Herr Trittin, Ihnen haben die vielen Reden die Stimme verschlagen, Sie krächzen nur noch - wie soll das weitergehen mit dem Wahlkampf?
Prima. Wir machen weiter unsere Veranstaltungen. Wenn uns die Erststimme versagt, haben wir noch die grüne Zweitstimme.
Angela Merkel fliegt am Donnerstag nach Pittsburgh zum G-20 Treffen - und lässt die Klimakonferenz der UN links liegen. Eine richtige Entscheidung?
Frau Merkel hat damit endgültig das Vorurteil widerlegt, sie sei die Klimakanzlerin. Die Verhandlungen in Pittsburgh werden keine handfesten Ergebnisse bringen. Ich hätte die UN-Konferenz in der Wichtigkeit höher eingeschätzt. Insofern ist das Fehlen von Frau Merkel dort bemerkenswert - auch weil sie sich nicht herausreden kann, Wahlkampf machen zu wollen. Bekanntermaßen macht sie den nicht.
Auch im TV-Duell zwischen Merkel und SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier fiel das Wort "Klima" nicht. Woher die plötzliche Zurückhaltung?
Frau Merkel weiß, dass Deutschland unter ihrer Kanzlerschaft von einem Vorreiter beim Klimaschutz zu einem Bremser geworden ist. Deutschland hat die EU ausgebremst bei den Obergrenzen für den Benzinverbrauch von Autos. Deutschland hat die EU ausgebremst beim Emissionshandel durch die Ausnahmen für die Industrie. Das alles sind natürlich Maßnahmen, die einer Klimakanzlerin nicht würdig sind. Und nun droht der Emissionshandel ganz an die Wand zu fahren.
In Pittsburgh wird über die Regulierung der Finanzmärkte beraten. Warum sind Sie so skeptisch, was die Ergebnisse betrifft?
In Pittsburgh bestünde die Chance, eine effektive Regulierung durch koordinierte Finanzaufsichten zu verabreden. Diese Chance hat Deutschland schon verspielt, weil es eine wirksame europäische Finanzmarktaufsicht verhindert hat - mit dem Argument, das müsse national geregelt werden.
Hat die Große Koalition zumindest hierzulande genug getan?
Nein. Es ist so, als hätte die Regierung aus dem Desaster der Hypo Real Estate überhaupt nichts gelernt. Die Botschaft ist doch klar: Man muss der Bankenaufsicht die Möglichkeit geben, eine Bank umgehend zu verstaatlichen, wenn sie in den Konkurs driftet. Der Gesetzentwurf, den der Herr zu Guttenberg bei der Firma Linklaters in Auftrag gegeben hat, weist diesen Gedanken ausdrücklich zurück. Also passiert nichts.
Neben den Finanzmärkten wird auch der Atomausstieg wieder heiß diskutiert. Doch das Thema hat Umweltminister Sigmar Gabriel, SPD, für sich gepachtet. Sind Sie deswegen ein bisschen sauer?
Die Thematisierung der Atomenergie hilft den Grünen. Wir würden uns allerdings wünschen, dass das, was Gabriel lautstark hinaus ruft, auch von der SPD umgesetzt wird. Aber die SPD hat den Untersuchungsausschuss zum Atommüllager Asse mit der Union verhindert. Sie hat auch nicht Gabriels - von den Grünen übernommene Forderung - nach einer Brennelementesteuer für AKW-Betreiber ins Wahlprogramm aufgenommen.
Heißt: Gabriel ist ein umweltpolitischer Solist?
Die SPD folgt ihrem Umweltminister in zentralen Fragen nicht. Sonst hätte sie auch nicht beschlossen, die Kohle-Subventionen um zehn Jahre zu verlängern. Was für die CDU die zehnjährige Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist, ist für die SPD die zehnjährige Kohlekraftverlängerung. Das ist nicht besonders ökologisch und - das muss man der Fairness halber sagen - auch nicht im Sinne von Sigmar Gabriel, zumindest nach seiner Wahlkampf-Wende weg von neuen Kohlekraftwerken. Aber das ist Sache der SPD.
Seitdem die FDP eine Ampel-Koalition und die Grünen eine Jamaika-Koalition ausgeschlossen haben, haben Sie keine reale Machtoption mehr. Haben Sie nicht jetzt schon verloren?
Nein, wir haben erst dann verloren, wenn wir es nicht schaffen, Schwarz-Gelb zu verhindern - und damit einen beispiellosen sozialen Kahlschlag und den Wiedereinstieg in die Atomkraft. Nach den jüngsten Umfragen glaube ich, dass wir gute Chancen haben, dieses Wahlziel zu erreichen. Und wie sich die FDP am Ende des Tages verhält, werden wir sehen. Ich bin gespannt, ob Guido Westerwelle tatsächlich noch mal willentlich zugucken will, wie vier weitere Jahre Große Koalition ins Land gehen. Das wären dann für die FDP die Oppositionsjahre 12,13,14 und 15.
SPD-Finanzminister Peer Steinbrück flirtet ganz offen mit einer Fortsetzung der Großen Koalition. Das wäre "kein Unglück", sagt er.
Herr Steinbrück hat zusammen mit Frau Merkel 600 Milliarden Euro Steuergelder zur Rettung der Deutschen Bank und anderer Großbanken versenkt, ohne sich auch nur Stückchen Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Banken zu sichern. Sonst hätten wir jetzt keine Kreditklemme mehr. Steinbrücks Nähe zu den Banken ist genauso anrüchig wie Frau Merkels Bereitschaft, Herrn Ackermann zum Abendessen einzuladen. Da kann ich nur sagen: Dass Steinbrück sich in der Großen Koalition wohl fühlt, kann ich verstehen. Und vielleicht besteht gerade darin das größte Problem der SPD.
Sie könnten ja eine Alternative zimmern. Warum bekennen sich die Grünen nicht offensiv zu einer rot-rot-grünen Machtperspektive?
Weil wir diese Perspektive aus zwei Gründen nicht haben. Die Linkspartei hat erklärt hat, es sei ihr egal, wer 2009 das Land regiert, die anderen seien alle gleich neoliberal. Das heißt, die Linkspartei ist darauf abonniert, die CDU an der Macht zu halten. Oskar Lafontaine und Peer Steinbrück haben etwas gemeinsam: Sie wollen beide die Große Koalition. Und auf der anderen Seite hat die SPD nachdrücklich und beharrlich ausgeschlossen, 2009 mit der Linkspartei zu regieren. Dieser Realität müssen wir uns stellen.
Sie haben jetzt die Position der SPD und der Linken geschildert, aber man würde gerne mal hören, was die Grünen eigentlich dazu sagen.
Die Grünen müssen mit der Realität leben, dass es Leute gibt, die nicht regieren wollen und das auf Nachfrage auch so bestätigen.
Sie finden diese Haltung zumindest bedauerlich?
Die Linkspartei agiert in den Ländern höchst realpolitisch - die rot-rote Koalition in Berlin ist ja sogar in der Lage, Wachleuten 5,30 Euro Lohn zu zahlen, obwohl sie im Wahlkampf einen Mindestlohn von 10 Euro plakatiert. In der Bundestagsfraktion hingegen haben jene die Mehrheit, die aus dem westdeutschen Linksradikalismus kommen. Diese Diskrepanz aufzulösen, hat die Führung der Linkspartei bis zum heutigen Tage vermieden. Sie müsste auch verantwortungslose außenpolitische Positionen wie die Ablehnung von UN-Einsätzen zur Friedenssicherung und den nationalistischen Widerstand gegen die EU räumen. Ihre Aussage, 2009 nicht regieren zu wollen, ist auch den Zuständen in den eigenen Reihen geschuldet.
Das heißt: Sie finden Sie diese Haltung bedauerlich?
Es ist, wie es ist.
Schwarz-Gelb könnte gewinnen - wegen der Überhangmandate. Wäre eine Koalition auf dieser Basis legitim?
Das wäre eine ergaunerte Mehrheit, die nicht einer Mehrheit der Wählerinnen und Wählern entspricht. Das würde ein elementares demokratisches Prinzip verletzen - und dieser Zustand wäre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Das es soweit kommen kann, liegt an der Sozialdemokratie. Sie hätte für den Gesetzentwurf von Bündnis90/Die Grünen votieren können, dem im Übrigen auch die Linkspartei zugestimmt hat. Aber sie hat sich davor gefürchtet, deswegen aus der Koalition geschmissen zu werden. Und ihr war die Vorstellung offensichtlich so gruselig, ohne Dienstwagen Wahlkampf machen zu müssen.
Die SPD argumentiert, es hätte sowieso keine Mehrheit im Bundesrat gegeben, selbst wenn sie zugestimmt hätte.
Das würde voraussetzen, dass das Wahlrecht des Bundestags ein zustimmungspflichtiges Gesetz wäre. Das ist definitiv falsch.
Und nun? Kamillentee oder Pillen für die Stimme?
Salbeibonbons.
Jürgen Trittin
... sitzt seit 1998 für die Grünen im Bundestag, unter Kanzler Gerhard Schröder, SPD, war er Umweltminister. Trittin wird dem linken Flügel der Grünen zugerechnet, neben Renate Künast ist er Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl. Der 55-jährige hat eine Tochter und lebt in Berlin-Pankow.