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Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Gut, dass Gauck sich einmischt

Der Mission des Bundespräsidenten heißt: Freiheit. Deswegen kritisiert er Rechte wie Linke. Auch in Thüringen. Die Empörung darüber ist absurd.
Von Andreas Petzold

Die öffentliche Erregung über die Äußerungen von Bundespräsident Gauck zur Linkspartei ist grotesk. Er sei aus der Rolle gefallen, halten ihm wortmächtige Kommentatoren, vornehmlich aus dem Westen der Republik, vor und erklären dem früheren DDR-Bürgerrechtler auch gleich noch, wie er seine Rolle als Bundespräsident aller Deutschen auszufüllen habe. SPD-Vize Ralf Stegner fordert Gauck im Tagesspiegel auf, "in strittigen Fragen der aktuellen Parteipolitik" Zurückhaltung zu üben. Die Sammlung von übereifrigen Reaktionen ließe sich endlos fortsetzen. In solchen Fällen ist es angebracht, ein paar Sekunden zu investieren und sich genau anzuschauen, was Gauck eigentlich gesagt hat. Es geht um ein Interview für die Sendung "Bericht aus Berlin", das ARD-Chefredakteur Ulrich Deppendorf in der Gethsemanekirche geführt hatte, jenem geschichtsträchtigen Gotteshaus, das vor 25 Jahren eines der Zentren der DDR-Opposition war.

Deppendorf: Die Linke hat in Teilen die Nachfolge angetreten der alten SED. Ist das für Sie dann Normalität oder schwer zu verstehen?

Gauck

: Naja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren. Aber wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen und fragen uns gleichzeitig: Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können? Und es gibt Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln. Und wir erleben gerade in Thüringen einen heftigen Meinungsstreit: Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?

Fragen zur DDR-Vergangenheit

Der Bundespräsident hat also Fragen gestellt. Fragen, die sich im Übrigen auch viele Sozialdemokraten und Politiker anderer Parteien stellen. Und darauf gibt es keine eindeutigen Antworten. Denn ein klarer Schnitt mit der DDR-Vergangenheit, gar eine Entschuldigung bei den Opfern des Stasi-Staates gehört noch lange nicht zum selbstverständlichen Repertoire jedes Linken-Politikers. Zu viele Alt-Genossen stützen die Partei noch mit ihren Wählerstimmen. Wäre es sonst nötig, dass die rot-rot-grünen Koalitionäre in Thüringen schriftlich vereinbaren müssen, dass niemand, der im DDR-Sicherheitsapparat beschäftigt war, der künftigen Landesregierung angehören darf?

Linken-Chef Chef Bernd Riexinger sah in Gaucks Äußerungen den Versuch, "in das Mitgliedervotum der SPD hinein zu intervenieren". Was Unsinn ist, denn die Debatte über den Unrechtsstaat DDR ist wahrlich nicht neu. Und natürlich sieht Riexinger das Amt des Bundespräsidenten "beschädigt". Diese hysterisch laute Opferhaltung der SED-Nachfolgepartei strahlt nicht gerade Souveränität aus. Es ist ja auch eine tolle Gelegenheit, endlich mal mit den unverdächtigen Meinungsführern des Landes auf einer Welle der Solidarität zu reiten - gegen diesen ungeliebten Bundespräsidenten, den die Linke als einzige Partei im März 2012 nicht gewählt hatte. Der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde sei ein "Kandidat der kalten Herzen", hatte die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch seinerzeit etwas weinerlich vermeldet.

Mission Freiheit

Mit Joachim Gauck ist ein Freigeist zum Bundespräsidenten gewählt worden, der das Amt deutlich politischer ausfüllt als seine Vorgänger. Gaucks Mission sind die Freiheit und die Werte, die sich mit der Bindung Deutschlands an den Westen verknüpfen. Da darf und soll er auch Fragen stellen nach dem demokratischen Verständnis jener, die an den linken und rechten Rändern der Gesellschaft agieren.

Ein Bundespräsident mit dieser persönlichen Geschichte kann sich nicht verleugnen, ohne unglaubwürdig zu sein. Nein, er bleibt sich selbst treu, so wie er es auch abgelehnt hatte, die Olympischen Winterspiele von Sotschi zu besuchen. Er wollte bei der Inszenierung des Menschenrechtsverächters Putin nicht mitspielen und erntete viel Nachsicht dafür. Einmischung in die Außenpolitik der Bundesrepublik hatte ihm kaum jemand vorgeworfen. Gauck nahm sich die Freiheit des Dissidenten, der seiner Mission folgt. Diesen Weg wird er weiter gehen. Das kann dieses Land nicht nur aushalten - es sollte dafür dankbar sein.

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