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Verteidigungsministerium Das Lobbying des "Dr. N.", die Berateraffäre – und was das mit dem "Eurofighter" zu tun hat

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist durch die Berateraffäre erheblich unter Druck geraten
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist durch die Berateraffäre erheblich unter Druck geraten
© Gregor Fischer / DPA
Am heutigen Donnerstag müssen zwei Schlüsselfiguren der Berateraffäre im Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. Warum wurde der Accenture-Manager Timo Noetzel so häufig zu exklusiven Gesprächen ins Verteidigungsministerium eingeladen?

Was die Beamten in der Abteilung für Cyber- und Informationstechnik des Verteidigungsministeriums von ihrer Chefin Ursula von der Leyen erwarteten, hielten sie im Juli 2018 in der Vorlage für eine Sitzung fest. Die Bundesministerin werde zum Thema der Digitalisierung der Bundeswehr die Richtung vorgeben und über folgende Inhalte sprechen: "Kernbotschaften, ggf. Vision".

"Gegebenenfalls Vision" – das war der Stand bei der Digitalisierung der deutschen Truppe Mitte 2018. Also kurz bevor der Bundesrechnungshof in einer Serie von vernichtenden Berichten anprangerte, wie von der Leyens Ministerium für angebliche digitale Zukunftsprojekte Millionen über Millionen an private Beraterfirmen zahlte, ohne die Regeln für die ordentliche Vergabe solcher Aufträge einzuhalten. Mit großen Hoffnungen gestartete Digitalisierungsprojekte, die auch die Wartung des Kampfflugzeugs "Eurofighter" verbessern sollten, liegen wegen der Unregelmäßigkeiten nun auf Eis. Statt einer Vision regiert Konfusion.

Es ist eine Geschichte über ministeriellen Dilettantismus, aber auch über Lobbyismus und informelle Netzwerke. Welche Rolle spielte zum Beispiel die damalige Staatssekretärin Katrin Suder? Bis heute ist sie Vorsitzende des Digitalrats der Bundesregierung. Vor ihrer Zeit im Verteidigungsministerium arbeitete sie als Beraterin bei der Agentur McKinsey. In ihrer Amtszeit im Ministerium gingen auffällig häufig Berateraufträge an langjährige Bekannte, die früher wie sie bei McKinsey gewirkt hatten.

Zwei der Schlüsselfiguren müssen am heutigen Donnerstag im Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre im Bundestag als Zeugen aussagen: Timo Noetzel, Manager des Beratungskonzerns Accenture, promovierter Politologe und Reservist mit Dienstgrad Schütze - wie auch alter Bekannter von Suder. Er bemühte sich im Verteidigungsministerium um millionenschwere Digitalisierungsaufträge und ließ dann – obwohl Politologe – seine Dienste als "Software-Architekt" und IT-Berater verkaufen.

Beim Türenöffnen im Verteidigungsministerium half ihm Zeuge Nummer zwei, den der Untersuchungsausschuss jetzt ebenfalls anhören will: Der Drei-Sterne-General Erhard Bühler. Er übernahm im Oktober 2014 – kurz nach Suders Ankunft – die Stelle des Abteilungsleiters Planung im Verteidigungsministerium. Auch er ist ein langjähriger Bekannter von Noetzel und sogar Taufpate von dessen Kindern.

Ministerin von der Leyen will Noetzel nie persönlich getroffen haben. Aber umso häufiger empfingen Suder und insbesondere Bühler den heute 42-Jährigen Berater. Das zeigen interne Unterlagen aus dem Verteidigungsministerium, die der stern ausgewertet hat.

Über 30 Termine des Beraters mit dem General

Am 1. Juli 2015 war Noetzel von McKinsey zu Accenture gewechselt – das könnte es Suders Untergebenen erleichtert haben, den alten Bekannten der Staatssekretärin anzuheuern. Die Verbindung war so jedenfalls weniger offensichtlich.

Am 3. Juli 2015, Noetzel war gerade den dritten Tag im neuen Job, hatte er bereits einen ersten Gesprächstermin mit dem Abteilungsleiter Bühler. Über 30 weitere sollten folgen – jedenfalls ausweislich des offiziellen Terminkalenders des Generals. Mal trafen sich Bühler und der Berater morgens, mal nachmittags oder abends. Manchmal empfing der General Noetzel mit einer ganzen Gruppe von Beratern, manchmal mit Leuten aus dem Ministerium, häufig aber waren im Kalender keine weiteren Teilnehmer vermerkt. Seine Präsenz war so eingespielt, dass die Sekretärin ihn zumindest einmal einfach nur als "Dr. N." erwähnte.

Firmenintern bei Accenture wird sich Noetzel im Juli 2017 rühmen, wie man zum "bevorzugten Partner" des Generals im Verteidigungsministeriums aufgestiegen sei. Andere im Ministerium verdächtigten Dr. N., dass es ihm immer wieder um das eine gehe: Neue Verträge für Accenture. Vor einem geplanten Termin im November 2016 warnte ein Beamter mit diesen Worten: "Es ist davon auszugehen, dass die Firma Accenture auch diese leitungsnahe Veranstaltung nutzen möchte, um neue Aufträge für sich zu akquirieren."

Früh wurde auch General Bühler von Kollegen gewarnt: Es sei ein Problem, wenn einzelne Firmenleute vorab Insiderinformationen über mögliche Aufträge bekämen.

Der General wird gewarnt, Berater nicht zu früh einzubinden

Zum Beispiel im Mai 2016. Da wollte Bühler Noetzel und weitere Berater zu einem Gespräch zum Thema "MoTaKo" empfangen. Das ist ein potentiell milliardenschweres Programm für die Digitalisierung der Kommunikation in der Truppe; große Konzerne wie Rheinmetall sind seit Jahren hinter dem Auftrag her. Auch eine Firma wie Accenture konnte hoffen, dass einige Millionen vom Gesamtvolumen bei ihr hängen bleiben.

Aber im Mai 2016 legte der damalige Vizepräsident der Beschaffungsbehörde der Bundeswehr Widerspruch ein. Er bitte "dringend", schrieb Vizepräsident Klaus Veit an Bühler, "auf ein Gespräch mit externen Beratern zu diesem frühen Zeitpunkt zu verzichten". Es sei ja "auch zu deren Schutz", wenn "ein ausgewählter Firmenkreis" nicht zu früh einbezogen werde.

Zu deutsch: Hat eine Firma zuviel Informationsvorsprung, kann sie eigentlich später nicht mehr ohne Weiteres für den Zuschlag mitbieten. Alles andere wäre unfair anderen Bewerbern gegenüber. Das hielt später auch der Bundesrechnungshof dem Verteidigungsministerium vor.

Im Mai 2016 wischte Bühler das Argument dennoch vom Tisch. Hier werde "mit Kanonen auf Spatzen" geschossen, er habe nicht "erwartet, das ein von mir angeregtes Treffen unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten geprüft wird", beschwerte sich der General und Noetzel-Freund. Laut Kalender durften dann Noetzel und ein Kollege sehr wohl Mitte Mai 2016 mit Bühler ein Gespräch zum Thema MoTaKo führen. Und noch im Juli 2018 stand eine "Präsentation" von Noetzel und Kollegen bei Bühler auf dem Programm – zum Programm D-LBO. D-LBO ist das neue Bundeswehrkürzel für das, was früher MoTaKo hieß.

Mehrfach wiederholte sich das Muster in ähnlicher Weise, nicht immer über Bühler, manchmal auch über enge Mitarbeiter von Suder. Ab Mitte 2016 etwa versuchte Noetzel auch über Suders rechte Hand Gundbert Scherf ("lieber Gundbert") Aufträge über das sogenannte IT-Baseling einzustielen; der stern berichtete im Mai darüber. Es endete mit lukrativen Verträgen und Folgeaufträgen für Accenture, die Suder teils persönlich mit ihrer Paraphe freigab.

Oder eine millionenschwere Serie von Machbarkeitsstudien für ein Programm namens PLM, die sich Accenture ab Ende 2017 sicherte. Die Abkürzung steht für Produktlebenszyklusmanagement; es geht um das Sammeln und Auswerten möglichst vieler Daten zu Bundeswehrsystemen wie dem Transportjet Airbus A400M. Auch Daten über den "Eurofighter" sollten hier in naher Zukunft gesammelt und ausgewertet werden, mit dem Ziel, die Einsatzbereitschaft der Maschinen zu steigern. Auch bei PLM war Noetzel offenkundig bereits sehr frühzeitig unterwegs – und auch hier gab es Rückendeckung aus dem Büro der Staatssekretärin oder von ihr selbst.

Bereits Anfang Juli 2017 bittet ein Airbus-Mann auch in Noetzels Namen bei Bühler um ein Gespräch zum Thema "in-service-support".  Es geht, wie ein Ministerialer festhält, um die "Verbesserung der Einsatzbereitschaft fliegender Systeme" der Bundeswehr. Also um Maschinen wie den A400M.

Der General ruft den Berater auch am Samstag an

Am 26. August 2017 – einem Samstag – mailte Noetzel an diverse Kollegen bei Accenture und Airbus wie auch in Kopie an Bühler einen neuen Stand: "Generalleutnant Bühler hat mich heute Morgen angerufen", schrieb Noetzel. Er solle für einen kommenden Termin Bühlers "Zielsetzung in die Runde schicken": Es gehe darum, "wie die Einsatzbereitschaft im Bereich Kampfflugzeuge angehoben werden könnte" – und um "Potentiale im Bereich Digitalisierung der Logistik". Also genau die Themen, um die sich dann das PLM-Projekt drehen würde.

Am 28. September 2017 sind dann Noetzel & Co. in der Tat zum Thema PLM bei Bühler. Der kann später angeblich gar nicht genau erklären, wer die Vertreter von Airbus und Accenture eingeladen hatte. Der Termin sei "kurzfristig an dem Tag zustande" gekommen, so Bühler später, weil Vertreter von Airbus und Accenture anschließend am selben Tag einen gemeinsamen Termin mit der damaligen Staatssekretärin Suder hatten.

Allerdings hatte Bühler ja zu dem Themenkomplex bereits zuvor Kontakt zu Noetzel – und auch Suder spielte eine Rolle im Hintergrund. Sie sollte ausweislich der dem stern vorliegenden Akten am selben 28. September 2017 mit Noetzel und dessen Kollegen über "digitale Plattformen" und damit ebenfalls auch über PLM sprechen. Noetzel erwähnte das für das Suder-Gespräch geplante Thema "Product Lifecyle Management" jedenfalls explizit in einer Mail, die er einen Tag zuvor an einen Referatsleiter verschickte.

Was bei dem Gespräch bei der Staatssekretärin an diesem Tag diskutiert wurde, kam in der für PLM zuständigen Fachabteilung offenbar gar nicht an. "Inhalte hier 'unbekannt'", hielt eine hohe Fachbeamtin im Januar 2019 in einer internen Rekonstruktion der Ereignisse fest.

Die Staatssekretärin verließ sich auf Accenture

Die Staatssekretärin selbst wusste zugleich offenkundig genau, was sie wollte: Die Hilfe von Accenture und damit von Timo Noetzel.  "Die Firma Accenture wird Frau Staatssekretärin Dr. Suder Überlegungen zum Thema 'Aufbau einer Digitalen Plattform für die Bundeswehr'" vortragen - so schrieb es ihr Mitarbeiter an verschiedene Stellen im Haus zu dem ominösen Termin, zu dem dann wenig nach unten drang. "Die Gestaltung des Termins erfolgt durch Accenture", fügte er hinzu: "Eine Vorbereitung ist nicht erforderlich."

Die Ministerialen sollten sich also ganz in die Hand der Beratungsfirma begeben, obwohl die überhaupt keinen offiziellen Aufrag hatte? "Die Firmen Airbus und Accenture werden unterstützen", hielt der für PLM zuständige Beamte jedenfalls bereits im Oktober 2017 fest, als sei der Auftrag bereits erteilt. Der offizielle Zuschlag folgte aber erst Ende Dezember 2017. Er erging ohne jede Ausschreibung und – wie heute auch das Ministerium einräumt – irregulär.

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Suder persönlich nahm zwischendurch offenbar persönlich Einfluss darauf, welche Berater sie sehen wollte und welche nicht. Ende November 2017 richtete ein Beamter Noetzel aus, dass zu einem Folgetermin am 4. Dezember 2017 nur noch er und eine Accenture-Kollegin gebraucht würden. Das habe gerade die Staatssekretärin "entschieden", so der Beamte zu Noetzel: "Airbus wird nicht teilnehmen. Können Sie das bitte an Airbus kommunizieren."

"Anscheinend war Katrin Suder stärker bei PLM involviert, als bisher bekannt ist", urteilt jetzt der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner. Heute versichert Suder, mit konkreten Auftragsvergaben nichts zu tun gehabt zu haben. "Grundsätzlich" sei sie "nicht in Auswahlentscheidungen involviert" gewesen, sagt sie.

Doch bei den Beamten im Beschaffungsamt, die dann im Dezember 2017 formal für die Auftragserteilung im Fall PLM zuständig waren, kam die Botschaft an, "dass die Frau Staatssekretärin das auch dringend haben will" und der Auftrag "möglichst schnell" rausgehen soll. So sagte es ein Referatsleiter aus dem Beschaffungsamt jüngst im Untersuchungsausschuss. Es sei "schon sehr viel, ja, Druck ausgeübt" worden, fügte der Beamte hinzu. Er habe so etwas "noch nie erlebt".

"Wie kann verhindert werden, dass Accenture das Verfahren diktiert?", fragte ein Beamter

Ließ man damals eine große Beratungsfirmen nicht zu frühzeitig an die Füttertröge? Der damalige Vizepräsident des Beschaffungsamts war nicht der einzige, der sich Sorgen machte. "Accenture hat schon die erste Sitzung des noch zu gründenden Kernteams für den 26. oder 27.10. geplant", schrieb Mitte Oktober 2017 ein Referatsleiter an einen Kollegen, zum Thema PLM: "Es scheint schon irgend etwas zu geben aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht rechts überholt werden." Einen Tag später fragte der Referatsleiter einen anderen Ministerialen: "Wie kann 'verhindert' werden, dass Accenture hier das Vorgehen 'diktiert'".

Schon im November 2016 warnte auch Dietmar Theis, der IT-Direktor der Bundeswehr, als Noetzel mit einem Abteilungsleiter des Hauses über ein Projekt mit SAP-Software sprechen wollte: "Das Gespräch darf – auch aus vergaberechtlichen Gründen – nicht den Charakter einer Verkaufsveranstaltung annehmen."

Viele Beamte wussten, was schon der gesunde Menschenverstand nahelegt: Eine Behörde kann nicht eine Firma ohne Weiteres mit der Vorbereitung eines Auftrags befassen, für das das Unternehmen eventuell Bewerber wird. Wie konnte es sein, dass die allgemein als hochintelligent geschilderte Suder das nicht verstanden hatte? Warum hatte sie als Ex-Beraterin keine größere Distanz zu ihrem alten Bekannten Noetzel und zu Accenture gehalten? Fragen des stern ließ die ehemalige Staatssekretärin unbeantwortet.

Sicher ist: Noetzel agierte immer wieder geschickt so wie man das von geübten Lobbyisten kennt. Er knüpfte Kontakte, sprach Schlüsselpersonen auch auf der mittleren Führungsebene des Ministeriums an und verabredete sich auf einen Kaffee oder zum Mittag. Zeitweise hatte er sogar einen Hausausweis für das Ministerium in Berlin und die Hardthöhe in Bonn.

Ein Beamter warf dem Berater Noetzel "Unverschämtheit" vor

Aber irgendwann wirkte es auf einige so, als fühle er sich zu sehr zu Hause im Ministerium. Im Juni 2018 kam es zwischen Noetzel und einem engen Mitarbeiter des Generals Bühler zum großen Krach. Noetzel hatte die Sekretärin des Generals gebeten, auch einen Mitarbeiter von Airbus zu einem Termin einzuladen – da platzte dem Büroleiter des Generals der Kragen. Es sei "schon bemerkenswert, in welcher Art und Weise und mit welcher Selbstverständlichkeit Sie sich seit Jahren des Büros" des Abteilungsleiters bedienten, schrieb der Büroleiter erbost an den Berater. Trotz aller Hinweise habe Noetzel nun "erneut nachhaltig bewiesen", dass es ihm "an Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen sowie Kenntnis über interne Prozesse fehlt" – und er "ein Maß an Unverschämtheit und Respektlosigkeit" zeige, wie der Büroleiter das "in 42 Dienstjahren noch nicht erlebt" habe.

Noetzels Verhältnis zu Bühler trübte freilich auch dieser Streit offenkundig nicht nachhaltig. Der General traf auch danach den Berater mehrfach zu Gesprächen, lobte ihn noch Ende 2018 als "außergewöhnlichen strategischen Kopf". Bühler und Noetzel - das sei offenbar "eine fast symbiotische Beziehung" gewesen, folgert der Grünen-Verteidigungsexperte Lindner.

Noch im November 2018 erklärte die Ministerin von der Leyen die "Digitalisierung" zum "Megathema der Bundeswehr in der nächsten Dekade". Doch wegen der vielen Unregelmäßigkeiten liegen nun mehrere große Digitalisierungsprojekte erstmal brach. Zeitweise war geplant, ab Juli 2019 auch für den "Eurofighter" die Datenauswertung per PLM im Detail auf ihre Machbarkeit zu prüfen – mit Hilfe externer Berater und zu Kosten von 2,8 Millionen Euro. Aber diese Planung ist nun Makulatur.

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