Eigentlich sollte der 29. März für Theresa May und Großbritannien ein ganz großerTag werden. Wir stellen uns einfach mal vor, wie das gewesen wäre: Heute verlassen die Briten die EU, geordnet, gesittet, ganz friedlich, nach Plan. Die Geschichte müsste umgeschrieben werden. Unser Korrespondent Michael Streck hat das getan.
Der 29. März ist ein besonderer Tag. Am 29. März 845 eroberten die Wikinger Paris, zum Beispiel. Am 29. März 1973 verließ der letzte amerikanische Soldat Südvietnam. Im Jahr darauf, gleichfalls 29. März, wurde die Terrakotta-Armee in China entdeckt. Schlachten wurden an diesem 29. März gewonnen oder verloren. Terence Hill und Rainer Bonhof haben am 29. März Geburtstag. Es ist also wirklich ein doller Tag, der für Theresa May ganz, ganz doll hätte werden können. 108 Mal sagte die britische Premierministerin, dass Großbritannien am 29. März 2019 die Europäische Union verlassen werde. Sie sagte das so oft, dass sie darüber heiser wurde.
Nun wird das nichts mit dem Abschied heute, vielleicht wird es gar nichts mehr mit dem Abschied aus der EU. Oder viel später. Man weiß es nicht. Wir stellen uns aber einfach und spaßeshalber mal vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn nicht das große Chaos über Westminster geschwappt und den 29. März hinfällig gemacht hätte. Wir stellen uns also vor: Heute verlassen die Briten die EU, geordnet, gesittet, ganz friedlich, nach Plan. Die Geschichte müsste umgeschrieben werden und sähe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dann so aus:
29. März: Theresa May, Premierministerin, stark und selbstbewusst, hält eine Rede im Unterhaus. Sie sagt, sie habe immer gesagt, dass es so kommen würde: Brexit means Brexit, strong and stable, den Blick nach außen auf die Welt. Stehende Ovationen, selbst die Leute von Labour applaudieren zögerlich. Deren Chef Jeremy Corbyn nuschelt während Mays Rede "stupid woman" zu seiner Nachbarin, Lippenleser bestätigen das später. Corbyn leugnet. Er schwöre beim Leben seiner palästinensischen Zierpflanzen, er habe "pretty woman" gesagt. Aber das nimmt ihm erst recht niemand ab.
Abends kehrt May zurück in die Downing Street, ihr Gatte Philipp hat Bohnen gekocht und ein Fläschchen Rotkäppchen-Sekt entkorkt, Geschenk von Angela Merkel. Die beiden sitzen auf dem Sofa, schauen im Fernsehen "Wer wird Millionär", scheitern aber bei der 500 Pfund-Frage: "Wie viele Frauen hatte Boris Johnson?" May will ins Bett. Die "Daily Mail" titelt am nächsten Morgen: "Rule Britannia!"
Meghan und Harry freuen sich über Nachwuchs "Britannia"
16. April: Meghan und Harry werden Eltern. Am frühen Abend wird die kleine Britannia gesund entbunden. 4000 Gramm, putzmunter, dunkler Teint, roter Haarflaum. Die Nation seufzt ergriffen, nur Schwägerin Kate stänkert und nennt Meghan eine "Drama-Queen", einfach so. Die "Daily Mai" titelt dennoch "Rule Britannia!".
25. Mai: Das Pfund steigt, die Wirtschaftsverbände sind glücklich, die Briten sind glücklich, Jürgen Klopp ist glücklich, weil soeben Meister geworden mit dem FC Liverpool. Nur Boris Johnson ist unglücklich. Er wollte Premierminister werden, aber jetzt ist das die May immer noch, und er sitzt immer noch auf den hinteren Bänken. Er kündigt den Rückzug ins Private an und schreibt zum dritten Mal seine Memoiren, diesmal unter dem Titel "Rule Britannia!".
10. Juni: Im Sommer gewinnt die englische Fußball-Nationalmannschaft die Nations League. Das interessiert zwar niemanden außerhalb von Großbritannien, macht aber nichts. Der englische Trainer Gareth Southgate wird nach dem Sieg im Elfmeterschießen über Portugal zum beliebtesten Briten gewählt und von May als Außenminister ins Kabinett berufen. Sein Nachfolger wird Jogi Löw, dessen Nachfolger wiederum Jürgen Klopp wird. Angela Merkel ruft May an und gratuliert. Dies sei für beide Nationen eine "win-win-Situation". Die "Daily Mail" titelt "Rule Britannia!".
Duell zwischen Cameron und Johnson läuft live auf "Sky"
13. Juli: David Cameron meldet sich aus der Versenkung zurück. Er war der, der das Referendum angeschoben hat. Er sagt, er habe es immer gewusst. Brexit means Brexit, strong and stable. Alles wird gut, besser, bestens. Cameron hat soeben seine Memoiren veröffentlicht, an denen er zwei Jahre lang in einer Gartenhütte schrieb. Sie tragen den Titel "Rule Britannia". Es kommt darüber zum Urheberstreit mit Boris Johnson, die beiden alten Freunde können sich nicht einigen. Johnson fordert deshalb Cameron zum Pistolen-Duell am Themse-Ufer auf. Es soll live auf "Sky" übertragen werden. Im letzten Moment zieht Boris allerdings zurück. Er will irgendwann ja doch Premierminister werden, und ein plötzliches Ableben wäre dieser Sache eher hinderlich. Sein Buch hat nun den schlichten Titel: "I rule".
7. September: Im ersten Spiel unter Jogi Löw verliert die englische Nationalmannschaft in Wembley gegen Bulgarien 0:3. Der Deutsche tritt danach vor die Presse und spricht: "It isch like it isch." Die "Daily Mail" titelt: "Jogi go home!" Außenminister Gareth Southgate schaltet sich ein und mahnt zur Gelassenheit. Also titelt die "Daily Mail": "Rule Britannia!"
9. Oktober: Theresa May wird von der Königin geadelt. Bei der feierlichen Zeremonie im Buckingham Palace ist Prinz Philip nicht zu übersehen, wie er "stupid woman" sagt. Lippenleser bestätigen das, der Prinz leugnet nicht mal. Beteuert aber glaubhaft, er habe nicht May, sondern seine Frau gemeint. Damit ist die Sache vom Tisch.
18. Oktober: Der frühere UKIP-Boss Nigel Farage ist nach dem EU-Austritt ein fröhlicher Mann. Er hat sich ein Segelschiff gekauft, mit dem er die Themse rauf und runterschippert und mit einem Megafon den Palast von Westminster beschallt. Er singt 16 Stunden am Tag und auch in der Nacht: "Rule Britannia, Britannia rules the waves." Wegen Ruhestörung werden sein Boot "Rule Britannia" und Farage nach zwei Monaten von der Wasserpolize an den Hafenrand von Hastings verbracht. 14 Tage später geht Farage über Bord. Er wird in Frankreich angespült und beantragt auf der Stelle politisches Asyl. Die französische Polizei ermittelt einen Promillegehalt von 2,1 Prozent in seinem Blut. Asylantrag abgelehnt. Farage setzt daraufhin in einem Schlauchboot über den Kanal, wird aber von britischen Grenzern vor Kent gestoppt und nach Syrien abgeschoben, weil er keine Papiere bei sich hat und sein Name verdächtig fremdländisch klingt.
Löw tröstet AKK: "It isch like it isch"
22. November: Die deutsche Kanzlerkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer ist auf Besuch; es verläuft leider nicht alles nach Plan. Im ersten Gespräch in Downing Street fragt May die Kollegin: "Darf ich dich Angie nennen?" AKK bricht in Tränen aus. Beim abendlichen Dinner tröstet der gleichfalls eingeladene Jogi Löw seine untröstliche Landsfrau "Isch like it isch". Boris Johnson wittert nun seine historische Chance und fordert Mays Rücktritt. Ein derartiger diplomatischer Fauxpas sei absolut unverzeihlich. Tags drauf gewinnt England sein erstes Spiel unter Jogi Löw gegen Liechtenstein in Wembley mit 1:0. Die "Daily Mail" titelt: "Rule Britannia!"
25. Dezember: In der Weihnachtsansprache wendet sich die Königin an die Nation. Sie sagt, ein bewegendes Jahr liege hinter den Briten. Und während sie so redet, rollt Prinz Philip im Hintergrund auf dem Spielzeug-Landrover von Urenkel George durchs Bild, Lippenleser bestätigen später, er habe immerzu "Brumm-Brumm" genuschelt. In der Downing Street feiern unterdessen Theresa May und ihr Gatte. Es gibt Bohnen und Rotkäppchen-Sekt, Geschenk von AKK. Dann ist Silvester, ein neues Jahr beginnt, und wir müssen unglücklicherweise konstatieren: Der 29. März war in Wahrheit der 1. April. Die Briten sind immer noch in der EU. Und der Premierminister Boris Johnson streitet sich in Brüssel über das neue Austrittsdatum. Er schlägt im Übrigen den 29. März 2030 vor.