Es ist wie so oft in der Geschichte der europäischen Integration. Das Wohl und Wehe Europas hängt an Deutschland und Frankreich. Ziehen Paris und Berlin an einem Strang, geht's voran, liegen sie im Clinch, herrscht Stillstand. Derzeit liegen der französische Präsident Nicholas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel in Sachen Euro-Rettungsschirm im Clinch. Gestritten wird um die Frage, wie die Summe des Eurorettungsschirms aufgepumpt, gehebelt werden kann - und wer dafür welche Risiken trägt. Am Nachmittag hieß es zunächst, der alles entscheidende Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Sonntag könne möglicherweise ein weiteres Mal verschoben werden. Dann hieß es, der Gipfel finde statt, aber das Hebelthema werde ausgeklammert und möglicherweise kurze Zeit später auf noch einem Sondergipfel wieder aufgegriffen. Am späten Nachmittag sagte Merkel dann eine für Freitag anberaumte Regierungserklärung ab. Und am Abend ließ Unions-Fraktionschef Volker Kauder die Katze aus dem Sack: Am Mittwoch soll es einen weiteren Gipfel geben, #link;bild.de;sagte er Bild.de.#
Einer reicht nicht, denn die mit Spannung erwartete Rettung Griechenlands und des Euros gerät wegen des deutsch-französischen Zwists in Gefahr. Dabei gibt es eigentlich keine Alternative zu einer Einigung. Denn auf dem Spiel steht, wie immer, viel, nur diesmal eben tatsächlich. "Wir befinden uns in einem einschneidenden Augenblick, entscheidend für die Zukunft des Euro und die Zukunft Europas", hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Donnerstag schicksalsschwer getrommelt.
Die Situation ist für "Sarko", und für sein Gegenüber, die chère Angela, diesmal besonders vertrackt. Denn eigentlich müssen die beiden Griechenland, prekäre Banken und sieche Superschuldner mit einem Streich retten und absichern. Gleichwohl hat der jeweilige innenpolitische Druck die Spielräume Sarkozys und Merkels wohl nie so sehr eingeengt. Dem im eigenen Land unbeliebten Franzosen stehen im nächsten April Wahlen ins Haus. Merkel ist seit Monaten schon die Chefin einer schwer angeschlagenen schwarz-gelben Regierungskoalition.
Frankreichs Banken sitzen auf vielen griechischen Staatsanleihen
Aber worum geht's eigentlich bei dem Konflikt zwischen Berlin und Paris? Im Mittelpunkt steht die grundsätzliche Frage, wer bei der Rettung der Griechen, der besseren Absicherung der Banken und der Stärkung des Euro-Rettungsschirms zunächst die Risiken trägt - die einzelnen Staaten oder die Gemeinschaft der Eurozone und die Europäische Zentralbank (EZB). Frankreich hat dabei das Problem, dass einige französische Banken erhebliche Summen in griechische Staatsanleihen investiert haben. Deshalb wird es den französischen Staat teuer zu stehen kommen, diese Banken stabil zu halten. Je höher der Schuldenerlass für die Griechen ausfällt, umso mehr Geld verlieren die Banken und umso mehr Geld ist nötig, diese vor einer Pleite zu bewahren. Je mehr Schulden sie haben, umso höher muss auch die staatliche Hilfe ausfallen, um die Banken mit einer höheren Kernkapitalquote gegen künftige Pleiten zu wappnen. Genau aus diesem Grund gibt es zwischen Deutschen und Franzosen unterschiedliche Auffassungen, wie hoch der Schuldenschnitt für Griechenland genau ausfallen soll - und wer wie für die Sicherungsmechanismen aufkommt. Während deutsche Politiker einen Erlass von mehr als der Hälfte anpeilen, bevorzugt Frankreich einen viel geringeren Schnitt.
Paris fürchtet um seine Bonität
Auch bei dem Versuch, den Rettungsschirm möglichst weit aufzuspannen, also die Zocker mit möglichst monströsen Billionensummen abzuschrecken, gibt es Streit. Es geht hier vor allem um die Frage, auf welchem Weg der soeben erweiterte Rettungsfonds EFSF aufgepumpt werden kann. Bisher stehen effektiv 440 Milliarden Euro zur Verfügung. Davon haftet Deutschland mit 211 Milliarden Euro. Um größere Eurostaaten wie Spanien und Italien vor der Krise abzuschirmen, soll das Volumen ausgeweitet werden - auf schwindelerregende Billionenhöhe - ohne dass jedoch die Obergrenze von 440 Milliarden Euro erhöht wird. Paris fürchtet, dass seine eigene bisherige AAA-Kreditwürdigkeit herabgestuft werden könnte - und möchte die Risiken vor allem auf der europäischen Ebene verorten. Für Sarkozys Wiederwahl wäre eine Herabstufung der französischen Bonität verheerend. Genau darüber wird gestritten.
Überlegt wird, dass der EFSF über eine Art Teilkasko-Versicherung Anleihen von Schuldenstaaten bis zu einem gewissen Prozentsatz absichert und damit für Investoren attraktiv macht. Genannt wurde dafür eine Spanne von 20 Prozent. Der EFSF würde seine Mittel damit also verfünffachen, ohne dass die Garantiesumme steigt. Dass wäre die von Deutschland bevorzugte Variante. Frankreich dringt indes darauf, dass der EFSF eine Banklizenz erhält. Damit könnte der Fonds bei der EZB Staatsanleihen von Schuldenstaaten hinterlegen und weitere Kredite von der Notenbank erhalten - wie dies Privatbanken auch machen. Die Risiken lägen dann aber bei der EZB und letztlich beim Steuerzahler. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Donnerstag in Berlin, dass Deutschland einer solchen Idee nicht zustimmen werde. Eine Hebelung der EFSF-Mittel über eine Versicherung sei dagegen ein gangbarer Weg.
Der Bundestag will bei jedem Schritt mitreden
Der Streit rührt daher, dass Sarkozys Interessen denen Angela Merkels zuwiderlaufen. Merkel hat schon Probleme, im Land zu verkaufen, dass die deutschen Steuerzahler mit immer erschreckenderen Milliardensummen die vormals schlampig haushaltenden Griechen rauspauken sollen. Es wäre für die Kanzlerin fast unmöglich zu erklären, weshalb die Deutschen im Zweifelsfall dann auch noch via Rettungsschirm oder EZB für französische Banken geradestehen sollen. Zwar müssten die kollektiven europäischen Sicherungsmechanismen früher oder später in jedem Fall greifen. Aber das ändert nichts daran, dass die deutsche Kanzlerin sich erst dann in die Pflicht nehmen lassen möchte, wenn zuvor die einzelnen Staaten - und allen voran der französische - alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat.
Merkels Gipfelergebnis wird von Öffentlichkeit, Koalitionspartner und Opposition daran gemessen werden, wie sehr sie die deutschen Haftungszusagen absichert und in die Eurorettung einbettet. Hier setzt sie nicht nur die Opposition unter Druck, sondern auch die eigenen Koalitionsfraktionen im Parlament. Dort regt sich zunehmend Widerstand, Merkel einen Blankoscheck auszustellen. Die Fraktionen von Union und FDP, aber auch die der Opposition, wollen den Entwurf zur Hebelung des EFSF vorher einsehen. Zudem fordern sie, dass zumindest der Haushaltsausschuss des Bundestags zustimmt, bevor in Brüssel eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Zudem behalten sich die Fraktionen eine Befassung des Plenums vor. Die Bundesregierung respektiere das Zustimmungsrecht des Bundestages, betonte Schäuble. Für Freitagmorgen haben die Fraktion von Union, FDP und SPD eine Sondersitzung anberaumt. Es ist derzeit eng, sehr eng, für Angela Merkel - und für Nicholas Sarkozy. Vielleicht ist es sogar zu eng.