Will er oder will er nicht? Es ist unklar, ob Xi Jinping tatsächlich Taiwan annektieren will oder ob Peking nicht doch mit dem Status quo zufrieden ist. Die regelmäßigen Einschüchterungsgesten beabsichtigen, Taiwan von allzu viel Unabhängigkeit abzuhalten. Aus Pekings Sicht ist der Inselstaat nicht mehr als eine abtrünnige Provinz. Doch auch, um Taiwan nur einzuschüchtern, benötigt Peking eine glaubhafte militärische Option. Westliche Experten schätzen, dass das militärische Debakel, welches Xi Jinpings Buddy Putin in der Ukraine erlebt, auch Chinas Ambitionen dämpfen wird. Einerseits ist das richtig.
Die Ukraine zeigt eindrucksvoll, dass eine unterlegene aber modern ausgerüstete, ausgebildete und motivierte Armee nicht so einfach zu besiegen ist. Und selbst Kleingerät wie tragbare Luft- und Panzerabwehrraketen hochgerüstete Truppen aufhalten kann.
Doch andererseits sind die Szenarien "Moskau gegen Kiew" und "Peking gegen Taipeh" nicht zu vergleichen. Und es ist zu befürchten, dass die chinesischen Militärs, die Fehler der russischen Armee genau studieren und aus ihnen lernen. Vorausgeschickt sei, dass Chinas Militär derzeit nicht in der Lage ist, Taiwan zu erobern, wenn die USA die Insel verteidigen würden.
Putins Old-School Panzer Armee
Putin setzte bei seiner Invasion auf veraltete und schlecht gewartete Panzer und Kanonen. Die gab es in Massen, doch es mangelt an allem, was auch nur entfernt mit moderner Elektronik zu tun hat. Selbst Kampflugzeuge haben nicht einmal ein integriertes Navigationssystem. Piloten müssen per Crowdfunding zivile Outdoor-Navis auftreiben und diese improvisiert im Cockpit festkleben. Chats zeigen, wie Infanteristen auf die gleiche Weise, Drohnen mit Nachtsichtfähigkeiten besorgen. Es mangelt auch an Kommunikationsgerät, das es mit dem Starlinksystem aufnehmen kann, welches die ukrainischen Streitkräfte benutzen.
Dieses "Technik"-Defizit wird die chinesische Volksarmee sicher nicht haben. Es sei nur daran erinnert, dass China mit weitem Abstand der größte Produzent ziviler Drohnen ist und ein breites Spektrum militärische Drohnen herstellt. Die gewaltige Produktionskapazität Chinas bei Elektronik aller Art lässt eher befürchten, dass Peking seine Truppen mit sehr viel mehr tödlichen Tech-Gimmicks ausrüsten kann als jedes andere Land der Welt. Hinzu kommt ein Kostenvorteil: Chinas Aufrüstung kennt in vielen Bereichen keine Grenze zwischen ziviler und militärischer Produktion. Die Armee nutzt die zivilen Produktionsstraßen, um günstig Ausrüstung zu beschaffen. Die westliche Art, Militärgüter in kleinen Stückzahlen in Handarbeit zu fertigen, ist Pekings Planern fremd. Es ist anzunehmen, dass Peking für das gleiche Rüstungsgut generell sehr viel weniger Geld in die Hand nehmen muss als die Länder des Westens. Sollte China also in den Krieg ziehen, dürfte es keinen Mangel geben, an allem, was man mit KI, smart oder autonom in Verbindung bringen kann.
Sollte es zu einer Invasion Taiwans kommen, würde sich der Aufbau der Truppen ohnehin grundlegend von der Streitmacht unterscheiden, die Russland für den Überfall auf die Ukraine zusammengezogen hat. Zur Erinnerung: Fast ein halbes Jahr lang hatte Moskau vor dem Einmarsch Truppen entlang der ukrainischen Grenze aufgestellt. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um gepanzerte und mechanisierte Einheiten. Da Taiwan eine Insel ist, ist so ein Vorgehen nicht denkbar. Alle Invasionstruppen mit ihrem Material müssen über das Meer herbeigeschafft werden. Ebenso der Nachschub. Trotz der Aufrüstung der chinesischen Marine wäre das eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe. Vor allem dann, wenn sich die Kämpfe hinziehen und immer mehr Truppen über das Meer versorgt werden müssen. Unmöglich ist es nicht. Nach der Landung in der Normandie wurden die westalliierten Truppen auch über das Meer versorgt. Die letzte Etappe ging nur über den Ärmelkanal, doch zuvor mussten die meisten Güter aus den USA über den Atlantik gebracht werden.
Landung auf einer Insel
Die Taiwanstraße ist etwa 180 Kilometer breit. Bevor es zu einer Invasion kommen kann, müssten Peking Luftwaffe und Fernwaffen auf der Insel komplett ausschalten. Eine Aufgabe, an der Putins Militär bislang gescheitert ist. Und an der in Zukunft wohl jede Invasionsmacht zu knacken hat. Wieso?
Die ukrainische Strategie war es, diese wertvollen Waffen nicht sofort in einen aussichtslosen Kampf zu werfen, sondern sie zunächst vor dem Angriff zu schützen und sie zu verstecken. Wenn Hubschrauber und Raketen in Hallen und Tunneln versteckt werden, geben sie kein Ziel. Der Gegner mag glauben, er kontrolliert den Luftraum, nur um am nächsten Tag eine üble Überraschung zu erleben. Diesem Versteckspiel ist schwer zu begegnen.
Auch Taiwan ist ein Hightech-Staat. Die Streitkräfte werden kein Problem damit haben, Waffen und Soldaten im Land zu verstecken, aber die verstreuten Einheiten so zu vernetzen, dass sie zu gemeinsamen Aktionen fähig sind. Bei so einer Verteidigung wird ein Angreifer nie alle Fernwaffen ausschalten können, bevor er mit der eigentlichen Invasion beginnt. Chinas Flotte müsste also mit empfindlichen Verlusten rechnen.
Mangel an Infanteristen
Ein anderes Problem von Putins Armee kann Peking hingegen recht einfach vermeiden. Russlands Truppen besitzen eine hohe Feuerkraft und sehr viel schweres Gerät. Von der Ukraine wurde ihnen ein infanteristischer Kampf im urbanen Gelände aufgezwungen, dort zeigte sich schnell, dass es den Russen an Infanteristen mangelt. Ein Problem, dass Moskau nur schwer lösen kann, solange eine allgemeine Mobilmachung vermieden werden soll.
Schon aufgrund der Bevölkerungszahl dürfte Peking für den Fall einer Invasion ausreichend Soldaten bereitstellen können. Diese müssen aber auch nach Taiwan gebracht werden.
Lektionen aus der Ukraine
Die Idee ein Land im Handstreich mit Fallschirmspringern zu besetzen, ist unrealistisch. Sicher wird man in Peking auch bemerkt haben, dass die Ausbildung der Mannschaften und ihrer Anführer von zentraler Bedeutung ist. Russland hat vorgemacht, dass man mit Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten mit nur wenig Dienstjahren ein Ausbildungsdefizit bekommt. Auch das "Rost-Problem" dürfte China mit Russland teilen. Armee und Marine benutzen viel altes Gerät. In der Ukraine zeigte sich, dass diese Oldies bei mangelhafter Wartung massenhaft ausfallen. Pekings Offiziere müssen den Wert des Altgeräts neu bestimmen.
Ein Krieg auf dem Meer
Letztlich ist es überhaupt unwahrscheinlich, dass die militärische Entscheidung durch eine riskante Invasion von Bodentruppen herbeigeführt wird. Das umgebende Meer bildet einen Schutzwall für Taiwan, es macht die Insel aber auch angreifbar. Sollte Peking den Luftraum und das Seegebiet um Taiwan herum sperren, wäre die Insel komplett abgeschnitten. Die clevere lokale Verteidigung der ukrainischen Truppen wäre keine Antwort auf diese Bedrohung, solange gar kein Peking-Soldat an Taiwans Stränden auftaucht. Diese Blockade würde die Insel erdrosseln, gleichzeitig könnte Peking die militärische Infrastruktur Stück für Stück mit Fernwaffen zerstören. Das versucht Russland auch in der Ukraine, nur dürfte die Fähigkeit, Chinas Marschflugkörper und Raketen zu produzieren, ungleich höher sein als die Russlands. Die Worst-Case-Version: Taiwan wäre komplett von der Welt abgeschnitten, kein ziviles Schiff oder Flugzeug würde sich der Gefahr aussetzen. Im Luftraum über der Insel würden Pekings Jets und Drohnen auf der Suche nach Opfern kreisen.
Mit so einem Manöver würde Peking die Rollen austauschen: Taiwan könnte nicht auf den Angriff warten, sondern müsste seinerseits aktiv die Entscheidung suchen, und die Blockademacht vernichten. Auf sich allein gestellt, wäre das aussichtslos.
Hilfe könnte bei so eine Strategie Pekings nur von außen kommen. Letztlich liefe es darauf hinaus, ob die USA bereit wären, mit ihrer Flotte und Flugzeugen großer Reichweite Taipeh zur Hilfe zu kommen. Die Entscheidung würde auf hoher See fallen. Dann zählen U-Boote, Flugzeugträger, Raketenzerstörer und Jets – die Panzer und Haubitzen wären zweitrangig. So ein Szenario hätte nichts mit dem Krieg in der Ukraine gemein. Bedrohlich wird es für Taiwan, wenn Chinas Marine stark genug wird, in einem nicht küstennahen Raum auf hoher See der US-Navy entgegenzutreten.
Noch ist die US-Navy deutlich überlegen, wenn Washington die gesamte Seemacht einsetzt. Doch die USA haben nicht alle Trümpfe in der Hand. Auf Taiwan haben die Vereinigten Staaten keine Basis. Der Versuch, eine zu errichten, würde vermutlich zum Krieg führen. Andere Stützpunkte in der Region wie Okinawa oder gar Guam sind weit entfernt, und ob sich Nachbarländer wie die Philippinen in einen offenen Krieg mit China werden hineinziehen lassen, ist zumindest unsicher.
Gegenüber einer entschlossenen USA wäre Pekings Marine derzeit nicht stark genug. Doch was, wenn ein Präsident im Weißen Haus sitzt, der so ein Risiko wegen Taiwan nicht eingehen mag. Auf die Ukraine gemünzt: Wäre Joe Biden bereit gewesen, die Ukraine mit allen Mitteln zu verteidigen, wären Putins Streitkräfte dort längst besiegt.