Wilhelmshaven Erstes Flüssiggasterminal eröffnet: So geht es in Deutschland mit LNG weiter

Robert Habeck (l.) und Olaf Scholz bei der Einweihung des ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmshaven
Flüssiggas statt russisches Gas: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Einweihung des ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmshaven
© Lars-Josef Klemmer / Getty Images
Hoffnungsträger LNG: Statt aus Russland soll Erdgas künftig per Schiff über die Nord- und Ostseeküste importiert werden. In Wilhelmshaven ist jetzt die erste Anlage eröffnet worden – und wie weit ist man andernorts?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und weitere Regierungsmitglieder haben am Samstag im niedersächsischen Wilhelmshaven das erste deutsche LNG-Terminal offiziell eröffnet. Verflüssigtes Erdgas soll in den kommenden Jahren die Energieversorgung zusätzlich absichern. Damit verringert sich die Abhängigkeit von Russland – aber es gibt auch ein paar wunde Punkte.

Wie sehen die Zeitpläne für die LNG-Terminals aus?

Wilhelmshaven ist fertig. Herzstück des schwimmenden Terminals vor der Nordseeküste ist das fast 300 Meter lange Spezialschiff "Höegh Esperanza". Es soll künftig das von Tankschiffen angelieferte verflüssigte Erdgas in den gasförmigen Zustand umwandeln und in das deutsche Gasnetz einspeisen. Das Schiff ist bereits mit Gas beladen und soll in der kommenden Woche seinen Betrieb aufnehmen.

Ab Mitte Januar werden die LNG-Tanker eintreffen, heißt es aus der Landesregierung. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) will noch ein zweites Terminal in der Stadt am Jadebusen ansiedeln. Wilhelmshaven II soll Ende 2023 anlaufen, vorerst ebenfalls als Schwimmterminal.

In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine damit begonnen, mit dem US-Konzern Dow eine Anlage in der Nähe des Chemieparks vorzubereiten. Ende 2023 soll hier eine schwimmende Plattform in Betrieb gehen, Bauschritte wie Deichüberfahrten sind genehmigt. Ein fester Umschlagplatz soll bis 2026 fertig sein.

Noch vor dem Jahreswechsel soll in Brunsbüttel ein Schwimmterminal seine Arbeit aufnehmen. Der erste LNG-Tanker soll Ende Dezember dort festmachen. Parallel plant dort die German LNG Terminal GmbH eine feste Anlage, die voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen könnte.

Im vorpommerschen Lubmin, wo auch die deutsch-russischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 ankommen, will das Unternehmen Deutsche Regas mit einem schwimmenden Terminal LNG importieren. Starttermin sollte eigentlich Anfang Dezember sein, doch Verzögerungen im Genehmigungsverfahren verhinderten das. Regas hofft aber, noch in diesem Monat den Betrieb aufnehmen zu können. Ein zweites Terminal soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 an den Start gehen.

Wo könnte es noch Hindernisse geben?

Wegen des Zeitdrucks in der Energiekrise wurden Planungsverfahren beschleunigt, die Landesregierungen legten allerdings Wert auf eine Veröffentlichung von Projektunterlagen. Kritiker konnten bzw. können Einwendungen gegen die Vorhaben einreichen. Gegen Wilhelmshaven I kündigte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) noch am Einweihungstag rechtliche Schritte an. Für die "schnelle und medienwirksame Eröffnung des ersten deutschen LNG-Terminals" sei eine bisher "einzigartige Einschränkung von Beteiligungs- und Umweltrechten in Kauf genommen" worden, monieren die Umweltschützer.

Abgesehen von Anliegern der Häfen und Pipelines hat sich vor allem unter Natur- und Meeresschützern Widerstand formiert. So befürchten Vertreter mehrerer Umweltorganisationen durch die neuen Anlagen im Wasser mehr Stress für marine Ökosysteme. In Rostock zeigte eine Studie Probleme im Zusammenhang mit gleichzeitigen Rohöllieferungen auf.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Woher sollen die ersten LNG-Lieferungen kommen?

Bisher erhalten Deutschland und andere europäische Länder das über die Niederlande, Belgien oder Frankreich aufgenommene LNG vor allem aus den USA. Zu den größten Exporteuren zählt auch Katar, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemühte sich auf einer Reise im Frühjahr um Lieferbeziehungen. Katar will dem Vernehmen nach Langfristverträge und verkauft bereits viel Gas nach Asien. Weitere wichtige LNG-Ausfuhrländer sind Australien, Malaysia oder Nigeria.

Mit konkreten Angaben zur Herkunft der Lieferungen halten sich manche Betreiber noch zurück. Brunsbüttel soll zum Beispiel Gas aus Abu Dhabi erhalten. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, betonte: "Wir unterstützen den Infrastrukturausbau zum Ersatz russischer Gasimporte, um eine stärkere Diversifizierung unserer Gasquellen voranzutreiben." Netzpläne wurden inzwischen überarbeitet.

Was ist mit der Anbindung der Pipelines?

Wilhelmshaven I ist über eine 26 Kilometer lange Pipeline an das überregionale Gasnetz angebunden. Sie führt bis zum Anschlusspunkt Etzel. Die Leitung soll anfangs 10 Milliarden, später bis zu 28 Milliarden Kubikmeter pro Jahr transportieren und für Wasserstoff genutzt werden können.

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In Stade soll das Gas direkt ins Netz des niederländischen Betreibers Gasunie eingespeist werden. Dafür muss die entsprechende Anbindung ausgebaut werden. Von Brunsbüttel aus hat Gasunie bereits eine drei Kilometer lange Leitung fertiggestellt, mit der das Terminal an das europäische Fernleitungsnetz angeschlossen wird. Um die Kapazität der Anlage voll nutzen zu können, baut das Unternehmen an einer 55 Kilometer langen Energietransportleitung nach Hetlingen in Schleswig-Holstein. Sie soll im Dezember 2023 in Betrieb gehen.

Welche Mengen wird das zusätzliche Gas zu welchem Preis ersetzen?

Über die beiden Wilhelmshavener Schwimmanlagen sollen zehn Milliarden Kubikmeter wiederverdampftes Gas pro Jahr umgeschlagen werden können. Auch für die "Floating Storage and Regasification Unit" (FSRU) in Stade sind fünf Milliarden Kubikmeter vorgesehen. Die Planer des festen Terminals dort gingen bislang von etwa 13 Milliarden Kubikmetern aus – was für bis zu 15 Prozent des deutschen Gasbedarfs reichen könne.

Bezogen auf die bislang aus Russland bezogenen Mengen schätzte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), dass es gelingen könnte, diese später einmal ganz über in Niedersachsen ankommendes LNG zu ersetzen. Vor Beginn des Ukraine-Krieges importierte Deutschland mehr als 50 Prozent seines Erdgasbedarfs aus der Russischen Föderation.

Über die Brunsbütteler FSRU sollen 3,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ins Netz gelangen, für die feste Anlage nach früheren Angaben rund acht Milliarden Kubikmeter. In Lubmin plant man für beide Terminals jeweils etwa mit fünf Milliarden Kubikmetern jährlich.

Zu welchen Konditionen das LNG auf den Energiemarkt kommt, ist noch relativ unsicher. Die Weltmarktpreise schwanken, und die in laufenden Verträgen noch gebundenen Mengen können das Angebot knapp halten.

Wie sieht es mit der Klima- und Umweltbilanz von LNG aus?

Auch beim Verbrennen von Erdgas wird viel CO2 frei – Klimaschützer gehen mit dem Ausbau der LNG-Kapazitäten deshalb hart ins Gericht. Die hauptsächlich aus Methan bestehenden Gemische werden für den Transport lediglich zusammengepresst und ultratiefgekühlt. Hinzu kommt, dass insbesondere die USA große Mengen mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren fördern. Das Gas wird dabei unter Hochdruck aus Gesteinsporen gepresst, im Fall älterer Technik kommt ein Chemikalien-Cocktail zum Einsatz.

Umweltschützer sorgen sich zudem um die Lebensräume von Meerestieren und -pflanzen. Viele glauben, dass die Gründlichkeit ökologischer Prüfungen unter dem beschleunigten Durchpeitschen der Projekte leiden könnte. Der rot-grüne Koalitionsvertrag in Niedersachsen sicherte jüngst zu: "Mit einem gewässerökologischen Monitoring werden wir die Einhaltung der Umwelt- und Naturschutzstandards sicherstellen."

Warum dann überhaupt verflüssigtes Erdgas?

Niedersachsens Energieminister Christian Meyer (Grüne) betont, die stärkere Verwendung von LNG dürfe nur eine Übergangslösung sein, bis es genug Strom und Wärme aus erneuerbaren Quellen gebe: "Wir müssen die fossilen Energieträger so bald als möglich ersetzen, da uns die Klimakrise keine Zeit mehr lässt." Die fest installierten, späteren LNG-Terminals sollen sich auch für grünen Wasserstoff nutzen lassen – eine dritte Schwimm-Anlage für Wilhelmshaven sei daher unnötig.

DPA
mad / Jan Petermann, Sönke Möhl, Christopher Hirsch