Putins Wiederwahl Julia Nawalnaja stimmt ab und ruft zu Protest auf – mehr als 70 Festnahmen in Russland

Julia Nawalnaja in einer Warteschlange vor der russischen Botschaft, um ihre Stimme für die Präsidentschaftswahl abzugeben
Julia Nawalnaja in einer Warteschlange vor der russischen Botschaft, um ihre Stimme für die Präsidentschaftswahl abzugeben
© Carsten Koall / DPA
Bevor die Wahllokale für die russische Präsidentschaftswahl schließen, wird es noch einmal unruhig: Prominente rufen zum Protest, Russlands Behörden greifen durch und im Ausland fliegen Molotowcocktails.

Drei Tage lang hat Russland gewählt. Ob das nötig war? Schon bevor die ersten Stimmzettel ihren Weg in die Wahlurnen fanden, stand fest: Wladimir Putin bleibt der Chef im Kreml. Dagegen gab es vom ersten Tag an Protest. Flüssigkeiten in den Wahlurnen zählten zu den harmloseren Aktionen. Andernorts zündelten vereinzelt Menschen in ihren Wahlkabinen. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Gegen die Aufwiegler griffen die russischen Behörden durch. 74 Festnahmen meldete die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag unter Berufung auf eine NGO.

Wahlen und Proteste in Berlin

Die Witwe des Kremlkritikers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, hatte zu einer Protestaktion am letzten Wahltag aufgerufen, bei der Gegner von Staatschef Wladimir Putin russlandweit in Massen zu den Wahllokalen strömen sollen. Die Teilnehmer der Protestaktion "Mittags gegen Putin" sollen für einen der Gegenkandidaten stimmen oder den Wahlzettel mit dem Schriftzug "Nawalny" ungültig machen.

In Berlin beteiligten sich 800 Menschen an einer Demonstration auf der Wilhelmstraße. Direkt nebenan standen nach Angaben der Polizei rund 2000 Menschen in einer Schlange vor der russischen Botschaft, um wählen zu gehen. Die Schlange war hunderte Meter lang und wand sich durch mehrere Nebenstraßen. Auch Nawalnaja und der im Exil in Großbritannien lebende Unternehmer und Kremlkritiker Michail Chodorkowski reihten sich ein, wie auf Videos auf der Plattform X zu sehen war. Ein AFP-Reporter vor Ort beobachtete am Sonntag, wie Nawalnaja bei den Wartenden eintraf, die Menschen klatschten, Nawalnaja wurden Blumen überreicht.

Russen stimmen und protestieren auch in Bonn

Auch im Generalkonsulat in Bonn haben zahlreiche Russinnen und Russen ihre Stimme abgegeben. Die Polizei schätzte die Anzahl der Wartenden in einer mehrere Hundert Meter langen Schlange am frühen Nachmittag auf rund 1000. Aufgrund des hohen Fahrzeugaufkommens komme es auf den Straßen rund um das russische Generalkonsulat zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und temporären Sperrungen, schrieb die Polizei auf der Plattform X (früher Twitter). Noch bis 20 Uhr können russische Staatsbürger dort ihre Stimme abgeben.

In der Nähe des Generalkonsulats begannen am Sonntagmittag zwei Demonstrationen als Standkundgebungen. An einer Demo unter dem Motto "Mittags gegen Putin" nahmen laut Polizei rund 150 Menschen teil. Bei einer prorussischen Kundgebung zählte die Polizei 15 bis 20 Teilnehmer. 

Das Generalkonsulat hatte verstärkte Kontrollmaßnahmen am Wahllokal angekündigt, um die Sicherheit der Wählerinnen und Wähler und der Mitglieder der Wahlkommission zu gewährleisten.

Kremlgegner rufen dazu auf, das Ergebnis der Präsidentenwahl nicht anzuerkennen, weil demokratische Standards nicht eingehalten würden. Unabhängige Beobachter weisen auf Betrug und Manipulation hin. Ernstzunehmende russische Oppositionelle sind entweder nicht zur Abstimmung zugelassen, ins Ausland geflohen oder sitzen im Straflager. Echte Gegenkandidaten hat Putin bei der Wahl deshalb nicht.

Millionen Menschen wählen analog und online

Die Präsidentenwahl ist von Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschattet. Einen Monat nach dem Tod Alexej Nawalnys und mehr als zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine will sich Kremlchef Putin seine fünfte Amtszeit sichern. Er steht schon im Vorhinein als Sieger fest und dürfte sich ein Rekordergebnis bescheinigen lassen.

Die Beteiligung ist nach Angaben der Wahlleitung inzwischen höher als bei der vorherigen Abstimmung von 2018. Der Wert von 67,54 Prozent von damals sei mit Stand 11.50 Uhr MEZ übertroffen worden, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Wahlkommission am Sonntag, dem letzten Tag der Abstimmung. Die Wahl ist erstmals auf drei Tage angesetzt, das sollte auch mehr Wählern die Chance zur Stimmabgabe geben. Zusätzlich stimmten Millionen Menschen – Berichten zufolge teilweise auf behördlichen Druck – online ab.

Laut Wahlkommission in Moskau nutzten 7,74 Millionen bis 11.00 Uhr MEZ die Online-Abstimmung, das entsprach knapp sieben Prozent Wahlbeteiligung. Der Machtapparat strebt trotz des absehbar sicheren Siegs von Putin eine hohe Wahlbeteiligung an, um das Ergebnis legitim erscheinen zu lassen.

Kritiker beklagen hingegen, besonders das Online-Verfahren sei leicht manipulierbar. Unabhängige Beobachter kritisieren, dass viele Bürger von ihren staatlichen Arbeitgebern an die Wahlurnen gedrängt worden seien. Nicht nur das ist illegal, auch der von Wählern berichtete Auftrag, Fotos von dem Wahlzettel an Vorgesetzte zu schicken, gilt als Verstoß gegen das Wahlrecht.

Die Abstimmung endet am Sonntagabend mit der Schließung der letzten Wahllokale um 19.00 Uhr MEZ in Kaliningrad (früher Königsberg) an der Ostsee. Danach gibt es direkt Prognosen zum Ausgang der Wahl, die auf Grundlage von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe entstehen und in der Regel mit dem am Ende verkündeten Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Erste Ergebnisse sollte es noch am Sonntagabend geben, aussagekräftige erst an diesem Montag.

Es gilt als sicher, dass sich Putin bei der seit Freitag laufenden Präsidentschaftswahl eine weitere sechsjährige Amtszeit sichert. Gegen ihn treten drei unbedeutende Kandidaten an. Alle bedeutenden Kritiker des Kreml-Chefs sind entweder tot, inhaftiert oder im Exil. Die Wahl endet am Sonntagabend mit der Schließung der Wahllokale in Kaliningrad um 19.00 Uhr MEZ.

Russische Behörden nehmen zahlreiche Demonstranten fest

Bürgerrechtlern zufolge wurden Dutzende Menschen bei Protestaktionen festgenommen. Insgesamt zählte die Organisation Ovd-Info bis zum frühen Sonntagnachmittag landesweit über 70 Festnahmen – fast die Hälfte davon in der Stadt Kasan. Auch Menschen in Moskau und St. Petersburg waren betroffen. Viele von ihnen wollten sich demnach um exakt 12.00 Uhr Ortszeit vor ihren Wahllokalen in langen Schlangen anstellen, um so ihren Unmut über die vom Machtapparat geplante und von der Opposition als undemokratisch eingestufte Wiederwahl von Kremlchef Wladimir Putin zu zeigen.

Festnahmen gab es den Bürgerrechtlern zufolge auch abseits der Proteste. Eine Aktivistin in St. Petersburg wurde demnach direkt beim Verlassen ihres Hauses von Sicherheitskräften aufgegriffen. Manche Menschen wurden nach einiger Zeit wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen. 

Auch an diplomatischen Vertretungen im Ausland etwa in Kasachstan und Georgien reihten sich ebenfalls Hunderte russische Bürger zum Wählen ein. In Moldaus Hauptstadt Chisinau wurde nach einer Attacke mit zwei Brandsätzen auf die russische Botschaft am Sonntag ein Verdächtiger mit moldauischer und russischer Staatsbürgerschaft festgenommen worden. Örtlichen Medien zufolge handelte es sich um Molotow-Cocktails, verletzt wurde demnach niemand.

DPA · AFP · Reuters
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