Ampel-Koalition auf dem Prüfstand Scholz bei Generaldebatte im Bundestag: "Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht in der Generaldebatte im Plenum im Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht in der Generaldebatte im Plenum im Bundestag
© Kay Nietfeld / DPA
Sehen Sie im Video: Kanzler Scholz sichert der Ukraine im Bundestag weitere Hilfe zu.




O-Ton Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: "Ich habe noch die Worte im Ohr, die Präsidentin Selenskyj letzte Woche hier gesprochen hat. Es ist schwer für uns, ohne die Hilfe der Welt zu bestehen. Deshalb sage ich heute ganz klar: Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen! Und wir sehen, die Sanktionen wirken. Russlands Wirtschaft wankt, die Börse ist weitgehend geschlossen, die Währung ist abgestürzt, es fehlen Devisen, ausländische Unternehmen verlassen zu Hunderten das Land. Doch das ist erst der Anfang. Viele der härtesten Folgen werden sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Und wir schärfen die Sanktionen ständig nach. Natürlich höre ich die Stimmen derjenigen, die eine Flugverbotszone oder Nato-Friedenstruppen in der Ukraine fordern. So schwer es fällt, wir werden dem nicht nachgeben. In fast 80 Jahren Nachkriegsgeschichte haben wir das Unvorstellbare erfolgreich vermieden: eine direkte militärische Konfrontation zwischen unserem westlichen Verteidigungsbündnis, der Nato und Russland. Dabei muss es bleiben. Die Nato wird nicht Kriegspartei, da sind wir uns mit unseren europäischen Verbündeten und den Vereinigten Staaten einig. Meine Damen und Herren, über Jahrzehnte hinweg ist unsere Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland gewachsen. Ja, wir werden diese Abhängigkeit beenden, so schnell wie das nur irgend geht. Das aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße, unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen, Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr, ganze Industriezweige stünden auf der Kippe. Zur Wahrheit gehört auch, schon die jetzt beschlossenen Sanktionen treffen viele Bürgerinnen und Bürger hart, und zwar bei weitem nicht nur an der Zapfsäule. Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung, das ist unser Prinzip."
Das erste Mal seit dem Regierungswechsel haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Ampel-Koalition in der Generaldebatte rechtfertigen müssen. Der Schlagabtausch – vor allem die Eröffnungsrede von CDU-Chef Friedrich Merz – hat für reichlich Tumult im Bundestag gesorgt.

In der ersten Generaldebatte des Bundestags seit dem Regierungswechsel ist die Stimmung im Bundestag hochgekocht. Insbesondere die Eröffnungsrede von Unions-Fraktionschef Friedrich Merz heizte die Stimmung auf den Parlamentsrängen auf. Zentrales Thema in der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz war wie zu erwarten der Krieg in der Ukraine. 

Die auf vier Stunden angesetzte Debatte über den Etat des Kanzleramts hat traditionell den Charakter einer Generalaussprache über die Politik der Regierung. Der Etat des Kanzleramtes sieht in diesem Jahr Ausgaben von 3,7 Milliarden Euro vor, das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 14,3 Prozent. Ebenfalls diskutiert werden am Mittwoch die Einzeletats für das Auswärtige Amt (13.00 Uhr), das Verteidigungsministerium (14.45 Uhr) und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (16.30 Uhr). 

Aufgeheizte Stimmung nach Merz' Eröffnungsrede

Als Chef der größten Oppositionsfraktion eröffnete der CDU-Politiker Friedrich Merz die Debatte. Dessen Eröffnungsrede löste teils heftige Reaktionen unter den Bundestagsabgeordneten aus. Nach lauten Zwischenrufen seitens der Koalitionspartner – insbesondere der FDP-Abgeordneten – heizte sich die Stimmung im Parlament zusehends auf. 

Wenn Scholz tatsächlich eine "Zeitenwende" sähe, müsse die Bundesregierung eigentlich einen neuen Koalitionsvertrag aufsetzen, so Merz. Der 66-Jährige hält der Regierung vor, nicht ausreichend auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu reagieren. Die Union teile Scholz' Einschätzung, dass die Welt vor einer "Zeitendwende" stünde. Politisch sei davon seitens der Ampel-Koalition nicht viel zu spüren.

Die Etatplanung gehe von Grundannahmen aus, "von denen wir schon heute wissen, dass sie einfach nicht stimmen", beklagte Merz. So seien das Wirtschaftswachstum und die Steuereinnahmen zu hoch angesetzt, die Inflation und die Staatsausgaben dagegen zu niedrig. "Das wissen wir alle, das wissen auch Sie", rief der CDU-Vorsitzende der Bundesregierung zu. Dennoch habe die Koalition einen Haushalt vorgelegt, "so als ob nichts gewesen wäre". Merz schätzte, dass der von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits angekündigte Ergänzungshaushalt, der die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs abbilden soll, ein Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro haben könnte. Lindner hat bisher unter Verweis auf die schwer einzuschätzende Lage keine Größenordnung genannt.

Die bisher "einzige wirklich ernsthafte Abweichung" von der Linie der Koalition vor Beginn des Ukraine-Kriegs sei das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro, sagte Merz weiter. Damit werde allerdings "die Schuldenbremse ganz außer Kraft gesetzt", kritisierte er. Die notwendige Zustimmung der Union zu dem Sondervermögen knüpfte er an Bedingungen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg ging noch einen Schritt weiter und sprach der Ampel-Regierung in zentralen Politikbereichen die Handlungsfähigkeit ab. So habe er in der Debatte über die Impfpflicht kein Handeln der Regierung feststellen können, sagte der CDU-Politiker. Auch in der Diskussion über das Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie habe die Ampel-Koalition ein Maximum an Meinungsdifferenz vorgeführt, das Problem an die Länder delegiert und gezeigt, dass die Regierung nicht handlungsfähig sei. Zudem gebe es auch bei den geplanten Entlastungen der Bürger von den hohen Benzin- und Energiepreisen noch keine Entscheidung, bemängelte Middelberg.

Scholz zu russischen Öl- und Gaslieferungen: "Abhängigkeit so schnell beenden, wie es geht"

Nach Merz ergriff Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Wort. Er betonte die Unterstützung für die Ukraine und forderte erneut ein sofortiges Ende des Kriegs. "Die Waffen müssen schweigen – und zwar sofort", sagte Scholz. Er habe sich immer wieder mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über die nächsten Schritte ausgetauscht, und auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin habe er in den vergangenen Tagen oft lange und intensiv gesprochen. "Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine", sagte Scholz. "Und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine. Aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft."

Über Jahrzehnte hinweg habe sich die Bundesrepublik abhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen gemacht, sagte Scholz. "Wir werden diese Abhängigkeit so schnell beenden, wie es geht", erklärte der Bundeskanzler. Das ginge nicht von heute auf morgen. Denn das würde bedeuten, "unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen", warnte er. "Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Ganze Industriezweige stünden auf der Kippe."

"Ukraine-Flüchtlinge sind bei uns willkommen"

Zugleich dankte Scholz den Bürgern für ihre "Offenherzigkeit" gegenüber Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und dankte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für ihr entschiedenes Handeln. "Klar ist nur: Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen", sagte der Bundeskanzler. "Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden. Wir wissen nur: Es werden viele sein", so der SPD-Politiker. Er betonte: Deutschland werde helfen, die Bundesregierung sei dafür auch zu zusätzlichen Maßnahmen bereit.

Scholz sprach von kaum auszuhaltenden Bildern zerstörter Wohnungen, zerbombter Krankenhäuser und belagerter Städte in der Ukraine – und von Frauen und Kindern, die vor den Bomben, Panzern und Raketen des russischen Präsidenten Wladimir Putin fliehen. Scholz dankte für "eine überwältigende Welle des Mitgefühls und der Solidarität". Zehntausende hätten nicht nur ihre Herzen geöffnet, sondern auch Häuser und Wohnungen. Vor allem Polen, Tschechien, die Slowakei, Moldau, Rumänien und Ungarn leisteten hierbei Außerordentliches.

Was den Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) für einen Tankrabatt angeht, ging Scholz auf Distanz. "Ein Aushebeln von Marktmechanismen oder Dauersubventionen gerade auf fossile Energie wird es nicht geben", sagte der Bundeskanzler. Dies wäre fiskalisch nicht durchzuhalten und "ökologisch ein völlig falscher Anreiz". Ausdrücklich bekräftigte Scholz, dass es wegen der hohen Energiepreise weitere Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger geben werde. Dazu werde die Regierung das bereits beschlossene Paket "noch einmal deutlich aufstocken" – durch eine Verdopplung des Heizkostenzuschusses aber auch durch weitere Maßnahmen.

AFP · DPA
yks