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Gewerkschaft "Zentrum Automobil" Zoff um Nazi-Postings und Hass-Botschaften im Stammwerk von Daimler

Die Daimler-Konzernzentrale, aufgenommen in der Morgendämmerung
Baden-Württemberg, Stuttgart: Die Daimler-Konzernzentrale, aufgenommen in der Morgendämmerung
© Marijan Murat / DPA
Zwei Daimler-Arbeiter hatten Nazi-Bilder verschickt und wurden entlassen. Jetzt schlachtet eine rechte Mini-Gewerkschaft den Fall aus und sorgt für Streit.
Von Hans-Martin Tillack und Ulrich Neumann

"Ruhe jetzt!", rief am Ende ein Polizist. Eine Viertelstunde lang hatten sich Daimler-Arbeiter an einem Mittwoch im Juli vor den Toren des Werks in Mettingen am Stadtrand von Stuttgart gefetzt. Sie brüllten sich an, sie gestikulierten, jeden Moment, so schien es, konnte es zum Handgemenge kommen.

Die Streitenden, das waren an diesem Tag linke und rechte Gewerkschafter – ja, rechte Gewerkschafter. Die AfD-nahe Organisation "Zentrum Automobil" holte 13 Prozent bei der letzten Betriebsratswahl am Daimler-Standort Untertürkheim, zu dem Mettingen gehört. Die Mini-Gewerkschaft ist auch mit Ablegern bei Porsche und BMW in Leipzig sowie in zwei anderen Daimler-Werken vertreten – aber nirgends so stark wie hier im Stammwerk in Untertürkheim.

Ihr Chef heißt Oliver Hilburger. Früher spielte er in einer Neonazi-Band, bis heute hält ihn der Verfassungsschutz für einen Protagonisten der rechtsextremen Szene. Er ist ein Fan des völkisch orientierten AfD-Manns Björn Höcke. Und er heizt nach Recherchen des stern und des ARD-Magazins "Report Mainz" bei Daimler gerade die Gemüter an – in einem Streit um Nazi-Botschaften.

"Du bist der Nächste"

Auslöser des Konflikts sind Hass-Nachrichten, die zwei Arbeiter aus der Presserei im Werk Mettingen an einen türkisch-stämmigen Kollegen und IG-Metall-Vertrauensmann versandt hatten. Über Monate hinweg hatten sie ihm immer wieder Nazi-Bilder geschickt: eine "Hitler-Sport"-Schokolade, eine Gangschaltung in Hakenkreuz-Form, eine Frau, die mit ihren Händen ein Hakenkreuz formt ("Das wäre MEINE Bundeskanzlerin") und dazu verächtliche Postings über Muslime. Als das Unternehmen im Frühjahr 2018 davon erfuhr, kündigte es den beiden Presserei-Arbeitern fristlos. Das Arbeitsgericht segnete den Schritt in erster Instanz ab.

Bild einer "Hitler-Sport"-Schokolade
Motiv einer "Hitler-Sport"-Schokolade. Das Bild wurde einem türkisch-stämmigen Kollegen und IG-Metall-Vertrauensmann von einem Arbeiter aus der Presserei im Werk Mettingen geschickt.
© Privat

Doch nun, Anfang Juli, schlug Oliver Hilburger zurück: In einem professionell-gefühlig gemachten 35 Minuten langen Film, der auf Facebook und Youtube veröffentlicht wurde, stellt seine Gewerkschaft die beiden Entlassenen als Opfer dar, der eine tierlieb, der andere selbstmordgefährdet. Die Vorwürfe gegen sie seien "völlig absurd". Schuld seien "intrigante Seilschaften, korruptionsähnliche Zustände und mutmaßlich vertuschte Rechtsbrüche eines Gewerkschaftsfunktionärs".

Auch verächtliche Postings über Muslime bekam der Mitarbeiter geschickt
Auch verächtliche Postings über Muslime bekam der Mitarbeiter geschickt
© Privat

"Wie eine Bombe" habe der Film eingeschlagen, freute sich Hilburgers Verein auf Facebook über die Abrufzahlen. Der von ihnen attackierte Gewerkschafter hingegen bekommt jetzt, wie er sagt, anonyme Drohanrufe: "Du bist der Nächste."

Das "Zentrum Automobil"

Für den Ruf eines global agierenden Unternehmens wie Daimler ist das hochgefährlich. Doch bisher kommen manche Themen der Hilburger-Truppe bei einigen Daimler-Mitarbeitern gut an. "Zentrum Automobil" macht sich für den geschmähten Diesel stark und warnt vor dem grünen "Elektrowahn". Mit den populistischen Botschaften fanden sie in Teilen der verunsicherten Belegschaft Zuspruch.

Auf einer Vereinsversammlung im November 2018 berichtete Hilburger über "stark ansteigende Mitgliederzahlen". Laut Protokoll verfügt das "Zentrum Automobil" inzwischen über genügend Einnahmen,  um sich sogar einen "fest angestellten Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit" leisten zu können. Auf Presseanfragen meldet sich jetzt ein gewisser Simon Kaupert.

Vielleicht ist es nur Zufall, aber einen Mann diesen Namens hat der brandenburgische Verfassungsschutz im Mai 2018 als Mitglied der – inzwischen als rechtsextrem eingestuften – "Identitären Bewegung" zugeordnet. Er war auch bei dem rechten Kampagnenprojekt "Ein Prozent" aktiv und rief bereits 2016 dazu auf, bei kommenden Betriebsratswahlen "geeignete Kandidaten" logistisch, finanziell und juristisch zu unterstützen. Wie der stern und "Report Mainz" bereits im Januar 2018 berichtet hatten, war überdies der Schatzmeister des "Zentrum Automobil", Hans Jaus, früher in gleicher Funktion bei der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation "Wiking-Jugend" aktiv.

Unternehmensführung bei Daimler ist alarmiert

Die IG Metall will jetzt dagegenhalten. "Wer hetzt, der fliegt", bekräftigte Roman Zitzelsberger, der Chef der IG Metall Baden-Württemberg: "Und das gilt auch weiterhin." Auch die Unternehmensführung bei Daimler ist wegen des Zulaufs für Hilburger alarmiert. Unter den etwa 20.000 Beschäftigten des Werks sind 97 verschiedene Nationalitäten vertreten – der Konflikt um die Entlassung der beiden Mitarbeiter kann den Betriebsfrieden nachhaltig stören.

In der Regel äußere man sich nicht zu Kündigungsfällen, erklärte Daimler in einem Aushang für die Beschäftigten. Weil der Film aber die Tatsachen verzerre, mache man nun eine Ausnahme. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit könne Daimler "in keiner Weise dulden". Das Unternehmen appellierte an die eigenen Beschäftigten, denjenigen den Rücken zu stärken, die sich "gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit" einsetzen.

Oliver Hilburger scheint eher auf Eskalation zu setzen. Im Streit vor den Werkstoren in Mettingen mischte er breitbeinig mit. Dann postete das "Zentrum Automobil" eine unverhüllte Drohung eines Mitglieds. Er habe in einem anderen Fall bereits den Beamten erklärt, "dass ich nächstes mal keine Polizei mehr hole; Das regel ich dann anders". Es folgte ein Zwinkersmiley.
 

Hinweis: Am heutigen Dienstag ab 21.45 Uhr berichtet das Magazin "Report Mainz" in der ARD über den  Fall.
 

Hans-Martin Tillack / Ulrich Neumann

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