"Erschöpft und unzufrieden – Verliert die Ampel beim Klimaschutz den Rückhalt in der Bevölkerung?", war die Frage, unter die Anne Will ihre Talkshow stellte. Genauso gut hätte die Frage aber auch lauten können: Was bringt es dem Publikum, ohne jeden Erkenntnisgewinn drei Politikern und Politikerinnen beim Streiten zuzuhören?
Zu Gast bei "Anne Will" waren:
- Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende der Bundestagsfraktion
- Jana Hensel, Autorin und Journalistin
- Christian Dürr (FDP), Vorsitzender der Bundestagsfraktion
- Philipp Amthor (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages
- Steffen Mau, Soziologe an der Humboldt Universität zu Berlin
Wer sich in eine Politiktalkshow setzt, hat, mehr oder weniger unverhohlen, eine Agenda. Daran ist auch überhaupt nichts auszusetzen, denn die Zuschauenden wollen ja erfahren, wie die Parteien zu verschiedenen Punkten stehen. Gerade steht das Heizungsgesetz sehr im Vordergrund, was vor allem auf die enormen Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger und die schlechte Kommunikation der letzten Monate zurückzuführen ist.
Der Soziologe Steffen Mau findet die "Frage der Gerechtigkeit nicht richtig adressiert", der "Sinn vor Fairness" würde fehlen und dazu führen, dass viele Deutsche sich nicht abgeholt fühlten. Die Menschen seien "veränderungserschöpft", weil sie in den letzten Jahren schon so viele Veränderungen mittragen mussten. Die Transformation, die uns als Gesellschaft bevorsteht, könne laut Mau aber nur gelingen, wenn transparent kommuniziert und alle Bürgerinnen und Bürger mitgedacht werden. Besonders die Menschen aus der ehemaligen DDR seien, mehr als die aus dem Westen, erschöpft von all den Umbrüchen, die ihr Leben begleiten, manche seien, so Mau, "veränderungsavers". Um dem entgegenzuwirken, dürfe sich die Regierung nicht im "Kleinklein" verbeißen, sondern müsse die Risiken für alle gerecht verteilen und dafür Sorge tragen, dass die, die mehr haben, auch mehr Lasten schultern müssen.
Die Grünen ringen bei "Anne Will" mit der FDP
Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katharina Dröge, stimmte dem zu und war sichtlich bemüht, nicht nur für das neue Energiegesetz zu werben, sondern auch den Regierungspartner FDP bei "Anne Will" nicht zu verprellen. Denn während man in den letzten Monaten insbesondere von Robert Habeck eher wenig Positives in Richtung FDP hörte, verwies Dröge darauf, dass der anwesende Christian Dürr in seiner Funktion als Vorsitzender der Bundestagsfraktion der FDP sicherlich an dem Gesetz festhalten will.
"Wir brauchen ein neues [Gesetz], aber es muss ein gutes sein", war noch die präziseste Antwort, zu der Dürr sich hinreißen ließ. In erster Linie ging es ihm aber darum, Schadensbegrenzung zu betreiben und mit dem Finger Richtung anderer Parteien zu zeigen. Dass die Menschen da das Vertrauen in die Regierung verlieren, ist wenig verwunderlich.
Fand auch Jana Hensel, die sowohl die FDP als auch die SPD rügte. Der Bundeskanzler Olaf Scholz "ist abwesend". Dass die Regierung den Rückhalt in der Bevölkerung verliert, ist ihrer Meinung nach eher die Schuld der SPD und der FDP. "Es sind nur die Grünen", so Hensel, die sich um den Klimaschutz kümmern, der Rest würde lieber streiten oder sich gegenseitig kommentieren.
Das bringt aber weder Lösungen für aktuelle Probleme noch Innovationen oder Ideen. Philipp Amthor hatte da wenig im Gepäck, er verwies erwartbar darauf, dass seine Partei in der Vergangenheit ja bessere Politik gemacht hätte, dass sich die Menschen nicht abgeholt fühlen würden. Amthor war der Meinung, das "grüne Gängelband wird immer weiter vorangetrieben". Es sei für ihn interessant in der Sendung der "Therapiestunde der Regierung beizuwohnen". Er warf den Anwesenden aber vor, "das Gegenteil von Klimaschutz" zu erreichen, weil die Maßgaben die Menschen überfordern würden und sie deswegen panisch noch schnell Gasthermen besorgen würden, die ja eigentlich auf lange Sicht abgeschafft werden sollen.
Bei "Anne Will" wurden die immer gleichen Phrasen gedroschen von der gesellschaftlichen Akzeptanz, die noch hergestellt werden müsse, vom pragmatischen Weg, der gangbar gemacht werden soll und der sozialverträglichen Idee des neuen Heizungsgesetzes. Echte Lösungen oder auch nur neue Informationen bot dieser Talk leider nicht. Dabei sei das, so Philipp Amthor eigentlich unbedingt nötig. In seinen Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern seines Wahlkreises habe er eine mediale Verdrossenheit erkannt, dass die Leute nicht nur keine Lust mehr auf die Regierung und die Parteien hätten, sondern auch kein Interesse mehr an den Medien.
Einsicht ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Leider ließ niemand der Anwesenden erkennen, dass Schritte für mehr Dialog und Austausch gegangen wurden. Alle beharrten auf ihren Ansichten und Meinungen, niemand gestand Fehler oder auch nur falsche Annahmen ein.
Weitere Themenpunkte:
- Erstarken der AfD: Bei der Sonntagsumfrage liegen die SPD und die AfD gleichauf. Philipp Amthor sah hier die Regierung in der Verantwortung. Seiner Auffassung nach sei der Aufstieg der AfD allein der aktuellen Regierungsarbeit geschuldet. Jana Hensel sah das anders, sie sieht die CDU in einer Vorreiterposition, die den Aufstieg der AfD erst möglich machte.
- Friedrich Merz: Philipp Amthor betonte, wie sehr er den Aussagen von Friedrich Merz zustimme und bediente sich den ganzen Talk über einer ähnlichen Rhetorik. Anne Will wies mehrfach darauf hin, Amthor blieb bei seinen monokausalen Erklärungen, dass Merz nur ausspreche, was die Leute denken würden und die aktuelle Regierung der einzige Grund für das Erstarken der AfD sei. Immerhin würden 1/3 der früheren Ampel-Wählenden jetzt die AfD bevorzugen, so Amthor. Einwände, dass das insbesondere für die Wählerinnen und Wähler der Grünen nicht zutreffe, ignorierte Amthor.
Steffen Mau, der an diesem Abend den Begriff der Veränderungserschöpfung prägte, hatte gleichzeitig auch das Thema der Sendung auf den Punkt gebracht. Denn nicht nur die Wählerinnen und Wähler sind unter Umständen zu erschöpft für Veränderungen, auch die Politiker und Politikerinnen, die sich in Talkshowstühle setzen, sind es. Denn anders ist es nicht zu erklären, wie man eine Stunde lang miteinander ins Gespräch gehen und so überhaupt keinen Erkenntnisgewinn abliefern kann. Immerhin, Christian Dürr versuchte an diesem Abend zumindest verbal aus Anne Will einen Mann zu machen, in dem er sich verhaspelte und die Moderatorin als "Herr Will" ansprach.