus Moskau nach Thailand zu locken. Dort stellten sie ihm eine Falle. Satt neuer Kunden warteten die Behörden auf But. Angeklagt wurde er wegen Verschwörung zur Tötung von US-Bürgern, zur Tötung von Regierungsmitarbeitern, zum Abschuss von Flugzeugen sowie Waffenhandels – nur einige seiner Verbrechen, die sich aber vor Gericht beweisen ließen. Sein eigener Kompagnon Andrew Smulian sagte gegen ihn aus. But wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt, in einem ordentlichen Gerichtsverfahren. Zehn Jahre hat er nun abgesessen.

Wiktor But – der Geläuterte 

Für die Kreml-Propaganda spielt all das keine Rolle. Sie hat die Arbeit aufgenommen, den Mann, der das Blut tausender Menschen an den Händen kleben hat, zu einem Heiligen zu verklären. Es ist seine erste Rolle, in die er in seinem Interview mit Butina schlüpft. Er hege überhaupt keine Wut, erzählt er. "Zorn, der gegen jemanden gerichtet ist, zerstört in erster Linie dich selbst", philosophiert But. "Man darf den Zorn nicht in seinem Herzen tragen. Man muss verzeihen können." Er habe früher nicht verstanden, warum in "unserer Tradition, besonders in der kirchlichen Tradition die Vergebung so eine große Rolle einnimmt." Aber jetzt verstehe er, dass der Zorn in richtige Bahnen gelenkt werden müsse, gibt But den Geläuterten, während aus dem Fenster hinter ihm die Mauern des Kremls zu erkennen sind. 

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Wer einen Heiligen erschaffen will, braucht aber einen Gegenspieler: den Teufel. Für die Kreml-Propaganda gibt es für diese Rolle seit langem nur wenige Kandidaten: die USA, den Westen, die Nato und Nazis. Oder alles zusammen. "Wer hat denn das Gefängnissystem der USA erfunden? Nazis!", erklärt But. Die grau-weiße Gestaltung der Gefängnisse sei ihre Erfindung und das Ergebnis ihrer Versuche in Deutschland, die darauf abzielten, Menschen zu brechen. 

Wiktor But – der Hungernde 

Die USA hätten gezielt nach dem Krieg Nazis ins Land geholt. Sogar der Ernährungsplan in den Haftanstalten sei ein Resultat der Nazi-Versuche. "Es gibt dort keine Zufälle", gibt But seine Verschwörungstheorie zum Besten, bevor er ein Klagelied anstimmt. Die ganzen Jahre in Haft habe sich das Menü nicht geändert. "Am Mittwoch gibt es Hamburger mit zu Tode frittierten Pommes. Am Donnerstag gibt es Hähnchen", das zwar riesig sei, aber so rieche, dass man sich übergeben wolle. "Das ist nicht essbar. Das ist unmenschlich", beschreibt But das Essen im Knast. Das Wort "unmenschlich" hat er wohl bei Sergej Lawrow abgeschaut, der so erst vor kurzem Toiletten in Schweden beschrieben hat. 

In Thailand habe er sich alles bestellen könne, was er wollte, erzählt But weiter. Aber in den USA habe er zehn Jahre lang auf "Knoblauch, Dill, Petersilie und Erdbeeren" verzichten müssen. Er habe sogar irgendwann jedes Interesse an Nahrung verloren. "Ich habe mich zwingen müssen zu essen", sagt der Mann mit dem rosigen Teint. Während Butina, die immerhin seit drei Jahren wieder in Russland ist, mit der beigen Tapete, dem beigen Sessel und dem beigen Teppich zu verschmelzen droht. 

Wiktor But – der Unschuldige 

Nach dem hungernden Märtyrer schlüpft But in die Rolle des unschuldigen Opfers. Die USA hätten an ihm ein Exempel für alle Russen statuieren wollen. "Alles, was mit mir geschehen ist, geschieht jetzt mit ganz Russland", fabuliert der Waffenhändler, der ein Versuchskaninchen sein will. Für die Kooperation mit den Behörden, habe man ihm einen Deal angeboten: 30 Jahre anstatt lebenslänglich. Dabei habe sogar die Richterin bei dem Prozess gesagt, er sei ein ganz normaler Geschäftsmann und sie sehe keine Beweise für die Taten, die ihm vorgeworfen werden. Die Gesetzgebung der USA erlaube ihr aber nicht, ein anderes Urteil zu sprechen. 

Moment! Ein Prozess? Ein Urteil? Eine Richterin? Das habe es doch alles gar nicht gegeben, hatte doch Butina noch zu Beginn des Schauspiels erklärt. Die schreienden Widersprüche in der Fabel von But überhört die ehemalige Agentin schlicht. Genauso die Tatsache, dass But sie durchgehend Marina nennt, obwohl sie doch Maria heißt. 

Aber viel wichtiger: "Haben die Amerikaner deinen Namen richtig ausgesprochen?", erkundigt sich die frisch getaufte Marina. "Ich habe alle fleißig korrigiert, bis alle But und nicht Bout gesagt haben", erklärt But. "Ist das ein Zeichen des Respekts?", wundert sich Butina, die es sich aber nicht leistet, But zu korrigieren. Vielleicht um nicht den krönenden patriotischen Abschluss zu verderben.

Wiktor But – der Patriot 

Die finale Rolle von But ist schließlich der Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung. Vorbildhaft spult der Waffenhändler all die Propaganda-Parolen runter, die er wohl in den vergangenen zwei Tagen gepaukt hat. Zunächst erklärt er, wie liebend gern er in der Ukraine kämpfen würde. "Wenn ich die Möglichkeit und die nötigen Fähigkeiten hätte, würde ich mich freiwillig melden", sagt er mutig in dem Wissen, dass Putin ihn nie wieder aus Russland lässt. Er könne "nicht verstehen", warum Russland die "militärische Sonderoperation" im Nachbarland nicht bereits 2014 gestartet habe. 

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Und dann zieht But gegen den eingeschworenen Feind der Kreml-Führung los. "Das, was im Westen geschieht, ist einfach ein Selbstmord der Zivilisation. Und wenn wir diesen Selbstmord nicht wenigstens in jenen Teilen der Welt, die nicht von Angelsachsen kontrolliert werden, nicht verhindern, dann wird der ganze Planet Selbstmord begehen. (...) Überall Drogen und dieses LGBTQIA+ oder wie das auf Russisch heißt. Können Sie sich vorstellen, dass in amerikanischen Schulen Erstklässlern beigebracht wird, dass es 72 Geschlechter gibt!", ruft But ganz aufgebracht. "Nicht einfach nur Schwule und Normale, sondern 72 (Geschlechter)! Es steht bei denen schon fast im Programm, dass man erklären muss: Du bist ein Junge, aber vielleicht bist du ein Mädchen. Daher kannst du ein Kleidchen tragen." Sogar im Gefängnis würden die Häftlinge das Geschlecht ändern, erzählt But und berichtet von einem Jeff, der plötzlich eine Jessica sein wollte.

"Du kommst in das Geschäft und dort hängt eine Liste mit dem, was du kaufen kannst: Damenhöschen, Damenuhren, Make-up, Lippenstift, Lidschatten." Der besagte Jeff habe sich bereits Permanent Make-up machen lassen und einen BH getragen. Wie all das zu all den Schrecken des amerikanischen Gefängnisses passt, wo But zehn Jahre lang nicht einmal an Erdbeeren schnuppern durfte, bleibt der Fantasie der Zuschauer überlassen. Wie so vieles andere mehr. Aber was kümmert es die Kreml-Propaganda? Hauptsache die vielbesagten 72 Geschlechter, die Wladimir Putin so verhasst sind, haben wieder Sendezeit bekommen.