Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, wann wäre er gewesen? Gerhard Schröder dürfte ihn verpasst haben. Auch sieben Tage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, nach "Putins Krieg", wie ihn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte, vermag sich der Altkanzler nicht vom russischen Präsidenten zu distanzieren.
Also distanzieren sie sich von ihm. Enge Vertraute. Ehemalige Weggefährten. Nicht zuletzt seine Partei. Bundeskanzler, ade.
- SPD-Co-Chef Lars Klingbeil, der seine politische Karriere als Mitarbeiter in Schröders Wahlkreisbüro begann, forderte "ein klares Verhalten" des Altkanzlers. Weitere Spitzengenoss:innen – darunter Ministerpräsident Stephan Weil (hier) und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (hier) – schlossen sich der Kritik an.
- Nach mehr als 20 Jahren kehrt offenbar sein langjähriger Büroleiter und Redenschreiber Albrecht Funk Schröder den Rücken, berichtete zunächst das Nachrichtenportal "The Pioneer". Auch drei weitere Mitarbeiter sollen ihren Posten aufgeben. Mit dem Abschied der vier Mitarbeiter wäre das Büro des Altkanzlers verwaist.
- Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund hat ihm die Ehrenmitgliedschaft entzogen, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) prüft einen Entzug seiner Ehrenmitgliedschaft.
- Schröders Podcast "Die Agenda" wird angesichts der aktuellen Lage auf Eis gelegt, wie sein ehemaliger Regierungssprecher Béla Anda der Deutschen Presse-Agentur bestätigte, der mit dem der Altkanzler die Beiträge regelmäßig aufgenommen hatte.
Es wird zunehmend einsam um Schröder, der in den Augen seiner Kritiker auf der falschen Seite der Geschichte steht. Was folgt daraus?
"Das erwarte ich unmissverständlich"
Der Altkanzler gilt als langjähriger Freund Putins. Schröder ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft, hat auch Führungspositionen bei den Pipeline-Projekten Nord Stream und Nord Stream 2.
Am vergangenen Donnerstag hatte er zwar erklärt: "Der Krieg und das damit verbundene Leid für die Menschen in der Ukraine muss schnellstmöglich beendet werden." Dies sei "die Verantwortung der russischen Regierung." Von persönlichen Konsequenzen war aber nicht die Rede, ebenso wenig von Putin, den er einst als "lupenreinen Demokraten" und "privaten Freund" bezeichnete. Wenige Wochen zuvor hatte Schröder ausgerechnet der Ukraine ein "Säbelrasseln" vorgeworfen.
Das wollte (und konnte) SPD-Co-Chef Klingbeil nicht stehen lassen. "Mit einem Aggressor, mit einem Kriegstreiber wie Putin macht man keine Geschäfte", schrieb er am Samstagmittag auf Facebook. "Als Bundeskanzler a. D. handelt man nie komplett privat. Schon gar nicht in einer Situation wie der jetzigen." Das Ende ihrer Geschäftsbeziehungen sei daher "überfällig", so Klingbeil. "Das erwarte ich unmissverständlich."
Doch seine Erwartungen wurden bisher nicht erfüllt.
Dabei hat Schröder am Dienstagabend durchaus persönliche Konsequenzen gezogen, wenngleich die Motivation dahinter Fragen aufwirft. Er legte sein Mandat als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Herrenknecht nieder, wie der deutsche Tunnelvortriebsspezialist mitteilte. Dessen Vorstandschef hatte sich einen Tag zuvor deutlich von Russlands Angriffskrieg und Präsident Putin distanziert.
Sofortmaßnahmen gegen Gerhard Schröder?
Das Agieren des Altkanzlers sorgte zwar schon vor der russischen Invasion für Kritik und Kopfschütteln bei den Sozialdemokraten, erfährt nach dem Einmarsch aber eine neue Dringlichkeit.
Die Thüringer SPD forderte Schröder in einem offenen Brief dazu auf, "unverzüglich alle Ämter in russischen Staatskonzernen niederzulegen". Das verlangt auch der SPD-Kreisverband Heidelberg, der nun sogar ein Ausschlussverfahren auf den Weg gebracht hat – er habe den entsprechenden Antrag abgeschickt, schrieb der Vorsitzende des Ortsverbands Heidelberg Tim Tugend auf Twitter. Ein Parteiordnungsvefahren würde sich aber vermutlich über Wochen oder Monate hinziehen.
Allerdings könnte dem Altkanzler schon am Donnerstag Ungemach drohen.
Am Vormittag kommen der SPD-Parteivorstand und -Länderrat zu einer Online-Sitzung zusammen, wie eine Parteisprecherin dem stern bestätigte. Zunächst hatte das ARD-Hauptstadtstudio berichtet. Dort könnten sogenannte Sofortmaßnahmen gegen Schröder beschlossen werden. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios werde in Parteivorstandskreisen zumindest über diese Möglichkeit gesprochen.
Zur "Verhängung von Sofortmaßnahmen" heißt es im SPD-Organisationsstatut:
Ob auch die Geschäftsbeziehungen von Schröder zu Russland thematisiert werden, bleibt abzuwarten. Auf der Tagesordnung stünden etwa "aktuelle Entwicklungen rund um den Angriffskrieg", so eine Parteisprecherin zum stern. Auf die Frage, wie mögliche Sofortmaßnahmen konkret aussehen könnten, ging die Sprecherin nicht näher ein.
Co-Parteichefin Saskia Esken wollte zuletzt nicht näher ins Detail gehen. Am Mittwoch sagte sie bei RTL und ntv, sie habe mit Klingbeil den Altkanzler dazu aufgefordert, seine Mandate für russische Energiekonzerne niederzulegen. Für die Parteispitze ließ sie weitere Schritte gegen ihn offen. "Wir haben klar gesagt, was wir von ihm erwarten, und wir werden jetzt seine Stellungnahme abwarten", sagte sie lediglich.
Unterdessen wird auch die Kritik in der Opposition schärfer. So forderte etwa CDU-Generalsekretär Mario Czaja, Schröder solle keine Mittel aus dem Bundeshaushalt für seine Amtsausstattung mehr erhalten. Die Kosten für das Ex-Kanzlerbüro beliefen sich im vergangenen Jahr auf 407.000 Euro, wie aus einer Antwort des Kanzleramts auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht.
Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Sebastian Brehm verlangte die Auflösung von Schröders Büro. "Herr Schröder hat mit seinem bisherigen Festhalten an den lukrativen Posten von Putins Gnaden jeden moralischen Kredit verspielt. Es ist jetzt an der Zeit, dass auch die SPD Konsequenzen zieht", erklärte er. "Es ist angesichts der Haltung Schröders im Krieg gegen die Ukraine jetzt der richtige Zeitpunkt, dessen Altkanzler-Büro aufzulösen."
Ähnlich äußerte sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff. Grundsätzlich solle man sich zwar davor hüten, ehemaligen Kanzlerinnen und Kanzlern aufgrund unliebsamer Entscheidungen staatliche Privilegien vorzuenthalten, sagte er dem "Handelsblatt". "In diesem besonderen Fall hat Gerhard Schröder jedoch aus meiner Sicht inzwischen sein Recht auf Amtsausstattung verwirkt, indem er sich nicht von Kriegstreiber und Völkerrechtsbrecher Putin distanziert."
Sollte Schröder noch eine Kehrtwende im Umgang mit dem Kreml vollziehen, kommt sie nach Auffassung der Sozialdemokrat:innen mindestens zu spät. Sein Zögern wird ein zeitloser Makel bleiben.