Ukraine-Krieg Nach Gefangennahme: Internationale Sorge um ukrainische Soldaten aus Asowstal-Werk wächst

Ukrainischer Soldat aus dem Asowstal-Werk wird durchsucht
Die Aufnahme aus einem Video des russischen Verteidigungsministeriums zeigt, wie ein russischer Soldat einen der ukrainischen Kämpfer aus dem Asowstal-Werk durchsucht. Nachdem sie sich ergeben haben, ist das Schicksal der Gefangenen unklar.
© Russisches Verteidigungsministerium / AFP
Während die Kämpfe weitergehen, gerät das Schicksal der ukrainischen Soldaten aus dem Asow-Stahlwerk, die sich ergeben haben, aus dem Fokus. Russland stellt einen angeblich vereinbarten Gefangenenaustausch in Frage. Die Sorge um die Männer wächst.

Die Mitteilungen aus dem russischen Außenministerium waren sachlich. Bis zum Donnerstag, so hieß es knapp, hätten sich insgesamt 1730 ukrainische Soldaten aus dem lange umkämpften Asowstal-Werk in Mariupol ergeben. Die teils schwer verletzten Kämpfer (mindestens 80) sollen in ein Krankenhaus im Donezk-Gebiet gebracht worden sein. Alle anderen, so Ministeriumssprecherin Marija Sacharowa bereits am Mittwoch, seien nun in einem Untersuchungsgefängnis in Oleniwka – ebenfalls ein Ort in Donezk. Dort sollen sie verhört werden.

Damit ist im Prinzip eingetreten, was die Soldaten aus dem Stahlwerk mit ihrem verzweifelten Durchhaltewillen unbedingt vermeiden wollten: Sie sind in russische Hände gelangt. Angebliche internationale Vermittlungsversuche, die Männer in ein sicheres Gebiet bringen zu können, sind also gescheitert. "Wir brauchen unsere Helden lebend", hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Montag in einer seiner Videobotschaften gesagt. Doch nicht nur die ukrainischen Kämpfer zweifeln daran, dass der angeblich vereinbarte Gefangenenaustausch, mit dem die "Helden" in Sicherheit gebracht werden sollen, wirklich stattfinden wird.

Amnesty: Ernste Bedenken, dass Soldaten korrekt behandelt werden

Ukrainische Soldaten seien von russischen Medien entmenschlicht und von der russischen Propaganda als Neonazis gebrandmarkt worden. "Diese Charakterisierung wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich ihres Schicksals als Kriegsgefangene auf", macht sich Denis Kiroscheew von Amnesty International ernsthafte Sorgen. Neben außergerichtlichen Hinrichtungen von Zivilisten habe die Menschenrechtsorganisation auch willkürliche Tötungen von Gefangenen durch die von Russland unterstützten Separatisten im Donbass vielfach dokumentiert, so der stellvertretende Amnesty-Direktor für Osteuropa und Zentralasien.

"Die Soldaten, die sich heute ergeben haben, dürfen nicht dasselbe Schicksal erleiden", heißt es in einer Amnesty-Mitteilung. Die Organisation pocht auf die Einhaltung der Genfer Konvention. Die Männer aus dem Asowstal-Werk dürften nicht gefoltert werden und es müsse dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unverzüglich Zugang zu den Gefangenen gewährt werden.

Rotes Kreuz kann persönliche Daten aufnehmen

Das zumindest ist geschehen. Das IKRK teilte am Donnerstag mit, dass es Hunderte der ukrainischen Kriegsgefangenen aus dem Asowstal-Werk registrieren konnte. Ein Team der Hilfsorganisation habe auf russische wie auf ukrainische Bitte bereits am Dienstag damit begonnen, persönliche Daten der Männer aufzunehmen. Die Prozedur dient laut IKRK dazu, nachverfolgen zu können, wo sich die Kriegsgefangenen befinden – und sie dabei zu unterstützen, im Kontakt mit ihren Angehörigen zu bleiben. Das ist alles andere als trivial: Laut Menschenrechtsorganisation gibt es zahllose Beispiele aus vergangenen Kriegen, dass Kriegsgefangene für immer verschwunden sind. Niemand solle daran zweifeln, dass die ukrainischen Gefangenen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht behandelt würden, hieß es dazu von russischer Seite. Die humanitären Gesetze seien "für die russische Seite heilig", beteuerte Außenministeriumssprecherin Sacharowa.

Erkenntnisse darüber, wie die Männer aus dem Asowstal-Werk im Untersuchungsgefängnis von Oleniwka behandelt werden, haben die Rot-Kreuz-Teams allerdings nicht. Wie die ARD berichtet, haben ukrainische Offizielle die Einrichtung in der Vergangenheit immer wieder als Konzentrationslager bezeichnet. Dass etliche der Männer, die sich ergeben haben, dem "Asow"-Regiment angehören sollen, dürfte ihre Lage alles andere als verbessern. Das im Jahr der russischen Annexion der Krim als Freiwilligenmiliz aufgestellte Regiment, galt als ultranationalistisch, verwendet angeblich immer noch entsprechende Symbole und soll Verbindungen zur extremen Rechten gehabt haben. Dies soll mit Eingliederung in die Nationalgarde zwar der Vergangenheit angehören, doch passt der Umstand Russland dennoch ins Konzept. Präsident Wladimir Putin rechtfertigt seinen Angriffskrieg immer wieder damit, die Ukraine müsse "entnazifiziert" werden – dies wohlgemerkt grundlos auf die gesamte Bevölkerung und die Regierung gemünzt.

Russische Angaben: Kapitulation in Mariupol: Hundert weitere ukrainische Kämpfer aus Asovstal-Stahlwerk ergeben sich
Kapitulation in Mariupol: Hundert weitere ukrainische Kämpfer aus Asovstal-Stahlwerk ergeben sich

"Asow"-Regiment: Werden Soldaten zu Terroristen erklärt?

Dementsprechend kamen aus Russland prompt wenig hoffnungsvolle Signale. "Nazi-Verbrecher sollten nicht ausgetauscht werden", sagte der Sprecher des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin am Dienstag. "Wir sollten alles tun, damit sie vor Gericht gestellt werden." Ein weiterer Duma-Abgeordneter, Leonid Slutski, nannte die Gefangenen gar "Tiere in Menschengestalt" und der Donezker Separatistenführer Denis Pushilin forderte, die Männer aus dem Stahlwerk als "Neonazis" und Kriegsverbrecher vor ein internationales Tribunal zu stellen. Sogar Forderungen nach der Todesstrafe wurden laut.

Hanna Maliar, Vize-Verteidigungsministerin der Ukraine, wertete die martialischen Äußerungen allerdings weniger dramatisch. Der BBC sagte sie, dass diese Äußerungen "höchstwahrscheinlich für die russische Propaganda gemacht wurden." Andererseits berichten politische Beobachter aus Moskau, dass es Bestrebungen gebe, das "Asow"-Regiment offiziell zur terroristischen Organisation zu erklären. Sollte dies tatsächlich geschehen, würden die Soldaten als Terroristen vor Gericht gestellt – was einen Gefangenenaustausch ausschließen würde.

Dazu könnte passen, dass Russland laut ukrainischen Angaben bisher nicht bestätigt habe, dass ein Austausch stattfinden werde. Präsident Selenskyi betonte, "dass die Arbeit weitergeht, unsere Jungs nach Hause zu bringen." Am meisten könnte die Kämpfer aus dem Asowstal-Werk schützen, dass die internationale Öffentlichkeit aufmerksam auf ihren Fall blickt. Letzten Endes dürfte das Schicksal der Männer in Wladimir Putins Hand liegen.

Quellen: Amnesty International; Internationales Komitee vom Roten KreuzBBC; CNN; Nachrichtenagenturen AFP; DPA