Streit um Waffenlieferungen Deutschland will keinen Alleingang in der Panzerfrage. Doch wie stichhaltig ist das Argument noch?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Deutsche Kampfpanzer für die Ukraine? Bundeskanzler Scholz lehnt in der Frage der künftigen Waffenhilfe nach wie vor einen Alleingang ab. Doch das Argument scheint an Stichhaltigkeit zu verlieren. Und der Druck wächst.

Nein, nichts zu machen. "Da wird es keine Alleingänge geben", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der schon am 11. April 2022 jene Haltung formulierte, die bis heute Bestand hat. 

Seinerzeit wurde die Forderung laut, die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren auch mit schweren Waffen zu unterstützen. Zwei Wochen später, nach zunehmendem Druck von außen und auf Drängen zahlreicher Ampel-Politiker, rang sich die Bundesregierung schließlich in einem internationalen Schulterschluss dazu durch, die Lieferung von Gepard-Flugabwehrpanzern an Kiew über das Ringtausch-Verfahren zu ermöglichen.

Nun, an Tag 205 des russischen Feldzugs, stellt sich erneut die Frage: Was wird Deutschland tun?

Der Druck wächst

Wieder ist eine Debatte um künftige Waffenhilfen entbrannt, wieder wächst der Druck auf die Bundesregierung – der wohl nicht ganz ohne Wirkung geblieben ist: Deutschland will der Ukraine zwei weitere Mehrfachraketenwerfer sowie 50 gepanzerte Fahrzeuge überlassen, wie Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Donnerstag ankündigte. Doch den eigentlichen Wunsch Kiews, die Lieferung von deutschen Kampf- und Schützenpanzern, lässt Berlin vorerst nicht in Erfüllung gehen.

Denn wieder soll es eines nicht geben: deutsche Alleingänge. Das sei die Haltung "der gesamten Bundesregierung, aller ihrer Mitglieder und der sie tragenden Parteien", sagte Scholz am Mittwoch während einer Pressekonferenz mit dem Ministerpräsidenten Georgiens in Berlin. Entschieden werde "gemeinsam und in enger Abstimmung mit unseren europäischen und internationalen Partnerinnen und Partnern", wiederholte er am Donnerstag.

Zwar bestätigte auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) die Linie, "nur gemeinsam (…) in einer Koalition und international" über moderne Kampfpanzer zu entscheiden. Allerdings befinde sich die Ukraine in einer "entscheidenden Phase", die Entscheidung sollte daher nicht "lange hinausgezögert" werden. In anderen Worten: Die Zeit drängt.

Und auch Scholz' Mantra, keine deutschen Alleingänge machen zu wollen, verliert offenbar zunehmend an argumentativem Unterbau. Bisher hat zwar kein Nato-Land Kampfpanzer westlicher Bauart in die Ukraine geliefert, worauf auch die Bundesregierung stets verweist. Doch wenn Deutschland mit Lieferungen vorangehen will, dann kann es das – so lassen sich jedenfalls die jüngsten Signale aus den USA verstehen.  

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wäre das noch ein Alleingang?

Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung, wonach die US-Regierung die Bundesregierung aufgefordert haben soll, dem ukrainischen Militär mit der Lieferung von Panzern und anderen schweren Waffen zu unterstützen, meldete sich die US-Botschaft in Berlin zu Wort. Man wisse die militärische Unterstützung Deutschlands zu schätzen und werde sich weiterhin eng abstimmen, hieß es auf Twitter. Alle Verbündeten und Partner sollten dem Land "so viel Unterstützung wie möglich" gewähren. Und: "Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst." 

Ein klares "Nein" liest sich jedenfalls anders. Also freie Fahrt für deutsche Kampfpanzerlieferungen? 

Das fordern nicht zuletzt immer mehr Politikerinnen und Politiker aus der Ampel-Koalition. Neuerdings spricht sich auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für westliche Lieferungen von Kampfpanzern aus, ohne jedoch die Bundesrepublik explizit zu nennen. "Wenn sie (die Ukraine) sagen, sie brauchen Kampfpanzer, dann sollten wir das ernst nehmen und sollten ihnen das liefern", sagte sie am Donnerstagabend im Interview mit Bild TV. "Die Ukrainer beweisen ja, dass sie, wenn sie die richtigen militärischen Mittel haben, sich verteidigen können." 

Die russischen Angreifer in der Ukraine befinden sich nach einer ukrainischen Gegenoffensive und zahlreichen Rückeroberungen zunehmend in der Defensive. Ein Wendepunkt im Krieg? Schwer einzuschätzen, sagte Verteidigungsministerin Lambrecht, wisse man doch noch nicht, wie die Russen reagieren würden. "Aber es ist auf jeden Fall ein deutlicher Erfolg, der zur Destabilisierung Russlands beitragen wird."

Vor diesem Hintergrund mahnen Experten, die militärische Unterstützung für die Ukraine nicht abreißen zu lassen, könnte diese nun ein entscheidender Faktor sein.

"Für Angriffe und Rückeroberungen braucht die ukrainische Armee Schnelligkeit, Bewegung, Schutz und Feuerkraft, und das ist genau das, was ein Marder oder ein Kampfpanzer liefern würde", sagte etwa der Militärexperte Carlo Masala zur "Süddeutschen Zeitung" mit Blick auf Waffenlieferungen, die auch aus Deutschland kommen könnten. "Es gibt null Argumente, warum man der Ukraine keine Waffen liefern sollte."

Bleibt das Argument mit den Alleingängen – das den Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln nicht überzeugt.

"Die Bundesregierung trägt hierfür kein überzeugendes Argument vor"

"Das Argument ist deshalb dürftig, weil Deutschland beispielsweise in der Energiepolitik auch unter Scholz ohne Absprache mit anderen EU-Staaten entschied, bei Nord Stream 2 bis Februar 2022 und neuerdings beim Abschalten der letzten Akw", so Jäger zum stern. "Es ist auch deshalb wenig überzeugend, weil eine Führungsmacht – ein Anspruch, den auch Scholz für Deutschland erhebt – andere überzeugen muss, bestimmte Maßnahmen mitzutragen."

Die Bundesregierung unternehme keine entsprechenden Initiativen. Man unterstütze zwar die Lieferung von Panzern aus anderen Staaten durch den Ringtausch, doch westliche Panzer sollen nicht geliefert werden. "Die Bundesregierung trägt hierfür kein überzeugendes Argument vor, wenn gleichzeitig Ausrüstung geliefert wird, die so modern ist, dass noch nicht einmal die Bundeswehr damit ausgerüstet wurde und andere Panzer sowie Haubitzen geliefert wurden", so der Experte.

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Stattdessen nehme der Kanzler wohl besondere Rücksicht auf seine Partei. Scholz befinde sich in einer schwierigen Lage, sträube sich die SPD vor weitreichenderen Waffenlieferungen. "Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat dies mit der Vorsicht begründet, Putin nicht zu irrationalen Handlungen und einem Angriff auf einen anderen Staat zu animieren", so Jäger. "Das ist zwar ein Fehlurteil, gibt aber die Stimmung in der Partei wieder, denn auch der Co-Partevorsitzende Lars Klingbeil, der militärische Stärke und eine deutsche Führungsrolle anmahnte, stellt sich bei der Lieferung von Kampfpanzern hinter die Position, dass derzeit keine geliefert werden sollen." Scholz müsse darauf achten, dass ihn die deutsche Öffentlichkeit mehrheitlich als Kanzler will – und dass die SPD seinen Kurs mitträgt. 

So oder so: Der Druck auf Scholz und die Bundesregierung dürfte in der Panzerfrage nicht weniger werden.

  • "Jeden Tag, an dem jemand in Berlin überlegt, sich beraten lässt, sterben hier Menschen, weil der Panzer nicht geliefert ist", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nach einem Besuch seiner deutschen Amtskollegin Baerbock in Kiew. "Deutschland sollte seiner Führungsrolle gerecht werden und als erstes Land Kampfpanzer liefern", forderte Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk zum Auftakt seines Deutschlandbesuchs. "Ein Land wie Deutschland wartet nicht darauf, was andere tun."
  • CDU und CSU wollen kommende Woche offenbar einen Antrag für eine Ausweitung der Waffenhilfe in den Bundestag einbringen, wie der "Spiegel" berichtet. Darin rufe die Union die Bundesregierung auf, "die Genehmigung für die Ausfuhr von Kampf-, Schützen- und Transportpanzern aus Industriebeständen an die Ukraine umgehend zu erteilen", zitierte das Magazin aus dem Papier.
  • Und nicht zuletzt mehren sich auch die Stimmen im Ampel-Bündnis, die weitreichendere Lieferungen fordern. So brachte etwa der SPD-Außenpolitiker Michael Roth eine gemeinsame Kampfpanzer-Lieferung mehrerer europäischer Staaten ins Gespräch: 13 europäische Staaten verfügten über zusammen 2000 Leopard-2-Panzer, sagte er dem Nachrichtenradio MDR Aktuell. Er schlage daher vor, gemeinsam ein Kontingent in die Ukraine zu liefern.  

Die Bundesregierung liefert Kiew zwar weitere Waffen – doch die Erwartungen, die an Berlin in der Panzerfrage geknüpft werden, dürften bestehen bleiben.