Es ist ein uralter Trick, den Angela Merkel immer wieder im Bundestag einsetzt. Kaum hat ein kritisierter oder angeschlagener Minister das Rednerpult des Bundestages verlassen, eilt sie zur Regierungsbank und verstrickt den Attackierten in ein Gespräch. Dann kann der erste Redner von der Opposition noch so wettern - die mediale Aufmerksamkeit ist auf die Kanzlerin und ihren Schützling gerichtet.
Am Donnerstagmorgen hatte Thomas de Maizière das Vergnügen, von Merkel beschützt zu werden. Der Verteidigungsminister, der mit dem millionenschweren Desaster um das gescheiterte Drohnenprojekt "Euro Hawk" gerade schwere Zeiten erlebt, saß kaum auf seinem Platz, da war die Regierungschefin auch schon bei ihm. Während SPD-Verteidgungsexperte Rainer Arnold die Bundeswehrreform von de Maizière geißelte - "weniger Geld, weniger Personal, weniger Gerät" - plauderte Merkel mit ihrem Minister. Anschließend zog es die Medienkanzlerin zu Unionsfraktionschef Volker Kauder, danach zu Ex-Bildungsministerin Annette Schavan. All das soll signalisieren: Es gibt viel Wichtigeres als verschwendete Millionen. Drohnendebakel hin, Drohnendebakel her - die Regierung steht und ich stehe zu meinem Minister.
Dabei musste sich Merkel gar nicht ins Zeug legen. Wer gedacht hatte, die Opposition würde das klägliche Scheitern des "Euro-Hawk"-Projekts nutzen, einen Generalangriff auf de Maizière zu starten, sah sich getäuscht. Abgeordnete aller Parteien taten es dem Minister gleich und ihm damit einen Gefallen: Sie streiften das Thema nur beiläufig. De Maizière lauschte - da ist er fair und professionell - nach dem Gespräch mit Merkel allen Rednern aufmerksam zu. Nur am Ende der Ausführungen Arnolds verzichtete der Minister kurz auf seine staatstragende Miene. Als er Arnolds Prognose eines SPD-Sieges bei der Bundestagswahl hörte, grinste de Maizière: "Wir werden die Bundeswehrreform im September nicht komplett über den Haufen werfen", sagte der Sozialdemokrat.
Schonung für den Minister
Dieser Satz war auch ein Bekenntnis, das erklärt, warum de Maizière geschont wurde. Die große Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages sehen grundsätzlich dringenden Modernisierungsbedarf für die deutschen Streitkräfte und wissen, dass es die Motivation in der Truppe nicht hebt, wenn sich die Politik über Kasernenschließungen und anderes mehr zofft. "Wir wollen, dass sie Respekt, Achtung und Wertschätzung verdienen. Denn unsere Soldaten dienen wie keine andere Berufsgruppe unserem Land", sagte de Maizière. Noch deutlicher wurde die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Elke Hoff, die nicht wieder für den Bundestag kandidiert. In ihrer letzten Rede im Parlament dankte sie ausdrücklich allen Kollegen ihres Fachbereichs, deren "Herzensanliegen" stets sei, "das Beste für unsere Soldaten zu erreichen".
De Maizière widmete seine Regierungserklärung fast ausschließlich der Reform, die er von Karl-Theodor zu Guttenberg geerbt hat und die er "eine Operation am offenen Herzen" nennt. "Sie verlangt den Mitarbeitern viel ab. All das kostet Kraft und führt zu Unsicherheit." Der Christdeomkrat sparte nicht mit großen und dramatischen Worten. "Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr setzen wir einen verteidigungspolitischen Schlussstrich unter den Kalten Krieg", sagte er mit der für ihn typischen monotonen Stimme und verwies auf die Zeit vor den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. "Oft haben wir auf die starken Schultern der anderen verwiesen. (...) Wir gehören heute selbst zu den starken Schultern."
"Dann ziehen wir lieber die Reißleine"
Allmählich tastete sich de Maizière an den "Euro Hawk". Er erklärte, "gerade Erfahrungen der letzten Tage" zeigten, dass bei Beschaffungsvorhaben "von Beginn an alle denkbaren Probleme in den Blick" genommen werden müssten. Genau das passiere mit der Reform. "Wir planen nur, was wir uns leisten können. Wir beschaffen, was wir brauchen und nicht, was uns angeboten wird." Und dann sagte er einen Satz, mit dem nur das Drohnendebakel gemeint sein konnte: "Wenn Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen, dann ziehen wir lieber die Reißleine - auch in Zukunft. Lieber ein Schrecken mit Ende, als ein Schrecken ohne Ende."
Erst als Omid Nouripour ans Rednerpult trat, wurde klar, was sich de Maizière für ein Problem eingebrockt hat. Der Verteidigungsexperte der Grünen sagte unter Hinweis auf die unklaren Kosten für den Steuerzahler: "Das Ende des Schreckens ist noch überhaupt nicht absehbar." Nouripour verwies auf seit 2011 bekannte "immense Zweifel" an dem Projekt. Der Bundesrechnungshof hatte vergangenen Sommer geklagt, dass das Verteidigungsministerium Unterlagen über das Rüstungsprojekt nicht herausrücke wolle. Mehr als 600 Millionen Euro sind schon für den "Euro Hawk" ausgegeben worden. Die Bundeswehr wollte fünf Stück der Drohne kaufen für über 1,2 Milliarden Euro. Bekommen hat sie bislang ein einziges Test-Exemplar. "Ich frage mich, wofür gibt es eigentlich einen Rüstungsstaatssekretär, dass Sie zwei Jahre brauchen, die Reißleine zu ziehen", erklärte der Grünen-Politiker. "Sie haben ein Millionenloch gegraben, von dem Sie nicht wissen, wie tief es ist."