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Grüne Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover Die grüne Angst vor der CDU

Was sind die Grünen? Links? Bürgerlich? Wertkonservativ? Am liebsten wären sie alles auf einmal. Und am liebsten würden sie - psst! - nicht über Schwarz-Grün diskutieren. Das ist, auch: kindisch.
Ein Kommentar von Jens König

Ein Gespenst geht um bei den Grünen - das Gespenst einer schwarz-grünen Regierung. 48 Stunden Parteitag in Hannover haben nicht gereicht, es zu vertreiben. Dabei hat sich die Partei sehr große Mühe gegeben. CDU, CSU, Merkel, Seehofer, Altmaier, Kristina Schröder - wann immer von ihnen die Rede war, ging ein "buh" durch die grünen Reihen, als könne das Gespenst so erschreckt und verjagt bewegt werden. Sollte ja keiner auf die Idee kommen, die Grünen könnten nach der Bundestagswahl 2013 - reicht es nicht für Rot-Grün - mit der CDU... Nein. Nie und nimmer! Grünes Ehrenwort!

Parteien sind sensible Wesen. Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie ein einziges Ereignis ihr Selbstbild ins Wanken bringen kann. Bei den Grünen war dies die Urwahl mit der überraschenden Aufstellung der sanften Kirchenfrau Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin für die Wahl 2013. Hatten die Grünen bis dahin geglaubt, sie seien eine linke und bürgerliche Partei, die bedingungslos für eine rot-grüne Koalition steht, wurde Göring-Eckardt quasi über Nacht zur Projektionsfläche für schwarz-grüne Träume. Plötzlich erschienen die Grünen doch wieder als bürgerliche und wertkonservative Partei, die mit einem Auge auf die Union schielt.

Such, Hasso, such - die Mitte!

Die Aufgabe des Parteitags war es daher, das Selbstbild der Grünen wieder geradezu rücken, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, sie würden krampfhaft einen Schwenk nach links vollziehen. Klingt schwierig, fast gaga? Richtig, das war es auch. Das konnte man an der politischen Verortung der Partei durch ihre Spitzenleute ablesen. Parteichef Cem Özdemir bezeichnete die Grünen in einem Atemzug als "links" und "wertkonservativ" ("Oder nennt es linke Mitte."). Katrin Göring-Eckardt gab die grüne Mutter Theresa, schärfte das sozialpolitische Profil der Partei und plädierte gleichzeitig für deren gesellschaftspolitische Öffnung. Fraktionschef Jürgen Trittin nannte die Grünen "links und auch liberal", deklinierte den "grünen Wandel" durch mit höherem Spitzensteuersatz, Vermögensabgabe, Garantierente und Klimaschutzgesetz: Die Mehrheit der Gesellschaft sei dafür. Und dann schob Trittin den Schlüsselsatz des Parteitags hinterher: "Das ist die Mitte in Deutschland, es ist die grüne Mitte, es ist eine linke Mitte."

Das klingt beliebig, offen nach allen Seiten? Klar. Und doch spiegelt es nur die Schwierigkeit jeder politischen Verortung wider. Die Mitte, ob nun die linke, grüne oder eine ganz andere, ist eben, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel bei seiner Wahl 2009 sagte, kein Ort, an den man sich anzupassen habe. Sondern in der "Mitte" gehe es um die "Deutungshoheit der Gesellschaft". Sie ist umkämpft, heute hier, morgen dort. Und da hat Trittin schon recht: "Wir haben die Mitte der Gesellschaft verändert, wir haben sie nach Grün verschoben." Nach diesem grünen Selbstverständnis ist es eben kein Widerspruch, den Hartz IV-Regelsatz auf 420 Euro anheben zu wollen und sich gleichzeitig als "bürgerlich" zu bezeichnen. Es ist kein Widerspruch, Claudia Roth bei der Urwahl mit 26 Prozent abzustrafen und sie eine Woche später mit über 88 Prozent als alte und neue Parteichefin zu feiern. Nur manchmal glaubt die Partei eben selbst nicht daran, dass das alles zusammen geht.

Die CDU, ein Gespenst

Was das für die Koalitionsoptionen der linken, liberalen, bürgerlichen Grünen bedeutet? Schwierig und doch ganz einfach. Erste Wahl ist Rot-Grün. Zweite Wahl Schwarz-Grün - wenn sich beide Parteien aufeinander zu bewegen. Darüber offen zu diskutieren, schadet der Partei - das glaubt sie jedenfalls selbst. Renate Künast ist bei der Wahl in Berlin auch deswegen durchgefallen, weil sie mit einem schwarz-grünen Bündnis geliebäugelt hat. Deswegen geht ein Gespenst um bei den Grünen. Es macht der Partei Angst. Buh!

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