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75. Jahrestag Auschwitz-Befreiung Der Besuch in einem KZ hat mich zutiefst bewegt. Er sollte für alle Schüler Pflicht sein

Besucher stehen am frühen Morgen am Tor zum früheren Konzentrationslager Auschwitz
Besucher stehen am frühen Morgen am Tor zum früheren Konzentrationslager Auschwitz
© Kay Nietfeld / DPA
Heute gedenken die Menschen des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz. Gleichzeitig nimmt der Antisemitismus zu. Deshalb sollte jeder Schüler mindestens ein Mal eine KZ-Gedenkstätte besucht haben, meint unser Autor.

Mehr als jeder Fünfte in Deutschland findet, der Holocaust spiele in der deutschen Erinnerungskultur eine zu große Rolle. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche-Presse-Agentur. 22 Prozent stimmten der Aussage zu, das Holocaust-Gedenken nehme im Vergleich zu anderen Themen zu viel Raum ein. Diese 22 Prozent – das sind 22 Prozent zu viel.

Die Welt erinnert heute an den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations– und Vernichtungslagers Auschwitz. Mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen Juden, wurden dort in Gaskammern getötet, erschossen oder durch Zwangsarbeit und Hunger in den Tod getrieben. Heute sagen Millionen von Menschen: "Nie wieder!" Überlebende dieses Horrors kommen heute zurück nach Auschwitz, um zu gedenken und zu erinnern. Und es ist traurig, aber sehr wahrscheinlich, dass beim 100. Jahrestag kein Zeitzeuge mehr persönlich von den Gräueltaten erzählen kann.

Die Konfrontation mit den NS–Verbrechen hinterlässt einen tieferen Eindruck

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass vor allem die junge Generation mit dem Holocaust konfrontiert wird. Auch wenn Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht mit dem Nationalsozialismus beschäftigen und über den Holocaust in Schulbüchern lesen können, so macht ein Besuch in einer Gedenkstätte viel nachdenklicher, ist eindrücklicher und auch bewegender. Das weiß ich aus Erfahrung.

In der Mittelstufe am Gymnasium fuhr ich mit meinem Jahrgang – alles Teenager im Alter von 14 oder 15 Jahren – zu meinem ersten Besuch in das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme nahe Hamburg, vielleicht eine gute Autostunde von meinem Heimatort entfernt. Der Besuch erfolgte im Rahmen einer Projektwoche zum Thema Nationalsozialismus. Unsere Klassen wurden über das Gelände und durch die Ausstellung geführt. Die Geschichten, die Details und die Zahlen waren bedrückend. Mindestens 42.900 Menschen starben in Neuengamme. Noch mehr schockierte mich, dass das alles wenige Kilometer weit weg passierte, quasi um die Ecke.

Es braucht Erinnerung, Aufklärung und Auseinandersetzung!

Doch der Moment, der meine Sicht auf das Gedenken an den Holocaust nachhaltig änderte, war, als ich im Rahmen zweier Jugendaustausche Israel besuchte. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem war Pflichtprogramm. Mit 15 Jahren war ich das erste Mal dort. Dieser Besuch machte mich nachdenklich. Zwei Jahre später war ich erneut dort, hatte mich schon mehr mit dem NS-Regime und dem Holocaust befasst. Am Ende der Führung durch die Ausstellung verließen ich und ein paar andere Jugendliche unter Tränen das Gebäude. Und ich sagte mir: Wir dürfen so etwas nie wieder zulassen!

Um so etwas nie wieder geschehen zu lassen, braucht es Erinnerung, Gedenken, Aufklärung und auch Konfrontation. Ja, es gibt Stätten der Erinnerung. Ja, das NS-Regime ist in Lehrplänen an Schulen fest integriert. Aber manch einer von diesen 22 Prozent wird sagen, dass man Kindern und Jugendlichen so etwas noch nicht zumuten könne oder dass wir schon genug der Erinnerung hätten.

Nein! Wir erleben in Deutschland und auch in Europa mehr und mehr Antisemitismus und antisemitische Straftaten. Juden werden auf offener Straße attackiert, jüdische Friedhöfe werden geschändet. Der Anschlag in Halle letztes Jahr hätte Dutzende Jüdinnen und Juden das Leben kosten können.

Die Hoffnung liegt in der Jugend

Damit der Antisemitismus nicht weiter um sich greift, braucht es eine frühe Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Meine Generation und die meiner Eltern hat sicher nichts mit dem Holocaust zu tun. Aber wir sind dafür verantwortlich, dass so etwas wie Holocaust und Völkermord bei uns nie mehr vorkommen wird. Diese Verbrechen und was sie anrichten können, vermittelt am besten eine KZ–Gedenkstätte. Deshalb sollte mindestens ein Besuch in Jugendjahren Pflicht sein, genauso wie Zeitzeugengespräche – so lange sie noch möglich sind. Nur so werden "Nie wieder" und "Wir gedenken" nicht nur Floskeln, sondern verankern sich in unseren Köpfen.

Es gibt aber einen Lichtblick: 64 Prozent von den 18- bis 24-Jährigen sind laut besagter YouGov-Umfrage offener gegenüber einem verpflichtenden Gedenkstätten-Besuch. Sie sind der Meinung, dass das Gedenken hierzulande ausgebaut werden sollte. 

mit Material der DPA

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