Christian Wulff mag Japan. "Die Menschen sind so freundlich hier", findet er. "Das sind klasse Leute."
Im Shinkansen-Schnellzug zwischen Osaka und Tokio nimmt der niedersächsische Ministerpräsident eine kleine Auszeit. Gerade hat er mit Katsuaki Watanabe, dem Präsidenten des Toyota-Konzerns, über eine halbe Stunde über die Situation auf den Weltmärkten gefachsimpelt. Es ging um Zulassungszahlen, die deutsche Abwrackprämie, das Bankensystem.
Kein Mann für Merkels Hof
Der "prime minister of lower saxony" ist hier im Fernen Osten ein gern gesehener Gast. In seiner Zusatzfunktion als Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG kann er ein gewichtiges Wort mitreden. "Im Ausland werde ich als Ministerpräsident des Autolandes Niedersachsen wahrgenommen", freut er sich. Überall verteilt Christian Wulff Bildbände der Autostadt Wolfsburg als Gastgeschenk. Manchmal überreicht er auch kleine weiße Porzellanpferde.
Seit ein paar Jahren ist Christian Wulff der festen Übrzeugung, dass in Berlin niemand auf ihn wartet - vielleicht, oder gerade weil er zwar als ein bißchen blass, aber als nett und im Ernstfall als mehrheitsfähig gilt. Da, wo die große Politik gemacht wird, am Hofe der Angela Merkel, fühlt Wulff sich unwohl. Man will ihn dort nicht wirklich dabeihaben und er möchte sich nicht in Loyalitätszwänge pressen lassen. Immer wieder wird ihm unterstellt, er schiele nach der Kanzlerschaft. Immer wieder dementiert Wulff.
Zwischen Salzwedel und Tokushima
Die Situation ist irgendwie blockiert und Ausgleich sucht Wulff mit einer Doppelstrategie: Daheim kümmert er sich mit geradezu kleingärtnerischer Akribie um sein schönes Niedersachsen - sogar die Probleme der Verkehrsinfrastruktur rund um Salzwedel finden sein ungeteiltes Interesse. In der Ferne organisiert er sich selbst ein bißchen große Politik. Auch dazu dient der Trip nach Japan.
Tokushima, Osaka, Tokio - gut eine Woche nimmt Wulff sich Zeit und manchmal in diesen Tagen wirkt der Mann richtig glücklich. In Tokushima tanzt er nach dem Festbankett mit einheimischen Geschäftsleuten "Awa-Odori", einen tradtionellen japanischen Tanz, bei dem man leicht in die Knie gehen muss. Das Ganze endet in einer Art Polonaise und Christian Wulff lächelt selig dabei. In Kunstlederpantoffeln besichtigt er eine Schule und übt sich mit einem Tuschepinsel bewaffnet in der kalligraphischen Kunst japanischer Schriftzeichen.
Herzstillstand in der Stahlindustrie
Wulff inspiziert aber auch das Herz der japanischen Wirtschafts-Supermacht, er besichtigt eine Werkzeugmaschinen-Fabrik, besucht den weltweit zweitgrößten Baumaschinenhersteller Komatsu, führt Gespräche mit dem Notenbank-Chef und dem Außenminister.
Was er zu hören bekommt, klingt nicht gut: Japan ist von der Wirtschaftskrise noch stärker betroffen als Deutschland. Einer seiner Gesprächspartner erzählt ihm, dass wegen der Absatzeinbrüche in der Autoindustrie vielleicht demnächst in Japan ganze Stahlwerke geschlossen werden müssen. "Ist diese Krise nur ein Atem-anhalten der Weltwirtschaft oder ein Herzstillstand?", will Wulff von all seinen Gesprächspartnern wissen. Die Sache mit den Stahlwerken klingt eher nach Herzstillstand.

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Roadshow für Niedersachsen
"We have a little bit of crisis", improvisiert der Niedersachse einmal auf Englisch, als gerade keine Übersetzerin greifbar ist. Der Mann, der nach eigenem Bekunden in Deutschland nicht Kanzler werden will, versucht hier in Japan wenigstens für seine Heimat herauszuholen, was herauszuholen ist. Vielleicht könnte ein japanischer Hersteller von Kohlefaser-Verbundstoffen demnächst einen Teil seiner Fertigung nach Niedersachsen verlegen? Vielleicht könnten ja VW und Toyota bei Navigationstechnik und bordeigenen Notrufsystemen kooperieren?
Wulff kennt die Verbrauchs- und CO2-Werte des neuen VW "Touareg" in- und auswendig und bei der Hingabe, mit der er hier für seinen heimischen Standort wirbt, erscheint er zuweilen nicht mehr wie ein Politiker, sondern wie der Vorstandsvorsitzende der Wirtschaftsförderung Niedersachsen.
Ein wenig heile Welt
Japan - das ist ein endloser Siedlungsbrei zwischen grünen Hügeln, es ist hundefreie Zone. An jeder Straßenecke steht ein Getränekautomat, die Menschen winken beim Abschied freundlich und sie lieben deutsche Volkslieder. Christian Wulff mag dieses Land. Kein Wort zu Berlin: zum Streit in der Union, zu den schlechten Umfragewerten, zum wachsenen Unmut über Angela Merkel. Er versucht hier, mitten in der Weltkrise, für sein Niedersachsen ein wenig heile Welt zu retten.
Das ist ein gutes Gefühl. Das kann einen für vieles entschädigen. Auch dafür, dass einen in Berlin keiner so richtig haben will.