Auf dem Weg zu einer großen Koalition sind Union und SPD am Montagabend auf die Zielgerade eingebogen und haben einen großen Teil der bisherigen Hindernisse aus dem Weg geräumt. Beide Seiten streben nach dpa-Informationen eine Einigung über eine große Koalition bereits an diesen Freitag und nicht erst am Samstag an. Strittig sind weiterhin die Themen Steuern und Ausgaben, Pflege sowie Kündigungsschutz. Über eine umfassende Strukturreform im Gesundheitswesen wollen Union und SPD erst 2006 beraten. Das teilte der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU), am Montagabend am Rande der Koalitionsverhandlungen in Berlin mit. Dagegen ist nach der fünften Koalitionsrunde die Einigung bei der jahrelang umstrittenen Föderalismusreform in trockenen Tüchern.
Entflechtung der Zuständigkeiten
Nach der nur knapp zweistündigen Verhandlungsrunde in großer Besetzung gaben sich die Generalsekretäre Volker Kauder (CDU), Markus Söder (CSU) und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD- Fraktion, Olaf Scholz, zuversichtlich, dass die Grundlagen für das Bündnis bis Ende der Woche erarbeitet sein werden. Der amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sprach von einer "ganz wichtigen und entscheidenden Woche."
Nach der Föderalismus-Einigung werden die Zuständigkeiten von Bund und Ländern deutlich entflochten. Angestrebt wird, dass der Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze des Bundes von bisher 60 Prozent auf 35 bis 40 Prozent gesenkt wird.
Bindende Vereinbarungen
Bindende Vereinbarungen seien ferner für die Bereiche Inneres, Verteidigung, Landwirtschaft und Verkehr getroffen worden. Die geplante große Koalition will auch an der Grundstruktur des Bafög festhalten. Auch im Verkehrsbereich gab es erste definitive Projekte. So soll es "mindestens eine Transrapidstrecke" in Deutschland geben. Söder machte einen Vorrang für die Münchner Strecke Flughafen-City geltend.
Beim außenpolitischen Streitthema Türkei ist nach Söders Angaben klargestellt worden, dass die seit 3. Oktober laufenden Verhandlungen mit Ankara mit einem "offenen Ausgang" geführt würden und dass es keinen "Automatismus" für eine Aufnahme der Türkei in die EU gebe.
Nach wie vor unklar bleiben die Behandlung der von der SPD gewünschten "Reichensteuer" und das Ausmaß der von der Union favorisierten Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Die SPD wartete bei der Sitzung ihrer Spitzengremien mit einer neuen Variante auf: Der scheidende SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schlug nach dpa-Informationen im Parteirat vor, den erhöhten Steuersatz schon ab 130.000 Euro für Ledige und ab 260.000 Euro für Verheiratete wirksam werden zu lassen.

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Gewaltige Lücken
Bislang hatte die SPD vorgesehen, den dreiprozentigen Sonderzuschlag zur Einkommensteuer für Spitzenverdiener mit einem Jahreseinkommen ab 250.000 Euro und 500.000 Euro (Ledige/Verheiratete) zu erheben. Der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) wies Forderungen aus den eigenen Reihen zurück, die "Reichensteuer" zur Bedingung für eine höhere Mehrwertsteuer zu machen. "Es gibt in den ganzen Koalitionsverhandlungen kein Junktim - weder von der SPD noch von der Union." Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte, es müssten "noch gewaltige Lücken" geschlossen werden.
CDU-Vize Christian Wulff sagte dem Deutschlandradio Kultur, mit einer "Reichensteuer" habe er "überhaupt kein Problem." Zuerst müssten aber Ausgaben gesenkt und Strukturreformen auf den Weg gebracht werden. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) meinte dagegen: "Von einer Reichensteuer halte ich überhaupt nichts." CSU-Chef Edmund Stoiber sagte: "Steuererhöhungen können immer nur das letzte Mittel sein." Koch signalisierte Zustimmung für den Fall, dass eine Mehrwertsteuererhöhung mit einer stärkeren Belastung höherer Einkommen kombiniert wird.
Angleichung beim ALG II?
Unklar ist die Behandlung beim Arbeitslosengeld II (ALG): Diese Unterstützung könnte nach Überlegungen in der Union möglicherweise auf einen Durchschnittswert in West (345 Euro) und Ost (331 Euro) angeglichen werden. Der designierte Verkehrsminister und Aufbau-Ost- Beauftragte der künftigen Bundesregierung, Wolfgang Tiefensee (SPD), bekräftigte aber, dass die geplante Erhöhung des ALG II in den neuen Ländern um 14 Euro erfolgen soll.